Ihre Karriere ist ungewöhnlich: Vor 30 Jahren hat Bettina Bludau als Softwareentwicklerin bei IBM angefangen. Heute setzt sie sich bei dem Unternehmen für die Arbeitnehmer ein. Für ihr Engagement bekam sie die Wirtschaftsmedaille des Landes Baden-Württemberg.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)
Böblingen - Die Digitalisierung der Arbeitswelt sieht Bettina Bludau kritisch – als Gesamtbetriebsratsvorsitzende im Böblinger IBM-Labor und Mitglied der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. „Ich habe meine soziale Ader entdeckt“, sagt die 49-Jährige über ihre Karriere.
Frau Bludau, wie kommt eine junge Frau 1985 zu IBM? Damals haben sich doch nur Freaks mit Computer beschäftigt.
Eigentlich hatte ich ja den Kindheitstraum, Kinderärztin zu werden. Am Gymnasium habe ich mich deshalb sogar für Latein als Fremdsprache entschieden.
Das ist eher typisch Mädchen . . .
Genau. Aber als es dann so weit war und ich mich für einen Studienplatz bewerben hätte müssen, habe ich Bammel bekommen.
Nachrichtentechnik fanden Sie weniger beängstigend?
Die Fächer Chemie, Mathematik und Physik sind mir in der Schule sehr leicht gefallen. Deshalb habe ich geschaut, was ich stattdessen in Richtung Naturwissenschaft machen könnte. Der damalige Freund meiner Cousine studierte Nachrichtentechnik. Das hat mich total begeistert. Ich habe mich für ein duales Studium beworben – und IBM war am schnellsten mit der Zusage.
Hat sich der Frauenanteil in Ihrer Branche seither vergrößert?
Wir waren 16 Studenten in meinem Jahrgang bei IBM und davon drei Frauen. Das ist für damals eine gute Quote gewesen, finde ich. An der Berufsakademie waren im Nachrichtenstudiengang von 50 Studenten fünf weiblich. Laut einer aktuellen Studie liegt der Frauenanteil in der IT-Branche heute auch nur bei 15 Prozent.
Konnten Sie Karriere machen?
Ich war am Anfang in der Softwareentwicklung tätig, danach in der Kundenbetreuung und bin über das Test- und Qualitätsmanagement in eine Teamleiterrolle gekommen. Weil ich erfolgreich war, ist das Unternehmen auf mich aufmerksam geworden, und ich musste entscheiden, wohin es in Zukunft gehen soll. An dem Punkt habe ich erkannt, dass ich eine soziale Ader habe. Als ich von einem Betriebsrat gefragt wurde, ob ich nicht dafür kandidieren will, sagte ich zu. Das war vor neun Jahren.
Ingenieure und Informatiker verortet man eher weniger in der Gewerkschaft. Sind Sie diesbezüglich familiär geprägt?
Gar nicht. Auch was die Gewerkschaft angeht, bin ich ein Spätzünder. Zunächst habe ich mir bei Verdi nur Fachwissen für meine Betriebsratsarbeit geholt. Ich bin da hineingewachsen. Ich wollte den Themen der IT-Branche bei Verdi eine Stimme geben.
Was sind das für Themen?
Zum Beispiel die Arbeitszeiten. Dass Angestellte nicht mehr als zehn Stunden am Tag arbeiten dürfen. Oder die Digitalisierung der Arbeitswelt: heutzutage kann der Arbeitsplatz überall auf der Welt sein. Oder Crowd-Working: wenn Software-Entwicklungen extern ausgeschrieben werden. Das ist zwar einerseits eine große Chance für Menschen, die in Entwicklungsländern leben. In Deutschland muss man solche Auftragsarbeiten allerdings kritisch sehen, weil damit hier geltende Standards umgangen werden können. Wir wollen solche Entwicklungen nicht verteufeln, sondern kreative Lösungen finden.
Gewerkschaften sind traditionell im Arbeiterbereich verankert. Ist die IT-Branche überhaupt offen für Verdi?
Die Schwierigkeit ist tatsächlich, dass innerhalb der IT-Branche vor allem studierte Menschen arbeiten. Sie sind sehr selbstständig, hochintelligent und sehr fokussiert auf ihr Tätigkeitsfeld. Als Berufsanfänger sind sie sehr umworben. Momentan herrscht Fachkräftemangel. Manchen wird sehr viel angeboten, sie können sich den attraktivsten Job aussuchen. Deshalb kommt man natürlich erst mal nicht auf die Idee, sich mit einer Gewerkschaft zu verknüpfen. Das war bei mir am Anfang auch so.
Kämpft Verdi mit Mitgliederschwund?
Nein! In der IT-Branche haben wir Zuwächse. Im Moment findet ein Wandel statt innerhalb des Angestelltenbereichs.
Inwiefern?
Wenn man jung ist, ist es toll, dass es in unserer Branche eine große Flexibilität gibt, dass man überall arbeiten kann. Solange ich das freiwillig mache, ist es in Ordnung. Wird eine Erwartungserhaltung daraus, kann es zum Problem werden. Irgendwann merkt fast jeder, dass er keine 30 mehr ist, dass er nicht mehr nächtelang durcharbeiten kann. Die Prioritäten ändern sich, man hat zum Beispiel Familie und ist plötzlich froh über Arbeitszeitregelungen. Oder das Thema Rückkehr in den Beruf nach der Elternzeit. Ich kenne viele Männer, die das nutzen – und die froh sind, dass sie durch das Engagement des Betriebsrats und der Gewerkschaft deshalb keinen Karriereknick hinnehmen müssen. Auch die IT-Branche versteht das Prinzip: Je mehr wir sind, desto mehr können wir erreichen. Das ist die Schwarmintelligenz.