Wie lautet ihre verbesserte Prognose für Europa?
Wir haben die Prognose für die Fahrzeugproduktion in Westeuropa von zwei auf vier Prozent angehoben.
Entschärft dies die Situation in den europäischen Werken?
Wir freuen uns natürlich über die Zuwächse in Europa. Aber: 2007 wurden in der EU 20 Millionen Fahrzeuge produziert, 2013 waren es 16 Millionen. Die Branche schätzt, dass bis zum Ende der Dekade in etwa der Stand von 2007 erreicht sein wird. Und da liegt die Herausforderung. Richtig ist, dass die Branche aktuell wächst. Aber sie hat die Strukturen, um 20 Millionen Fahrzeuge zu fertigen. Berücksichtigt man zudem die von den Autoherstellern geforderten jährlichen Preisreduzierungen und die erforderlichen Produktivitätsfortschritte bei den Zulieferern, führt dies zu einem strukturellen Überhang. Das derzeitige Wachstum hilft, aber es löst die Probleme der Branche nicht.
Es bleibt also das Ziel Umsatzanteile und Beschäftigung in Deckung zu bringen.
Im Prinzip ja. Aber so einfach machen wir es uns nicht. Wir suchen aktiv und kreativ nach Neugeschäft. Wir haben in Europa ein Projekt gestartet, um Wachstumsideen zu generieren. Es geht um ganz neue Produkte. Es ist noch zu früh, um über Ergebnisse zu sprechen. Auch in Amerika läuft ein solches Projekt.
Apropos Amerika: Wie läuft es da?
Wir haben für Nordamerika unsere Umsatzerwartungen leicht angehoben. Und wir werden in Mexiko in den nächsten Jahren rund 400 Millionen Euro investieren und bis 2017 etwa 3000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Wir werden dort ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum aufbauen und unsere Fertigungskapazitäten erweitern. Es ist ein klares Bekenntnis zum amerikanischen Markt.
Wie wichtig ist ein Freihandelsabkommen ( TTIP) mit den USA? Die Geschäfte laufen doch gut?
Ein Abkommen würde viele Vorteile bringen, für beide Seiten. Ich mache mir Sorgen, dass die Diskussion über das Freihandelsabkommen in der Öffentlichkeit entweder gar nicht stattfindet oder negativ besetzt ist. Meines Erachtens wäre es eine vertane Chance für Europa, sollte das Freihandelsabkommen nicht zustande kommen. USA und Europa zusammen stellen etwa 50 Prozent der Weltwirtschaftskraft. Die EU-Kommission in Brüssel geht davon aus, dass das Wachstum in der EU durch den Wegfall von tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen langfristig um einen halben Prozentpunkt steigen könnte. Bosch hat in fast allen Ländern eine lokale Produktion, daher scheinen TTIP und die damit verbundenen Zollerleichterungen auf den ersten Blick zunächst nicht so relevant. Dennoch wäre unsere Ersparnis nennenswert. Wir zahlen pro Jahr etwa 34 Millionen Euro an Zöllen – Geld, das wir lieber in den Aufbau von Neugeschäft investieren würden. Viel wichtiger für uns ist aber der Wegfall der nichttarifären Hemmnisse.
Haben Sie dafür einige griffige Beispiele.
Es gibt viele Systeme im Fahrzeug mit spezifischen Richtlinien für die USA. Denken Sie an die Abgasrichtlinien oder die Diagnosesysteme. Teilweise müssen wir Änderungen am Produkt vornehmen, um die Vorgaben zu erfüllen. Die länderspezifische Freigabe benötigen wir immer. All dies würde mit TTIP entfallen. Gleichwohl wird der Wettbewerb mit den USA durch ein Freihandelsabkommen intensiver. Die USA profitieren derzeit beispielsweise vor allem von niedrigen Energiepreisen und teilweise vom günstigeren Lohnniveau.
Welche Fehler macht Europa?
Wir reden zu viel über die vermeintlich negativen Auswirkungen eines Abkommens. Wir bauen eine Opposition auf, ohne den Menschen die Vorteile eines solchen Abkommens deutlich zu machen. Die öffentliche Debatte muss daher die Chancen stärker thematisieren.
Was kann man tun, um TTIP eine positivere Richtung zu geben?
Wir müssen dafür sorgen, dass die Politiker und Verhandlungsführer spüren, dass Europa TTIP will. Als Bosch-Chef möchte ich mich klar positionieren: Ich bin für das Freihandelsabkommen. Für die Industrie und ihre Beschäftigten hat ein solches Abkommen große Vorteile, zum Beispiel erleichterter Marktzugang für viele unserer Produkte. Aber die Verhandlungen müssen offener ablaufen und die öffentliche Diskussion sollte auf Tatsachen beruhen. Wir wollen ja nicht, dass die Verbraucherschutz-, Umwelt- oder Sicherheitsbelange in Europa zukünftig anders behandelt werden als heute. Der Unsicherheit bei vielen Bürgern sollte mit mehr Transparenz über die Inhalte des Abkommens begegnet werden. Dann dürfte es denjenigen, die gegen das Thema argumentieren, nicht mehr so leicht fallen, immer wieder Chlorhühnchen ins Feld führen. Übrigens: Parallel verhandeln die USA auch ein Freihandelsabkommen mit Asien. Ein einheitlicher Wirtschaftsraum von USA und Asien ohne europäisches Gegenstück wäre für Europa sehr nachteilig.
Noch läuft das Asien-Geschäft gut. Wann ist der Boom in China zu Ende?
In China haben wir unsere Umsatzerwartungen gerade erhöht. Ich sehe nicht, dass der Boom kurzfristig abbricht. Aber es wäre kurzsichtig, den Trend auf ewig fortzuschreiben. Auch die Region ASEAN bietet für Bosch viele Möglichkeiten. Dass wir langfristig denken, zeigen ja auch das klare Bekenntnis zu Amerika und unser Engagement in Afrika.
Was planen Sie dort aktuell? Die Wahrnehmung ist, dass ausschließlich Südafrika Wachstumsregion ist.
Das stimmt aber nicht. Inzwischen gibt es einige Länder mit interessantem Wachstumspotenzial. In Afrika müssen wir dennoch einen langen Atem haben. Da denken wir eher an einen Zehn-Jahres-Zeitraum. Aktuell erschließen wir eine Reihe von Ländern für Bosch. Wir wollen in diesem Jahr Vertriebsniederlassungen in sechs afrikanischen Ländern gründen, neben Nigeria sind dies noch Angola, Mosambik, Algerien, Ghana und Kenia.
Was gibt es Neues im Kartellverfahren?
Die Verfahren, die sich gegen die Zulieferer weltweit richten, laufen derzeit noch. Wir bei Bosch nehmen das Thema sehr ernst und haben im Jahresabschluss 2013 Rückstellungen gebildet. Derzeit liegen uns keine Erkenntnisse vor, die eine Anpassung dieser Rückstellungen erfordern. Auch haben wir unsere Compliance-Schulungen ausgebaut. Wir haben bereits viele Mitarbeiter geschult – allein im Bereich Automotive-Vertrieb und Marketing sind es inzwischen mehr als 16 000. Weitere 17 000 Mitarbeiter aus den drei anderen Unternehmensbereichen werden demnächst geschult. Zudem haben wir unsere Compliance-Organisation personell verstärkt. Und dann haben wir einen externen Berater beauftragt, unsere Compliance-Vorkehrungen einem Audit zu unterziehen. Wir wollen wissen, ob das, was wir als unternehmerische Compliance eingeführt haben, aus Sicht eines Unabhängigen adäquat ist.