Bosch-Geschäftsführer Christoph Kübel bricht mit der Tradition des Hauses: Der Job ist nicht mehr alles. Es geht auch darum, Beruf und Privatleben besser unter einen Hut zu bringen, sagt er im StZ-Interview.

Stuttgart – Die Kreativität der Mitarbeiter sind für Bosch-Personalchef Christoph Kübel ein Pfund, mit dem der Konzern wuchern will. Deshalb, so schildert Kübel im Interview, kommt Bosch den Mitarbeitern bei der Arbeitszeitgestaltung entgegen. Sein Credo: „Zufriedene Mitarbeiter sind kreativer.“ Auch in der Produktion hofft der 53-Jährige auf pfiffige Ideen der Beschäftigten, die so einen Beitrag zur Jobsicherung leisten können.
Herr Kübel, Bosch hat mehr als 100 verschiedene Arbeitszeitmodelle. Welches haben Sie für sich gewählt?
Ich arbeite schon lange bei Bosch und bin eine Präsenzkultur gewöhnt, die früher in unserem Haus sehr verbreitet war. Doch wir wollen weg von der Präsenz- und hin zu einer Ergebniskultur. Ich nutze Freiräume für mich persönlich, doch diese Zeiten sind nicht häufig und auch nicht regelmäßig. Bei vielen Terminen ist meine persönliche Anwesenheit erforderlich. Aber meine E-Mails, die mache ich abends auch mal gerne zu Hause.

Angesichts der Flut an Arbeitszeitmodellen müssen die Beschäftigten doch den Überblick verlieren?
100 Arbeitszeitmodelle klingen erst einmal viel. Aber wir wollen jedem Mitarbeiter das für ihn richtige Modell anbieten. In der Praxis reicht dies von Teilzeit, über Home-Office bis hin zu individuell angepassten Arbeitszeiten. Von den Mitarbeitern wird dies sehr geschätzt.

Darüber hinaus wollen Sie weg vom Präsenzdenken, dass Bosch jahrzehntelang geprägt hat. Was sind die Defizite dieser Arbeitsweise? Innovationsdefizite können es ja wohl kaum sein.
Das ist richtig, denn im vergangenen Jahr haben wir beispielsweise pro Arbeitstag 19 Patente angemeldet. Und wir sind Patent-Europameister – Bosch ist ein sehr innovatives Unternehmen. Mit dem Wechsel hin zur Ergebnisorientierung wollen wir Mitarbeitern ermöglichen, Beruf und Privatleben besser unter einen Hut zu bringen. Wenn ein Mitarbeiter seinen Arbeitsalltag deutlich flexibler gestalten kann, schafft das Freiraum, etwa um Kinder zu betreuen oder Hobbys nachzugehen. Davon profitieren die Beschäftigten und das Unternehmen gleichermaßen. Denn zufriedene Mitarbeiter sind kreativer.

Aber der Druck steigt mit dem Ergebnisdenken, weil Leistung eine sehr viel stärkere Rolle spielt als bisher.
Das sehe ich nicht so. Wir haben auch heute schon den Anspruch, dass innerhalb der Arbeitszeit gute Ergebnisse erzielt werden.

Wird Privates und Geschäftliches nicht zunehmend vermengt?
Wenn ein Mitarbeiter nachmittags seine Kinder betreuen will, muss er zu einem späteren Zeitpunkt seine Arbeit verrichten können. Natürlich verschwimmen damit Privates und Beruf, aber der Mitarbeiter kann das im eigenen Interesse gestalten.

Diese Art der Flexibilität kann doch nur bei Projektarbeit funktionieren, also bei Arbeiten, die ein Beschäftigter alleine leistet. Bei Tätigkeiten im Team funktioniert es nicht.
Viele unserer Mitarbeiter verbringen einen Teil ihrer Arbeitszeit im Team, anschließend arbeiten sie wieder für sich. E-Mails zum Beispiel kann ich etwa allein bearbeiten. Und auch bei konzeptionellen Arbeiten ist die Anwesenheit im Büro nicht unbedingt erforderlich. Die Unruhe im Büro stört vielleicht sogar die Konzentration. Aber Sie haben Recht: Ein Mitarbeiter in der Logistik mit Kundenkontakt muss häufiger im Unternehmen sein als ein Softwareentwickler. Die Bandbreite in unserer Belegschaft ist groß.

Wie häufig wird zu Hause gearbeitet?
Nehmen wir das Projekt ’More’, das bei Bosch gerade läuft. Es steht für „Mindset Organisation Executives“. Darin testen rund 500 Führungskräfte mindestens drei Monate lang flexibles Arbeiten. In der Regel arbeiten die Führungskräfte einen halben Tag pro Woche flexibel von zu Hause aus.

Einen halben Tag pro Woche – ist dies eine typische Größe?
Ja, zwischen einem halben und einem Tag pro Woche wird häufig gewählt.

Schürt das nicht Konflikte, wenn für bestimmte Arbeiten Präsenz Pflicht ist?
Wir erleben diese Konflikte nicht. Wir können nicht jedem Mitarbeiter die gleiche Flexibilität bieten. Ein Softwareentwickler hat andere Rahmenbedingungen als etwa ein Fertigungsmitarbeiter. Wo immer möglich, fördern wir Flexibilität. Viele unserer Beschäftigten brauchen wir auch gezielt vor Ort. In der Produktion ist es nun mal schwieriger, flexibel zu arbeiten, gerade bei Schichtarbeit. Aber es ist nicht ausgeschlossen. Wir haben etwa Job-Sharing-Modelle, bei denen sich zwei Mitarbeiter einen Arbeitsplatz teilen.

Wie wird die Flexibilität angenommen?
Ich komme gerade aus den Vereinigten Staaten. Dort habe ich mit Beschäftigten gesprochen, die einen halben bis einen Tag pro Woche von zu Hause aus arbeiten – mit sehr positiven Erfahrungen. Und auch junge Chinesen schätzen die Flexibilität, die wir ihnen bieten.

Wie viele Beschäftigte arbeiten bei Bosch insgesamt flexibel?
Unsere Leitlinien für eine flexible und familienbewusste Arbeitskultur gelten weltweit, für jeden der über 300 000 Mitarbeiter. Aufgrund der Vielfalt an Möglichkeiten und Regelungen erfassen wir das nicht zentral.

Aber Sie haben sich doch Ziele gesetzt?
Insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ist es uns wichtig, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Und die Ergebnisse sprechen für sich - über unser Internetportal haben wir allein im letzten Jahr über 200 000 Bewerbungen erhalten. Und in den vergangenen zehn Jahren haben wir allein in Deutschland 20 000 Akademiker eingestellt. Außerdem fragen wir regelmäßig die Zufriedenheit unserer Mitarbeiter ab. In der letzten Befragung waren 84 Prozent stolz darauf, bei Bosch zu arbeiten. Auch die Fluktuationsquote in Deutschland ist mit unter zwei Prozent sehr gering. Das alles zeigt die Verbundenheit unserer Mitarbeiter mit dem Unternehmen.

Auf anderen Gebieten hat Bosch einen größeren Nachholbedarf: bei Frauen und Internationalität. Bosch hat hierzulande eine deutsche und männliche Führungsmannschaft.
Bosch ist sehr international: Allein in Deutschland arbeiten über 100 unterschiedliche Nationalitäten zusammen, 50 zum Beispiel allein an unserem Standort Abstatt. Und wir wollen in jedem Land nationale Führungskräfte haben. Ziel ist es, 80 Prozent der Führungskräftestellen national zu besetzen. In den meisten Regionen weltweit haben wir dies bereits realisiert. Auch an Themen wie Generationen- und Gender-Vielfalt arbeiten wir erfolgreich. Unsere Zielsetzung bis 2020 ist es, 20 Prozent der Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. Heute sind es zwölf Prozent bei einem Frauenanteil von insgesamt 25 Prozent im Konzern.

Die Mitarbeiter in der Produktion denken weder an Flexibilisierung noch an Diversity: Viele sorgen sich angesichts gesättigter Märkte in Europa um die Arbeitsplätze.
Wir bereiten uns auf einen in den nächsten fünf bis sieben Jahren stagnierenden Markt in Europa vor. Deshalb verbessern wir stetig die Wettbewerbsfähigkeit unserer Standorte . Wir wollen dabei deren Stärken weiter ausbauen. Damit wollen wir zusätzliche Marktanteile gewinnen und neue Produkte erfolgreich vermarkten. So können wir auch in einem stagnierenden Markt Arbeitsplätze sichern. Nur wenn uns dies nicht gelingen sollte, müssen wir Anpassungen vornehmen und das so sozialverträglich wie möglich.

Wie groß sind die Überkapazitäten auf dem europäischen Markt?
Lassen Sie mich darauf anders antworten: Unsere Vereinbarungen mit den Arbeitnehmervertretungen bringen uns mehr Flexibilität an den europäischen Standorten. Damit können wir Auftrags- und Konjunkturschwankungen besser bewältigen. Auch halten wir so in einem rückgängigen Markt bestmöglich die Beschäftigung.

Deutschland ist bei der Flexibilität vorbildlich. Das gilt aber nicht überall.
Wir sind unserer Zielsetzung, flächendeckend 20 Prozent Flexibilisierung in Europa zu erreichen, schon sehr nahe. Wir haben dies in fast allen Ländern realisiert.

Was passiert bei strukturellen Verwerfungen? Der Produktionsanteil in einem Konzern wie Bosch wird mittelfristig sinken.
Unser Fokus liegt darauf, die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte weiter auszubauen. Die Stellhebel reichen dabei etwa von der Produktivität über die Flexibilität bis hin zur Kreativität unserer Mitarbeiter. Wie schaffe ich es, den Ideenreichtum der Mitarbeiter an den Standorten in Verbesserungen umzusetzen? Dies gelingt zum Beispiel über unser internes Vorschlagswesen. Bei Bosch in Deutschland haben 2012 mehr als 18 500 Mitarbeiter Verbesserungsvorschläge eingereicht; damit haben wir unser Ergebnis um rund 36 Millionen Euro verbessert. Im Gegenzug haben wir die Vorschläge mit rund acht Millionen Euro prämiert.

Südwestmetall hat vor kurzem betont, Leiharbeiter und Werkverträge einsetzen zu müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Wie sieht es bei Bosch aus?
Zeitarbeit ist eine Möglichkeit, um flexibel auf Abrufschwankungen reagieren zu können. Bei Bosch spielt Zeitarbeit eine untergeordnete Rolle, sie liegt unter einem Prozent. Wir federn solche Schwankungen vielmehr über unsere Flexibilisierungsvereinbarungen ab.

Und Werkverträge?
Wenn wir Standard-Dienstleistungen, etwa einen Maler, benötigen, schließen wir einen Werkvertrag ab. Dabei achten wir strikt darauf, dass Gesetze und Bosch-interne Regeln eingehalten werden. Bei der Vergabe haben wir ein Sechs-Augen-Prinzip. Einen Missbrauch von Werkverträgen bei Bosch möchte ich ausschließen. Denn Legalität ist einer unserer Werte. Das steht über allem.

Es geht also nicht um Kostensenkungen?
Wie gesagt, wir kaufen zum Beispiel Handwerkerleistungen ein. Und wenn der Handwerker billiger arbeitet als wir dies intern darstellen können, dann nutzen wir diesen Vorteil. Aber wir setzen Werkverträge nicht für Lohndumpings ein.