Sport: Heiko Hinrichsen (hh)
Ihre ersten Eindrücke?
Dadurch, dass ich zwar noch nie in der Bundesrepublik, aber schon im westlichen Ausland gewesen war, stand ich beim Anblick eines Schaufensters nicht mit offenem Mund da. Mein erster Eindruck auf dem Ku’damm war eher, dass die Realität mit dem Westfernsehen doch recht gut übereinstimmte. Das machte mich recht hoffnungsfroh. Ich war mit 25 Jahren noch sehr jung – hatte also Zeit und wusste: Das alles läuft uns jetzt nicht mehr weg.
Die Wende kam für Sie als Boxer zum idealen Zeitpunkt. Haben Sie lange überlegen müssen, Profi zu werden?
Ich bin ganz klar ein Gewinner der deutschen Einheit. Ich hatte ja das große Glück, als Amateur bereits alles gewonnen zu haben. So hätte ich im alten System nur meine Erfolge bestätigen können. Jetzt gab es eine komplett neue Situation, es ging eine neue Tür auf. Ich bekam wieder massiven sportlichen Hunger, denn ich wollte in Etappen die neuen Ziele erreichen.
Wann hat es bei Ihnen erstmals geklingelt, indem Sie realisierten: Ich kann Profi-Weltmeister werden – und viel Geld verdienen?
Ich bin kurz nach dem Mauerfall morgens im Rahmen meiner Ausbildung zum Sportlehrer im Armeesportclub in Frankfurt zum Judotraining gegangen, als mich ein Freund ansprach: „Henry, in Sat 1 melden sie, du willst unter Wolfgang Wilke, dem Ex-Trainer von Graciano Rocchigiani, Profi werden?“ Aber da war überhaupt nichts dran. Der Gedanke, Profi zu werden, wurde wenig später im Dezember 89 geboren.
Sie haben dann zum 1. April 1990 beim Sauerland-Stall als Profi unterschreiben. Dabei schien es für Sie selbstverständlich, dass Sie den Trainer Wolke mitnahmen, obwohl der keine Profi-Erfahrung hatte.
Die Frage mit oder ohne Manfred Wolke stellte sich für mich nicht. Ich war sehr dankbar, dass wir uns hatten – das war also keine einseitige Geschichte. Ich hatte zu meinem Trainer großes Vertrauen, und er hat mir immer das Gefühl vermittelt zu wissen, wo es hinläuft. Dass er also Herr der Lage ist. Im Nachhinein weiß ich, dass er auch nicht viel weiter war als ich. Aber gut war, dass er damals so tat, als ob.