Der umstrittene Regisseur Calixto Bieito inszeniert Wagners "Parsifal" an der Stuttgarter Oper. Am Sonntag ist Premiere.

Stuttgart - Der umstrittene Regisseur Calixto Bieito inszeniert Wagners "Parsifal" an der Stuttgarter Oper. Am Sonntag ist Premiere.

Herr Bieito, der "Parsifal" ist Richard Wagners letztes Werk. Beginnen wir mit der Frage, die Parsifal selbst stellt: Was ist der Gral?


Es gibt Hunderte davon in meiner Inszenierung. Wissen Sie, in Jerusalem gehen Sie in einen Laden und können Dornenkronen kaufen. Etwas in dieser Art ist der Gral.

Stuttgart ist Ihr bisher exklusiver Wagnerstandort. Sie haben vor gut zwei Jahren im "Fliegenden Holländer" die Schiffsbesatzung als Club von Bankern gezeigt.


Das war eine Vorahnung der Wirtschaftskrise. Ich verbringe viel Zeit auf Flughäfen, und da sah ich sie, so viele Geschäftsleute, die auf Flugzeuge warten, die niemals kommen. Das Schiff mit den Geschäftsleuten war damals mein Bild dafür.

Der "Parsifal" dreht sich komplett um einen solchen Männerclub: die Gralsritter und die Spannungen unter ihnen.


Das ist eine religiöse Gemeinschaft, eine Art Sekte - auch sie ist in einer tiefen Krise. Die Männer suchen verzweifelt nach Erklärungen; nach einem Symbol, das Lebenshilfe und Rettung zugleich sein soll. Das ist der Kern des Stückes. Aber natürlich geht es nicht um Symbole, sondern um die Männer selbst: Sie suchen nach Antworten, aber es funktioniert nicht, weil einer von ihnen, Amfortas, die Komödie nicht fortsetzen will und sich weigert, den Gral zu enthüllen. Das könnte ein Bild für die katholische Kirche sein - eigentlich für jede Kirche, die man sich denken kann.

Es geht also nicht nur darum, dass das Öffnen des Grals die Wunde des Nochanführers Amfortas schmerzen lässt?


Diese Wunde ist das Symbol für die tiefe Krise, schon Wagner hat sie als Sinnbild bezeichnet. Wagner hat bei den Jesuiten deren Rituale beobachtet und diese für seine Musik nutzbar gemacht. Er war interessiert an Ritualen und Symbolen, vor allem daran, was sich dahinter verbirgt. Im "Parsifal" ist sehr klar, dass die Suche nach Antworten die Spannungen innerhalb der Gemeinschaft verstärkt. Das ist doch die Situation jeder abendländischen Religion.

Aber die Gralsritter im "Parsifal" wollen ja nicht durch Diskussion und Argumente die Antworten finden, sie suchen einen neuen Führer, den "reinen Toren". Das ist doch ein sehr heutiges Thema.


Ja, zweifellos. Ich war viel in Südamerika, dort sind die berühmten Fußballspieler in gewisser Weise Parsifals - ein Versprechen für die Leute, die sie bewundern. Die Krise der Gralsritter ist der erste Hauptstrang im "Parsifal", der zweite ist die Vergiftung der Charaktere durch die Schuld, und der dritte ist die Krise des Mythos. Ich glaube nicht an Mythen, ich glaube an Menschen und an die Liebe; die Ewigkeit ist hier und jetzt, in unserem Gespräch.