Die junge Schweizerin Carla Juri spielt die Hauptrolle in der Verfilmung von Charlotte Roches Roman „Feuchtgebiete“. Im Interview erklärt sie, warum sie keine Angst vor heiklen Szenen hatte.

Hamburg - - Man merkt Carla Juri im Gespräch an, dass sie mit Interviews nicht viel Erfahrung hat. Und dann auch noch auf Hochdeutsch! So sitzt die Schweizerin, die 1985 in einem Dorf im Tessin geboren wurde und in ihrer Heimat bereits zweimal den Landesfilmpreis gewonnen hat, ein wenig schüchtern in einem Hamburger Hotel und antwortet leise und nachdenklich auf die Fragen zu ihrer Hauptrolle in der Adaption von Charlotte Roches Roman „Feuchtgebiete“. Immerhin: ihre Augen funkeln dabei fast so sehr wie auf der Leinwand.
Frau Juri, schon als Roman hat „Feuchtgebiete“ viel Aufsehen erregt. Hatten Sie Charlotte Roches Buch damals gelesen?
Carla Juri Foto: dpa
Nein, und nicht nur das. Ich hatte auch die Aufregung darum gar nicht mitbekommen, weil ich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in den USA lebte. Als dann später über meine Agentur der Casting-Aufruf kam, musste man mir erst einmal erklären, dass es sich da um eine kontroverse Vorlage handelt. Deswegen habe ich gleich für mich beschlossen, gar nicht zu lesen, was in den Medien schon alles geschrieben wurde. Ich wollte ganz unvoreingenommen auf das blicken, was uns für das Vorsprechen an Drehbuchauszügen zur Verfügung gestellt wurde. Erst im weiteren Verlauf des Castings habe ich dann irgendwann auch mal in den Roman selbst reingelesen.
Haben Sie dann den Skandal nachvollziehen können?
Ein kleines bisschen kann ich es vielleicht verstehen, dass sich manche Leute aufgeregt haben. Aber eigentlich entlarven sich diese Leute selber. Wer das Buch auf Sex und Körperflüssigkeiten reduziert, hat ja eine ziemlich eingeschränkte Wahrnehmung. Wenn man es von Anfang bis Ende liest, sieht man nämlich schnell, dass es da auch um ganz andere Themen und vor allem um einen Menschen geht. Dass Helen Memel gerne ihre geschiedenen Eltern wieder vereint sehen will, damit müsste sich doch eigentlich jeder identifizieren können. Schließlich sind wir auch mit fünfzig noch die Kinder unserer Eltern und sehnen uns nach familiärer Harmonie. Emotional befindet Helen sich in einer Notlage, durch die alles, was sie macht, für mich einen Sinn bekommen hat. Ihre Rebellion ist eben gerade keine kalkulierte, deswegen hat mich das sehr berührt.
Es geht also weder der Autorin noch ihrer Figur Helen um gezielte Provokation?
Nein. Gerade Helen ist nicht absichtlich anders, um cool zu sein. Sie fühlt sich einsam, und davon versucht sie sich abzulenken. Mit ihrem ungewöhnlichen Verhalten überspielt sie ihre Hilflosigkeit, hat aber dabei auch null Selbstmitleid. Da fühlte ich mich fast ertappt, denn ich bin – wie die meisten – durchaus nicht frei von Selbstmitleid. Alles, was sie tut, hat eine Funktion, die weit über Provokation hinausgeht. Und sei es nur, um andere Menschen zu testen, weil Helen niemandem vertraut. Wenn ich eine Person mit wirklich krassen Sachen konfrontiere und sie mich immer noch akzeptiert, dann scheint sie es ernst mit mir zu meinen. Das hat mit Voyeurismus oder Plakativität nichts zu tun.