Der baden-württembergische Landeschef der Grünen, Chris Kühn, sieht den angestrebten Konsens mit der Koalition nicht als Verrat an der Basis.
Stuttgart - Erbittert streitet sich die Anhängerschaft der Grünen, ob sie dem Fahrplan der Kanzlerin zum Atomausstieg folgen soll. Dies ist nicht die einzige Zerreißprobe für die Ökopartei. Viele weitere werden folgen - erst recht, wenn sie dem Werben von Angela Merkel noch öfter nachgibt. Angela Merkel mache es sich sehr einfach, meint der Grünen-Landesvorsitzende Chris Kühn im Interview.
Herr Kühn, rechnen Sie mit einer klaren Mehrheit unter den baden-württembergischen Delegierten für den Ausstiegsbeschluss der Bundesregierung?
An der Frage entzündet sich eine kontroverse Debatte. Bei uns in Baden- Württemberg gibt es einige, die sagen: wir müssen schneller raus aus der Atomkraft. Sie hängen eng mit der Anti-AKW-Bewegung zusammen. Insofern kann ich ihre Ablehnung nachvollziehen. Aber die große Mehrheit unseres Landesverbandes ist für den Antrag des Bundesvorstandes. Darin machen die Grünen deutlich, dass wir bereit sind für den Atomausstieg, aber auch große Kritik an dem Gesetzespaket von Schwarz-Gelb haben. Es ist in vielen Bereichen eine Mogelpackung von Angela Merkel. Doch wir stellen uns der Verantwortung.
Dabei müssen Sie allerdings aufpassen, dass Ihnen nicht Teile der Basis abhanden kommen.
Der Parteitag ist auch der Versuch, dass eben das nicht passiert. Merkel macht sich das sehr einfach: Sie lädt ihre Kreisvorsitzenden nach Berlin ein, erklärt ihnen, wie es läuft, und geht wieder. Bei uns gibt es die Debatte über den Leitantrag, zu dem es einige Änderungsanträge geben wird. Das ist gelebte innerparteiliche Demokratie.
Der Konsens mit Schwarz-Gelb könnte als Verrat an der grünen Basis gesehen werden.
Ich sehe das ganz und gar nicht als ein Verrat an der Basis. Es ist vielmehr eine Entscheidung, die wir ihr in die Hand geben. Merkel steht vor dem Scherbenhaufen ihrer Energiepolitik. Daher werbe ich für eine Zustimmung, weil es auch ein historischer Erfolg der Anti-Akw-Bewegung ist. Da können wir Grünen nicht außen vor bleiben. Und das Thema Atomkraft wird nicht enden mit dem Ausstiegsbeschluss. Es gibt noch eine Vielzahl von Fragen, denen sich künftige Regierungen stellen müssen.
Wie pragmatisch dürfen die Grünen noch sein, ohne das Profil zu verwässern?
Profillos würden wir, wenn wir bedingungslos bei allem mitmachten, was Merkel vorschlägt - das tun wir nicht. Unsere Haltung ist zwar nicht in einem Satz auf den Nenner zu bringen. Aber so einfach ist Politik nicht. Profillos wird man, wenn man versucht, Politik einfach zu machen.
Wie viel basisdemokratische Bewegung steckt noch in den Grünen - und wie viel Regierungspartei?
Im Parteitag steckt viel Basisdemokratie. Unsere Kreisverbände sind nach wie vor sehr gefragt - bei ihnen liegt letztlich die Entscheidung. Eine Partei ist aber nicht gleich einer Bewegung. Und klar ist, dass man in der Regierung Kompromisse eingehen muss. Das haben wir im Koalitionsvertrag an vielen Punkten erlebt.
Auch den Protest gegen Stuttgart 21 muss man mit dem Regierungshandeln zusammenbringen - kann der immer neue Spagat auch mal misslingen?
Wir haben eine klare Linie in der Regierung und stehen noch an der Seite der Stuttgart-21-Proteste - auch wenn der Protest Grenzen hat. Wir Grüne machen den Spagat schon seit unserer Gründung, auch in anderen Landesparlamenten. Insbesondere unter Rot- Grün im Bund sind schwierige Entscheidungen gefällt worden. Für den Atomausstieg von Jürgen Trittin sind wir nicht geliebt worden in der Bewegung. Das ist bis heute zu spüren. Es ist wichtig für eine Partei, den Draht zu der Bewegung nicht zu verlieren, aus der sie kommt. Wir stellen uns der Aufgabe und sind vielleicht auch deswegen erfolgreicher als andere.
Inwieweit hat Winfried Kretschmann das innere Machtgefüge der Parteiführung verändert?
Innerparteilich sortieren sich die Grünen neu. Indem sie als Partei wachsen, gewinnen die Länder für uns an Gewicht. Wir finden mehr Ebenen wie den Bundesrat, um durchsetzungsfähig zu sein. Mit Kretschmann ist ein neuer Player da, aber das heißt nicht, dass jemand anderes an Macht verliert.
Hat Schwarz-Grün nun eine Chance?
Jede Schwarz-Grün-Debatte ist völlig verfehlt. Schauen Sie sich mal die Regierungsbeteiligungen der Grünen in den Ländern an. Die sind mehrheitlich von einer Zusammenarbeit mit der SPD geprägt. So riecht es nicht nach Schwarz-Grün, sondern eher nach einer Koalition mit der SPD auf Bundesebene. Mit dem Atomkonsens entfällt eine Hürde, aber das heißt nicht, dass es für eine Koalition mit der CDU reicht. Die inhaltlichen Überschneidungen fehlen. Die CDU hat uns bis zum März als Dagegen-Partei verteufelt und als Hauptgegner auserkoren. Jetzt ist es nicht so, dass Merkel mit uns offensiv in den Dialog tritt. Einen Kuschelkurs mit den Schwarzen wird es daher bis zur Bundestagswahl 2013 in keiner Art und Weise geben.