Obwohl viele nach ihm rufen, will der nordrhein-westfälische FDP-Vorsitzende Christian Lindner nicht Vorsitzender im Bund werden. Er hält aber eine Renaissance seiner Partei für möglich.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)
Stuttgart – Viele Liberale wünschen sich eine Ablösung des angeschlagenen Parteichefs Philipp Rösler durch ein Zweierteam aus dem nordrhein-westfälischen FDP-Vorsitzenden Christian Lindner und Fraktionschef Rainer Brüderle. Der eine könnte die Partei führen, der andere die Spitzenkandidatur im Bundestagswahlkampf übernehmen. Doch Lindner hält nichts von einer Doppellösung und will selbst in Düsseldorf bleiben.
Deutschland ist im Kern ein liberales Land. Warum fällt es der liberalen Partei trotzdem so schwer, erfolgreich zu sein?
Die Menschen haben sich seit 2009 nicht in ihren Werten verändert. Die Mitte der Gesellschaft ist geprägt vom Wunsch nach Selbstbestimmung, Leistungsgerechtigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Die FDP hat es in den letzten Jahren nicht immer vermocht, diesem liberalen Lebensgefühl erkennbar Ausdruck zu geben. Es ist aber nicht verloren.

Was ist nötig, um dieses Lebensgefühl zu treffen?
Das ist eine Frage des Stils und der Prioritäten. Im Stil geht es um Professionalität und Sachlichkeit. Bei den Prioritäten geht es darum, spürbar Partei für die Mitte zu ergreifen. Wir wollen einen Staat, der uns bei den großen Lebensrisiken nicht im Stich, aber im Alltag in Ruhe lässt. Er muss aus der Abhängigkeit der Finanzmärkte befreit werden. Wir wollen sichere Arbeitsplätze und bezahlbare Energie. Und faire Aufstiegschancen gibt es nur, wenn wir mehr für Bildung tun.

In Baden-Württemberg war der Landesparteitag der Liberalen am vergangenen Wochenende geprägt von innerparteilichen Rivalitäten und verbalen Schlammschlachten. Ist das der neue Stil der FDP?
Der Parteitag war hoffentlich ein reinigendes Gewitter. Ich war in den letzten Wochen einige Male in Baden-Württemberg zu Gast und habe erlebt, dass die Liberalen hier großes Potenzial haben. Daher wünsche ich Dirk Niebel für seine erste Spitzenkandidatur viel Erfolg.

Ihr zweites Stichwort lautete Prioritäten. Lange Zeit kannte die FDP nur eine: Steuersenkungen. Ist diese Verengung beendet?
Die letzten Entscheidungen der schwarz-gelben Koalition gehen in die richtige Richtung: Sie forciert den Entschuldungskurs. Auf Initiative der FDP soll 2014 ein strukturell ausgeglichener Haushalt vorliegen. Das wiegt umso schwerer, als in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen von SPD und Grünen die Verschuldung hochgefahren wird.

Ist das eine glaubwürdige Politik, wenn Sie für 2014 Sparerfolge ankündigen, aber jetzt erst mal die Praxisgebühr abschaffen, das Betreuungsgeld einführen und Niedrigrenten aufbessern?
Die Abschaffung der Praxisgebühr belastet den Haushalt nicht. Sie entlastet uns alle aber von ärgerlicher Bürokratie. Im Haushalt hat es seit 2009 Fortschritte bei der Entschuldung gegeben, die nicht verspielt werden dürfen. Rot-Grün begibt sich aber gerade auf den Kurs der Franzosen unter François Hollande. Ich bedauere die teilweise aufgeheizten Debatten und überzogene Umverteilungspolitik.

Damit scheinen beide Parteien das Lebensgefühl besser zu treffen als die FDP.
Ich sehe nicht, dass es für diesen Linksschwenk eine Mehrheit gibt. Die Menschen wissen sehr genau, dass der Staat durch früher eingegangene Verpflichtungen gefesselt ist. In NRW sagen in Umfragen 77 Prozent, dass sie gerne auf neue Wohltaten aus der Hand von Hannelore Kraft verzichten, wenn dafür die Schuldenlast verringert wird. Die Bürger sind klüger als viele Politiker.

Sie haben bereits in den letzten Wochen kräftig auf SPD und Grüne eingedroschen. Haben Sie Angst, rot-grün-gelber Umtriebe verdächtigt zu werden?
Nein. Es ist kein Geheimnis, dass ich in der SPD genauso viele Gesprächspartner habe wie in der CDU. Aber ich muss feststellen, dass sich SPD und Grüne von ihrer erfolgreichen Agenda-Politik abwenden. Je stärker sie nach links driften, desto kleiner werden die Berührungspunkte mit der FDP.

Angela Merkel macht der FDP das Leben in der Koalition nicht gerade einfach. Da täten Ihnen ein paar koalitionäre Lockerungsübungen doch ganz gut?
Das ist kein Selbstzweck und kein Spiel. Die SPD sagt beispielsweise, Reiche müssten viel höhere Steuern zahlen. Zu den Reichen gehört im Kleingedruckten aber schon der erfahrene Facharbeiter. Das ist mit uns nicht zu machen. Nehmen Sie die Bildungspolitik: Wenn in Ländern wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg das Gymnasium benachteiligt wird, kann die FDP nicht zustimmen.

Einige Christdemokraten scheinen eine Koalition mit den Grünen auch im Bund ganz sympathisch zu finden. Erwächst der FDP durch schwarz-grüne Fantasien eine neue Gefahr?
Diese Annäherung kann die FDP nach den Erfahrungen des NRW-Wahlkampfs mit Gelassenheit sehen. Wenn die Union im Bundestagswahlkampf im Stillen an die Strategie von Norbert Röttgen anknüpft, eröffnet das der FDP die Chance, klarer Gegenpol zur grünen Bevormundungspolitik zu sein.

Bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen haben die Liberalen den Sprung über die Fünfprozent-hürde geschafft, weil sie mit Wolfgang Kubicki und Ihnen zwei markante, kampfeslustige Spitzenkandidaten hatten. Sehen Sie in Philipp Rösler den richtigen Spitzenmann für die Bundestagswahl?
Personalspekulationen lenken von Sachpolitik ab. Auf unserem nächsten Parteitag wählen wir turnusmäßig den Vorsitzenden. Der Parteichef ist immer auch Spitzenkandidat für die nächste Bundestagswahl.

Sie selbst betonen auffällig oft, Ihr Platz sei in Düsseldorf. Heißt das, dass Sie als Parteichef oder Spitzenkandidat nicht zur Verfügung stehen?
Genau das heißt es. Beide Positionen sind auch nicht vakant . . .

Das kann sich nach der Niedersachsenwahl im Januar sehr schnell ändern.
Ich habe erst im Mai zugesagt, mich in NRW zu engagieren. Jetzt bin und bleibe ich hier. Zur notwendigen Seriosität in der Politik gehört für mich, dass man solche Zusagen erfüllt.