Bosch-Geschäftsführer Christoph Kübel kritisiert im StZ-Interview die Rente mit 63 als nicht finanzierbar. Der Zulieferer tue viel, um langjährige Beschäftigte körperlich und geistig fit zu halten.

Stuttgart – - Rente mit 63, Zuwendungen für Familien – die Bundesregierung beschäftigt sich mit vielen Wohltaten. Bosch-Geschäftsführer Christoph Kübel sieht solche Projekte kritisch.
Herr Kübel, viele Unternehmen klagen über Fachkräftemangel, gleichzeitig startet die Bundesregierung das Projekt Rente mit 63. Wie passt das zusammen?
Bei Bosch bereiten wir uns schon länger auf den demografischen Wandel und den absehbaren Fachkräftemangel vor. Wir sehen in altersgemischten Teams einen Vorteil. Mein Respekt gilt den Menschen, die 45 Jahre lang gearbeitet haben. Ein Projekt wie die Rente mit 63 muss aber auch volkswirtschaftlich finanzierbar sein. Und dies sehen wir aktuell nicht. Wir bei Bosch sehen die abschlagsfreie Rente mit 63 daher kritisch.
Wie viele Mitarbeiter bei Bosch könnten denn mit 63 in Rente gehen?
Nach unserer Hochrechnung über die nächsten zehn Jahre ist das ein sehr geringer Teil unserer Beschäftigten in Deutschland. Wir sprechen von einer Größenordnung von ein bis zwei Prozent. Aktuell beschäftigen wir 107 000 Mitarbeiter in Deutschland. Unabhängig davon haben bereits heute viele Mitarbeiter bei uns die Möglichkeit, vor der Regelaltersgrenze aus dem Berufsleben auszuscheiden, etwa über Altersteilzeit.
Da bei der Rente mit 63 auch Arbeitslosigkeit eingerechnet werden soll, könnten Mitarbeiter künftig schon mit 61 in Rente gehen. Ist das nicht attraktiv für ein Unternehmen?
Die Rente mit 67 ist meiner Ansicht nach der richtige Weg. Aufgrund der demografischen Entwicklung sind Unternehmen künftig verstärkt auf das Wissen und die Arbeitskraft älterer Menschen angewiesen. Und dies ist möglich, weil die Menschen länger gesund und leistungsfähig bleiben als in der Vergangenheit. Bei der abschlagsfreien Rente mit 63 bleibt gesamtwirtschaftlich gesehen die Finanzierbarkeit des Projektes ein ungelöster Punkt. Ein sehr wichtiges Kriterium für mich ist zudem, dass nur diejenigen die Möglichkeit in Anspruch nehmen können, die auch tatsächlich 45 Beitragsjahre geleistet haben.
Bosch tut viel für die Fitness der Älteren.
Wir bieten der gesamten Belegschaft ein Gesundheitsmanagement an, das sich auch an den Bedürfnissen älterer Mitarbeiter orientiert. Dabei geht es sowohl um körperliche als auch um geistige Fitness. Wir legen großen Wert auf lebenslanges Lernen. Dafür analysieren wir systematisch, welche Kompetenzen jeder einzelne Mitarbeiter in den nächsten Jahren benötigt. Entsprechend schulen wir. Damit stellen wir sicher, dass ältere Mitarbeiter wichtige Leistungsträger bleiben.
Vor allem Arbeitsplätze in der Produktion sind belastend. Wie sieht da die Lösung aus?
Wir analysieren und zertifizieren dort zum Beispiel jeden Arbeitsplatz im Hinblick auf gesundheitliche Aspekte. Damit stellen wir sicher, dass Mitarbeiter auch jenseits der 60 noch arbeiten können.
Aber ein ergonomisch gestalteter Arbeitsplatz allein bringt noch keine Fitness.
Uns geht es auch darum, Menschen geistig flexibel zu halten. Ein Mitarbeiter macht eine Tätigkeit nicht sein Leben lang, vielmehr bieten wir ständig wechselnde Aufgaben mit neuen Herausforderungen.
Sind ältere Boschler noch so flexibel, dass sie gerne den Arbeitsplatz wechseln? In anderen Unternehmen scheint es Probleme zu geben.
Wir halten eine solche Flexibilität für wichtig und fordern dies auch ein. Und wir machen die Erfahrung, dass unsere Mitarbeiter diese Möglichkeiten zunehmend annehmen.
Mit der Rentenpolitik der Bundesregierung gehen Sie kritisch ins Gericht. Wie sehen Sie die Ansätze in der Familienpolitik? Braucht es überhaupt weitere Regelungen, um Familie und Beruf zu vereinbaren?
Aus unserer Sicht ein klares Nein. Bosch hat beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sehr viele Themen in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht. Bosch bietet rund 100 verschiedene Arbeitszeitmodelle. Wir haben mittlerweile auch eine große Zahl von Vätern, die in Elternzeit gehen. Vor vier Jahren waren es noch weniger als 20 Prozent, aber inzwischen sind 70 Prozent unserer Elternzeitler Männer, die sich mindestens zwei Monate ausschließlich um ihr Baby kümmern. Im Übrigen gilt in der Metall- und Elektroindustrie die 35-Stunden-Woche, darüber hinaus hat jeder Mitarbeiter einen tariflichen Anspruch auf Teilzeitarbeit.
Und Sie tun auch etwas für die Führungskräfte.
Wir wollen auch bei Führungskräften mehr Flexibilität ermöglichen und sie als Vorbilder für die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben gewinnen. In einem Programm testen aktuell 650 Führungskräfte weltweit flexiblere Arbeitszeiten und können so persönliche Erfahrungen sammeln. Sie können in Teilzeit arbeiten oder teilweise von zu Hause tätig sein. Und viele wollen dieses Modell gern im Anschluss beibehalten.
Aber das Arbeitspensum der Führungskräfte wird doch nicht reduziert. Verleitet das nicht zur Selbstausbeutung?
Ändert sich durch Teilzeit die Arbeitszeit, reduziert sich auch der Arbeitsumfang. Wir wollen uns bei Bosch weg von einer Anwesenheitskultur und hin zu einer Ergebniskultur entwickeln. Dann spielt es keine Rolle, ob ich zu Hause oder am Schreibtisch arbeite. Ich bin regelmäßig im Austausch mit den Führungskräften, die an dem Programm teilnehmen. Deren Rückmeldung ist, dass dieses Programm nicht zu einer zusätzlichen Belastung führt, die Teilnehmer sind vielmehr sehr zufrieden. Uns geht es um mehr Flexibilität für den Einzelnen; er soll sich die Arbeit selbst einteilen können.
Und wenn eine Führungskraft einmal nicht erreichbar ist?
In unseren Leitlinien für eine familienbewusste Arbeitskultur steht, dass wir am Wochenende oder im Urlaub den Mitarbeiter nicht stören. Ausnahme sind natürlich dringende Notfälle, falls auch der Vertreter des Mitarbeiters nicht helfen kann. Ich hatte 2013 vielleicht fünf Fälle, wo ich am Wochenende einen meiner Mitarbeiter dringend erreichen musste. Ich selber werde genauso selten in der Freizeit kontaktiert.
Bei so einem Angebot müsste Bosch attraktiv für Frauen sein.
Wir stellen deutlich mehr Frauen ein als in der Vergangenheit. Sie dürfen dabei aber nicht übersehen, dass gerade zehn bis 20 Prozent der Absolventen mit technischem Hintergrund weiblich sind. Unser Ziel ist, jeweils 20 Prozent mehr als die Absolventinnenquote eines Studiengangs einzustellen. Wir wollen bis 2020 außerdem einen Frauenanteil in Führungspositionen von 20 Prozent erreichen. Zwischen 2005 und heute haben wir uns pro Jahr um ein bis 1,5 Prozent gesteigert und liegen aktuell bei einem Frauenanteil in Führungspositionen bei 11,8 Prozent weltweit.
Anderes Thema: Wie wird sich die Beschäftigung in Deutschland entwickeln?
Lassen Sie mich etwas ausholen. Das Wirtschaftswachstum in Europa bleibt weiter unter dem langjährigen Durchschnitt. In vielen Bereichen haben wir bis heute das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht. Deshalb ist es zunächst wichtig, die Beschäftigung zu sichern. Dafür ist die Flexibilität an unseren Standorten wesentlich. An fast allen europäischen Standorten können wir mittlerweile Abrufschwankungen von 20 Prozent flexibel ausgleichen. Zudem gestalten wir Prozesse effizienter und sparen Kosten ein, etwa durch unser betriebliches Vorschlagswesen. Dank der Verbesserungsvorschläge unserer Mitarbeiter konnten wir zuletzt allein in Deutschland rund 40 Millionen Euro einsparen, acht Millionen Euro davon haben wir als Mitarbeiterprämien ausgeschüttet.
Und wie entwickelt sich nun die Beschäftigung in Deutschland?
Vor dem genannten Hintergrund gehen wir per Saldo in Deutschland für 2014 von einem leichten Rückgang der Belegschaft von rund einem Prozent aus. Dabei wollen wir die übliche Fluktuation nutzen. Aber wir stellen auch weiterhin ein – etwa Hochschulabsolventen und rund 1400 neue Auszubildende.
Wie sieht es weltweit aus?
Wir rechnen damit, dass wir 2014 weltweit einen Zuwachs von 8000 bis 9000 Mitarbeitern sehen werden. Schwerpunkt ist dabei die Wachstumsregion Asien/Pazifik.