Der Dekra-Chef Stefan Kölbl kündigt an seiner Stuttgarter Konzernzentrale Investitionen in Höhe von 30 Millionen Euro an. Vor allem in Südostasien und Nordamerika will Dekra wachsen – und setzt auf das Handelsabkommen TTIP.

Stuttgart – - Der Dekra-Konzern, der auf Prüf-Dienstleistungen spezialisiert ist, hat sich für die Zeit bis zum 100. Gründungsjubiläum viel vorgenommen: Bis 2025 soll der Umsatz verdoppelt werden. Vorstandschef Stefan Kölbl erläutert, wie er das schaffen will – und welche Rolle der Sitz Stuttgart künftig spielen wird.
Herr Kölbl, Europäer und Amerikaner verhandeln über das Freihandelsabkommen TTIP, das unter anderem zu einheitlichen Standards führen soll, zum Beispiel bei der Sicherheit von Geräten, Maschinen und Anlagen. Skeptiker befürchten, dass das zu einer Angleichung der Standards nach unten führen wird. Zu Recht?
Wir Europäer müssen selbstbewusst auftreten, damit der hohe europäische Sicherheitsstandard bei den Prüfungen erhalten bleibt. Was bei der TTIP-Diskussion abläuft, beobachten wir häufig in der Welt. Wir Deutschen wollen möglichst hohe Standards, andere eher niedrigere. Das haben wir auch innerhalb von Europa gesehen, als es um Mindestanforderungen für die technische Überwachung von Fahrzeugen ging. Da haben sich Länder, die einen niedrigeren Standard haben, sehr stark dafür engagiert, das Niveau zu drücken. Insgesamt bin ich zuversichtlich, dass wir bei TTIP zu einer guten Lösung kommen.
Wie wird die Praxis aussehen? Neue Standards oder gegenseitige Anerkennung von Standards?
Beides wäre ein Fortschritt. Allgemein verbindliche Standards und Normen müssen das Ziel sein. Angesichts vieler bestehender Normen wird es meist darum gehen, die Standards gegenseitig anzuerkennen.
Dekra ist ein internationaler Konzern, da kennen Sie beide Seiten. Wer hat bei Autos die strengeren Vorgaben, die Europäer oder die Amerikaner?
In der Summe haben wir in Europa und gerade in Deutschland hohe bis höchste Standards – echte Weltklassestandards. In vielen Bereichen ist das in Nordamerika ähnlich, zum Beispiel bei Crashtests.
Wenn aus – mindestens – zwei Vorschriften nur noch eine wird, dann fällt für Unternehmen wie Dekra Geschäft weg. Können Sie das ausgleichen?
Die Arbeit wird uns – ob mit oder ohne TTIP – bestimmt nicht ausgehen. Unser ganzer Einsatz gilt der Sicherheit. Das ist auch unser satzungsgemäßer Auftrag, den uns unsere Gründungsväter 1925 ins Stammbuch geschrieben haben. Deshalb sind wir sehr interessiert an möglichst einheitlichen, hohen Standards.
Dekra wird in diesem Jahr 90 Jahre alt, da richtet sich der Blick fast automatisch schon auf das nächste, größere Jubiläum, das dann im Jahr 2025 stattfinden wird. Welche Ziele haben Sie für die Zeit bis dahin?
Seit dem Jahr 2000 haben wir den Umsatz fast verdreifacht und die Mitarbeiterzahl vervierfacht. Das ist eine enorme Entwicklung. Wir sind aber in einigen Märkten noch nicht da, wo wir sein wollen. Unser Ziel ist insgesamt ein Wachstum von jährlich sechs bis acht Prozent. Das würde bis 2025 nahezu eine Verdoppelung unseres Umsatzes von gegenwärtig 2,5 auf etwa fünf Milliarden Euro bedeuten. Regional werden Nordamerika und Südostasien/China unsere größten Wachstumsmärkte sein. In beiden Regionen wollen wir bis 2020 einen Umsatz von jeweils etwa 250 Millionen Euro erreichen. Gegenwärtig haben wir etwa 65 Millionen Euro in Nordamerika und knapp 100 Millionen Euro im Raum Asien/Pazifik.
Werden sich die Gewichte im Konzern verschieben?
Wir kommen von unserer Tradition her aus dem Geschäftsfeld Fahrzeugprüfung. Die Verkehrssicherheit war 1925 der Gründungsanlass für Dekra. Mit den Themen Produktprüfung, Organisations- und Sicherheitsberatung vom Topmanagement bis zum Arbeiter in der Produktionshalle sowie Anlagenprüfung beschäftigen wir uns erst seit relativ kurzer Zeit – seit acht Jahren. Die Fahrzeugsicherheit wird weiterhin einer unserer Schwerpunkte sein. Mit unserer Expertise wollen wir weltweit die Verkehrssicherheit steigern. Dabei ist insbesondere die Trennung von Reparieren und Prüfen wichtig, um im Interesse von Verkehrssicherheit und Verbraucherschutz eventuelle Interessenkonflikte auszuschließen. Darüber hinaus werden wir zum Beispiel in die Produktprüfung verstärkt investieren.
Was trägt die Produktprüfung zurzeit bei?
In dieses Geschäft sind wir 2009 durch die Übernahme von Kema Quality in den Niederlanden eingestiegen. Wir prüfen nicht nur elektrische Geräte, sondern zum Beispiel auch Medizinprodukte vom Blutdruckmessgerät bis zur Gefäßstütze (Stent). Zu Jahresbeginn ist ein weiteres spannendes Gebiet hinzugekommen: Wir haben das Testinstitut Quietek in Taiwan übernommen, das sich auch mit elektromagnetischer Verträglichkeit zum Beispiel von Mobiltelefonen bis hin zu Automobilelektronik beschäftigt. Quietek ist auch in China tätig. An zwei weiteren Akquisitionen, über die ich noch nicht sprechen kann, sind wir dran. Der aktuelle Umsatz in der Produktprüfung liegt bei rund 80 Millionen Euro.
Gibt es noch neue Geschäftsfelder?
Unser jüngstes Geschäftsfeld, das wir erst seit vier Jahren haben, ist die Unternehmensberatung rund um das Thema Sicherheit. Dabei handelt es sich um Organisations- und Prozessberatung unserer Tochter Behavioral Science Technology (BST) mit Sitz in Kalifornien. Da geht es zum Beispiel um die Frage, wie eine Raffinerie, ein Kraftwerk oder eine Mine maximal sicher betrieben werden können. 2011 haben wir in Großbritannien das Unternehmen Chilworth Global gekauft, das weltweit aktiv im Bereich Explosionsschutz ist. Denn Staub kann beispielsweise so gefährlich sein wie Feuer. Das Geschäft mit der Sicherheitsberatung und Explosionsschutz von BST, Chilworth und RCI haben wir in der Dekra Insight gebündelt; das wollen wir noch weiter ausbauen.
Dekra war in den letzten Jahren eine Jobmaschine; gegenwärtig haben Sie etwa 35 000 Mitarbeiter. Wird es weitere neue Arbeitsplätze geben?
Wir haben im vorigen Jahr 2400 Mitarbeiter neu hinzugewonnen, durch organisches Wachstum und durch Akquisitionen. Seit meinem Amtsantritt im Jahr 2010 haben wir 13 000 Mitarbeiter an Bord genommen. Im Zuge unserer weiteren Internationalisierung erwarte ich auch für die nächsten Jahre einen nachhaltigen und dynamischen Anstieg unserer Belegschaft.
Welchen Stellenwert hat Stuttgart?
Hier ist nicht nur die Konzernzentrale, sondern auch die Leitung von operativen Einheiten. In den letzten fünf Jahren haben wir am Standort Stuttgart 500 neue Stellen geschaffen und beschäftigen jetzt knapp 1300 Mitarbeiter. Wir sind insgesamt im Unternehmen in einer stark investiven Phase, und das gilt auch für Stuttgart. Wir investieren hier insgesamt 30 Millionen Euro bis 2016 in drei Gebäude unserer Konzernzentrale in Vaihingen. Der Personalaufbau wird hier ebenso wie im Rest Baden-Württembergs, wo die Zahl der Arbeitsplätze innerhalb von fünf Jahren um 560 zugenommen hat, weitergehen. Wir werden sowohl in Stuttgart als auch national und international weiterwachsen.