Der Szenewirt Reiner Bocka hat kürzlich das Marienplatzfest mitveranstaltet – der Süden zieht die Nachtschwärmer derzeit magisch an. Im Interview spricht Bocka über Stuttgarts urbane Seiten, die katholische Kirche und schwäbische Bruddler.

Stuttgart- - Autofahrer hupen wütend, Lastwagen dröhnen, während sie auf der Hohenheimer Straße beschleunigen. Geschäftsleute hasten durch die Passage am Hochhaus unter dem Charlottenplatz hindurch. Der Charme des Ortes erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Reiner Bocka hat ihn trotzdem als Treffpunkt für das StZ-Sommerinterview ausgewählt. Der Szenewirt hat kürzlich das Marienplatzfest mitveranstaltet – der Süden zieht die Nachtschwärmer derzeit magisch an. Im Interview spricht Bocka über Stuttgarts urbane Seiten, die katholische Kirche und schwäbische Bruddler.
Herr Bocka, wir stehen hier am Charlottenplatz, der Wind pfeift uns um die Ohren, der Verkehr rauscht, eine Zahnarztpraxis wirbt für das schönste Lächeln Stuttgarts. Warum treffen wir uns ausgerechnet hier?
Genau an diesem Ort hat für mich in Stuttgart alles begonnen. Ich bin aus der wunderschönen Kleinstadt Tübingen geflüchtet, wo ich zuvor studiert und gearbeitet habe und irgendwann gemerkt habe: Es ist hier vorbei für mich, ich muss weg. So kam ich im Oktober 2000 nach Stuttgart, wo ich niemand kannte.
Und dann hatten Sie Zahnschmerzen und sind hier in der Praxis gelandet?
Nein, wo heute die Praxis ist, befand sich damals eine Bar. Ich wohnte in der Nähe und wurde am Charlottenplatz von ein paar Freaks angesprochen, die mir einen Flyer in die Hand drückten, der für eine Party namens „Session“ warb. Die Party lief immer sonntags und war total ungewöhnlich. Sie wurde von fünf Leuten veranstaltet, die dort ihre Urlaubsbilder zeigten, wenn sie Lust hatten, ihre Trommeln auspackten und in dem winzigen Raum Massageliegen aufstellten. Die haben ihr Wohnzimmer in die Bar verlagert.
Und Sie sind dann mit eingezogen?
So ähnlich lief es tatsächlich. Ich war dort bald jeden Sonntag, anfangs habe ich nur zugeschaut, bis ich irgendwann mit eingestiegen bin. Ich habe die Bar mit dekoriert, beim Auf- und Abbau mitgeholfen und in der Koh-Bar Freunde gefunden, mit denen ich noch heute eng befreundet bin. Das waren sehr eigenständige Leute.