Nach Ansicht von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) müssen Lehren aus der folgenschweren Panne beim Bau des Rheinbahntunnels gezogen werden.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Stuttgart - Durch die Panne beim Bau des Tunnels bei Rastatt ist der Bahnverkehr im ganzen Land über längere Zeit schwer beeinträchtigt gewesen. Nach Ansicht von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) müssen nicht zuletzt auf politischer Ebene Lehren aus der Havarie und deren fatalen Folgen gezogen werden. „Die neue Bundesregierung muss mehr Geld für den Ausbau des Schienenverkehrs bereitstellen“, sagt er.

 
Herr Minister Hermann, die Rheintalstrecke wird nach wochenlanger Sperrung bei Rastatt wiedereröffnet. Ein guter Tag für den Schienenverkehr im Land?
Die Freude, dass die Züge wieder fahren können, ist groß. Durch die Havarie ist ja der Schienenverkehr nicht nur im Land schwer beeinträchtigt gewesen, sondern in halb Südeuropa. Unzählige Fahrgäste mussten Einschränkungen in Kauf nehmen, der Gütertransport musste neu organisiert werden – da ist jetzt schon eine Erleichterung zu spüren. Dass aber die Bahn eine Verzögerung beim Ausbau der Rheintalbahn bei Rastatt um rund zwei Jahre in Folge der Tunnelhavarie verkünden muss – da bleibt einem die Freude über die Wiederinbetriebnahme im Halse stecken.
Mit Abstand betrachtet: Haben die Deutsche Bahn AG und die beauftragten Baufirmen zu viel gewagt beim Tunnelbau?
Die gewählte Baumethode wird von den Fachleuten als bewährt beschrieben. Und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln. Aber klar: Wenn dann trotzdem solch ein Unglück passiert, stellen sich elementare Fragen – auch die Frage danach, ob das Risiko nicht doch zu hoch war. Und dies zumal die jetzt bekannt gewordene Verzögerung zeigt, dass sich die Folgen der Havarie gravierender und langfristiger auswirken, als zunächst angenommen.
Welche Lehren müssen gezogen werden?
Eines ist sicher: Wenn Operationen am offenen Herzen stattfinden – und das ist eine solche Baustelle auf einer der Hauptverkehrsachsen in Europa –, dann muss künftig mit Netz und doppeltem Boden gearbeitet werden. Wir brauchen vorab ein Krisenszenario, und es sollte klar sein, welche Ausweichstrecken im Notfall zur Verfügung stehen. Dass parallel auch noch die Gäubahn saniert wurde, die eine Alternativroute gewesen wäre – das geht gar nicht.
Ist da nicht auch die Politik gefordert?
Absolut. Durch die Sperrung der Rheintalbahn ist überdeutlich geworden, dass das Schienennetz in Baden-Württemberg mittlerweile viel zu sehr ausgedünnt ist. Wir hatten Mühe, überhaupt Ersatzstrecken zu identifizieren, weil große Abschnitte noch nicht elektrifiziert sind oder nur ein Gleis zur Verfügung steht. Da muss der Bund als Finanzier dringend mehr tun. Das werden wir der neuen Regierung in Berlin entsprechend deutlich machen.
Sie liegen mit ihrem noch amtierenden Kollegen Alexander Dobrindt von der CSU seit längerem im Clinch. Er gibt Milliarden für den Ausbau der Rheintalschiene, für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke nach Ulm – so knapp wird der Südwesten doch nicht gehalten!
Es fließt viel Geld in diese Großprojekte. Und dies will ich auch gar nicht mehr hinterfragen. Was uns aber fehlt, sind zahlreiche kleinere Maßnahmen an Strecken, deren überregionale Bedeutung Berlin verkennt – und deshalb nicht bezahlen will.
Was meinen Sie konkret?
Ich denke an den zweigleisigen Ausbau zwischen Stuttgart und Zürich, an den Ausbau des Korridors zwischen Stuttgart und Nürnberg oder auch die Verbindung von Basel nach Lindau. Das sind wirklich dringliche Projekte. Für diese und einige andere benötigen wir in den nächsten Jahren zusätzlich zu den vorhandenen Mitteln rund eine Milliarde Euro.
Sind Sie hoffnungsfroh, dass da ausgerechnet eine Jamaika-Koalition hilft?
Aus meiner Sicht ist es klar, dass die Bahn vor allem im Blick auf den Güterverkehr deutlich ausgebaut und modernisiert werden muss. Vor allem der Schienengüterverkehr und seine Logistik sind technologisch nicht auf der Höhe der Zeit und zum Teil sogar sehr veraltet. Die Ertüchtigung ist notwendig, um wenigstens die erwarteten Zuwächse im Güterverkehr aufzufangen. Diese Einsicht ist nicht nur bei den Grünen, sondern auch bei der CDU und der FDP vorhanden. Für eine Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene müssen aber auch die Kapazitäten insgesamt dringend ausgebaut werden.
Über welche Investitionshöhe reden wir da?
Der Bund muss für bundesweite Projekte in den nächsten 15 Jahren rund 15 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln bereitstellen. Mit weniger Geld wird es kaum gehen. Und trotzdem bin ich überzeugt davon, dass es bei den Koalitionsverhandlungen strittigere Themen geben wird.

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