Die massiven Kursrückgänge sind verwunderlich, meint LBBW-Chefvolkswirt Peter Merk. Er warnt zur Vorsicht beim Kauf von Gold.  

Stuttgart - Herr Merk, über tausend Punkte hat der Deutsche Aktienindex in fünf Tagen verloren. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?

 

Der Dax fällt seit acht Tagen in Folge, das ist nicht nur ein deutlicher Rückschlag, sondern ein scheibchenweiser Crash.

Wieso hat es die heftigen Kursausschläge gegeben?

Vor allem die nachträglichen Korrekturen der US-Wachstumszahlen waren ein Hammer. Aber auch die Schuldenkrise bleibt sowohl in den USA als auch in Europa ein Thema, das man bis jetzt nicht wirklich in den Griff bekommt. Die Beschlüsse der Euroregierungschefs vom 21. Juli haben kein Übergreifen auf Länder wie Spanien oder Italien verhindert.

Weder die Schuldenkrise noch die Verlangsamung des Wachstums waren wirkliche Überraschungen.

Deswegen ist der massive Rückschlag auch verwunderlich. Aber inzwischen kennt man ja die Pawlow'schen Reflexe an den Märkten. Geht es runter, verabschieden sich Anleger von allen Risiken. Alle Werte, die potenziell stark schwanken können, sind dann betroffen.

Sind das Nachwehen der Finanzkrise?

Wir haben gelernt, wenn es runtergeht, müssen wir alle raus. Das hat man bei der Internetblase 2000 gesehen und 2008 nach der Pleite der US-Großbank Lehman Brothers.

Reiht sich das Jahr 2011 in diese Folge ein?

Wenn man die Aktiengesellschaften isoliert betrachtet, sollte das nicht so sein. In der Summe sind die Anteilsscheine recht moderat bewertet und alternative Anlageformen wie Bundesanleihen bringen nach Abzug der Inflation keine positive Realverzinsung. Das heißt aber trotzdem nicht, dass Aktien nicht noch billiger werden können. Im Moment sind die Märkte wieder im Krisenmodus.

Was könnte diese Lage beenden?

Die Diskussion über einen Rückfall in die Rezession hat zuletzt starken Schub bekommen und wird noch einige Zeit anhalten. Aber wenn sich zeigt, dass es keinen Absturz der Weltwirtschaft gibt, sollte sich die Lage beruhigen. Die zweite Belastung, die verschwinden müsste, ist die aus der europäischen Schuldenkrise. Es gibt aber keinen leichten Weg, um aus dieser Falle zu kommen. Notwendig wäre endlich eine konsequente und langfristig angelegte Vorwärtsstrategie, um die anhaltenden und von der Politik selbst verstärkten Negativspiralen in den betroffenen Ländern zu durchbrechen.

Wieso stehen zwei Wochen nach dem Rettungspaket für Griechenland Spanien und Italien am Pranger?

Das Grundvertrauen ist weg. Wir haben den Euro und damit auch ein absolut vernetztes Wirtschafts- und Finanzsystem in Europa geschaffen. Aber diese Länder haben nicht nur hohe Staatsschulden, sondern auch Leistungsbilanzdefizite und brauchen deswegen Kapitalimporte. Doch die Mittel will keiner mehr bereitstellen, solange das Damoklesschwert einer Staatspleite über den Märkten schwebt.

Wie sollten Privatanleger jetzt reagieren?

Es gibt keinen allgemein gültigen Ratschlag. Aber ich bin der Meinung, Anleger sollten ihr Geld zum größten Teil in der Währung investieren, in der sie ihre Ausgaben tätigen. Massiv aus Euroanlagen herauszugehen und auf diesem Niveau in Gold oder Franken zu investieren, halte ich für kritisch. Generell erwarte ich, dass es in den kommenden Jahren eine echte Herausforderung sein wird, eine positive Realverzinsung zu erreichen - also mehr durch die Geldanlage zu verdienen, als die Inflation wegfrisst. Bescheidenheit ist also angesagt.

Es gibt aber weiterhin qualitativ hochwertige Aktien, die eine stabile Dividende versprechen. Aber wenn das Momentum an der Börse abwärts gerichtet ist, kann kein Mensch sagen, bis wann der Absturz anhält.

Zur Person

Analyst: Peter Merk (58) ist seit 1999 Chefvolkswirt und Leiter des Bereichs Research der Landesbank Baden-Württemberg. Er analysiert die Konjunkturentwicklung und die internationalen Kapitalmärkte. Er ist stellvertretender Vorstandschef der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management.