Social TV gilt als neuer Fernsehtrend. Das sei nichts für jedermann, sagt der Experte Bertram Gugel.

Stuttgart -Fernsehen und Internet zusammenbringen: gleich zwei Produktionen versuchen sich in den nächsten Tagen an diesem zukunftsorientierten, aber nicht unkomplizierten Konzept. Am Sonntag läuft in der ARD ein SWR-Tatort, in dessen Anschluss „die Menschen, die man früher Zuschauer nannte“, wie man in der Branche flachst, im Internet einen Ermittlungsstrang selbst bearbeiten können. Und von Montag an startet der BR zeitgleich in Fernsehen und Internet das vierwöchige Social-TV-Projekt „Rundshow“, bei dem die Redaktion mit den Usern das Tagesthema ermittelt, das mit Zuschauern, Internetnutzern und Studiogästen diskutiert wird. Der Medienwissenschaftler Bertram Gugel ist ein Experte für Fragen rund um das neue Mitmachfernsehen .
Herr Gugel, ist aus Ihrer Sicht Social TV tatsächlich das nächste große Ding in der Medienbranche?
Unter dem Schlagwort Social TV werden wichtige Entwicklungen im Fernsehmarkt umschrieben, die Personalisierung, Parallelkonsum und Interaktion über Social Media umfassen. Der TV-Markt befindet sich im Wandel und in diesem Wandel spielt Social TV eine wichtige Rolle, es ist jedoch nicht die einzige Entwicklung.

Ist Social TV nicht nur etwas für Leute, die über zu viel Zeit und zu wenige Sozialkontakte verfügen? Wer hat denn nach Schule, Arbeit, Familienleben noch genügend Kraft, um ständig selbst am Schirm aktiv zu werden?
Interaktion um TV-Inhalte ist sicherlich nichts für jedermann und passt auch nicht zu jedem Inhalt, aber diesen Anspruch erhebt Social TV meiner Meinung nach auch nicht. Es ist vielmehr ein Angebot an alle, die tiefer einsteigen, sich mit den Inhalten auf einer neuen Ebene auseinandersetzen und mit den Programmmachern und anderen Zuschauern in Kontakt treten wollen.

Aber wollen diejenigen, die sich vor einen Fernseher setzen, nicht zumeist passiv unterhalten werden?
Interaktion während des TV-Konsums war doch schon immer Teil des Fernsehrituals. Bisher waren die gängigsten Interaktionen das Gespräch mit anderen Zuschauern auf der Couch, der Gang zum Kühlschrank oder das Bügeln. Mit dem Aufkommen von Smartphones und Tablets wird nun auch vermehrt parallel zum TV im Netz gesurft – je nach Studie liegt der Parallelkonsum in der jüngeren Altersgruppe bei bis zu 86 Prozent. Social TV versucht diese Parallelnutzung zu kanalisieren, so dass die Nutzer nicht nebenher E-Mails checken, sondern sich mit dem Programm befassen.

Wenn das denn ein Trend ist: Welche Formate haben am ehesten das Potenzial, mit Social TV erfolgreich zu sein?
Da stehen wir noch ganz am Anfang. Die wenigsten TV-Formate binden eine Social- TV-Komponente direkt ins Programm ein. Meist werden dafür lediglich eingeblendete Schriftbänder genutzt, oder die Moderatoren fassen kurz mündlich die Onlinebeiträge der Zuschauer zusammen. Ich bin der Meinung, dass sich vor allem Shows, Events und Sportveranstaltungen für Social TV eignen, weil dort einfacher auf das Feedback reagiert werden kann. Bei fiktionalen Inhalten ist die Integration in die Geschichte ungleich aufwendiger, was allerdings nicht bedeutet, dass es dort keine interessanten Ansätze gibt.

Birgt das zugrunde liegende Konzept des „gläsernen Zuschauers“ auch Gefahren?
Die TV-Macher bekommen über Social TV die Möglichkeit, ihr Publikum ganz anders wahrzunehmen, darin sehe ich eine große Chance. Auf der Nutzerseite wiederum ist es wichtig, dass die Zuschauer nur die Informationen preisgeben, bei denen sie sich wohlfühlen. Und natürlich sollte Social TV kein Zwang für die Zuschauer sein, sondern ein Angebot, das genutzt, aber auch ignoriert werden kann.