Jetzt schreibt er auch noch Kinderbücher. Der bekannte Krimischriftsteller Jo Nesbø spricht im Interview über seine Arbeitsweise, den gelben Troll im Keller und Weihnachten in Norwegen.

Stuttgart - Keine Buchhandlung kommt ohne seine Kriminalromane aus. Doch der Norweger Jo Nesbø hat sich inzwischen auch als Kinderbuchautor einen Namen gemacht – dem verrückten Doktor Proktor sei Dank.

 
Herr Nesbø, die meisten Figuren in Ihren Kinderbüchern sind etwa zehn Jahre alt. Wie waren Sie in diesem Alter?
Wahrscheinlich ein bisschen so wie Doktor Proktor, mein verrückter Erfinder. Ich hatte damals jede Menge Ideen und wollte viele Dinge ausprobieren. Dauernd machte ich kleine Experimente. Es war eine schöne, wilde Zeit.
Spüren Sie diesen kleinen Jungen noch immer in sich?
Na klar! Manchmal kommt es mir so vor als sei dies der fundamentale Unterschied zwischen Menschen: Manche halten diese Verbindung zu sich selbst als Kind ihr Leben lang aufrecht und spüren noch immer wie sie waren und sind. Für andere dagegen scheint die Kindheit wie ein Traum zu sein, den sie komplett vergessen haben, wenn sie aufwachen und 13 oder 16 Jahre alt sind. Ich bin jedenfalls froh, dass ich das Kind noch in mir habe.
Wie wirkt sich das auf Ihr Verhalten und Ihre Arbeit aus?
Ich bin noch immer neugierig und spiele genauso viel wie damals – nur die Spielzeuge sind andere geworden. Meine Arbeit, das Schreiben, ist natürlich auch ein Spiel, denn ich probiere dabei viel aus, überschreite Grenzen, höre plötzlich auf, fange wieder an, habe Spaß daran. Diese Haltung von mir, beim Schreiben das Kind in mir zu entdecken, war für mich immer von entscheidender Bedeutung. Auch bei meinen Thrillern.
Für wen schreiben Sie lieber: Kinder oder Erwachsene?
Mir macht beides großen Spaß – es ist aber auch in beiden Fällen harte Arbeit.
Worin unterscheidet sich der Schreibprozess?
Die Kinderbücher fordern mich genauso stark wie die Romane für Erwachsene, aber trotzdem gibt es einen kleinen Unterschied. Einen Thriller aus meiner Harry-Hole-Serie zu schreiben, ist für mich wie ein großes Orchester zu dirigieren. Außerdem muss viel geplant werden und genau durchdacht sein. Bei Doktor Proktor fühlt es sich eher wie ein Konzert in einem kleinen Club an, weil ich für Kinder mehr improvisiere.
Hatten Sie nie Angst, dass Doktor Proktor Ihr Image als cooler Thrillerautor beeinträchtigen würde?
Doch. Ich rechnete sogar damit, dass man mein erstes Kinderbuch total verreißen würde. Aber meine Befürchtungen erwiesen sich als grundlos – das Buch wurde mit Enthusiasmus aufgenommen. Inzwischen hat die Serie viele Fans auf der ganzen Welt und ich muss mir darüber zum Glück keine Gedanken mehr machen.
Welche Rolle spielten Bücher und Geschichten in Ihrer Kindheit?
Meine Mutter war Bibliothekarin und mein Vater saß jeden Nachmittag im Wohnzimmer und las. Außerdem erzählte er viele Geschichten. Als ich sieben Jahre alt war, zog ich „Herr der Fliegen“ von William Golding aus dem Bücherregal und bat meinen Vater, mir daraus vorzulesen. Ich wählte dieses Buch aber nicht etwa, weil ich so einen guten Geschmack hatte, sondern weil ich das Cover mit einem blutigen Schweinekopf so faszinierend fand.
Wie feiern Sie Weihnachten?
Normalerweise ganz traditionell mit norwegischen Spezialitäten und Getränken, zusammen mit meiner Tochter. Aber nicht unbedingt in Norwegen – manchmal flüchten wir in die Wärme, nach Asien oder in den Süden. Als Kind war der Weinachtsabend der schönste Tag des Jahres für mich – ich habe diese Zeit geliebt!
Erinnern Sie sich an ein Geschenk, das Sie sich immer wünschten, aber nie bekommen haben?
Ja. Ich wollte unbedingt eine Zeitmaschine. Dass ich sie nicht bekam, machte mich total traurig. Aber irgendwann bekam ich sie dann doch: ich schlief ein und träumte von ihr. Später habe ich dann Doktor Proktor eine Zeitbadewanne erfinden lassen – da wurde mein Wunsch schon wieder wahr.
Wie feiert Doktor Proktor?
Bei ihm ist die Hölle los: er lädt einen Haufen anderer verrückter Erfinder ein, und die machen sich dann einen schön verrückten Abend. Aber vielleicht muss Doktor Proktor auch arbeiten. In meinem nächsten Kinderbuch, das im Herbst 2017 erscheinen wird, rettet er das Weihnachtsfest, indem er es von einem bösen Mann zurückholt, der sich die Rechte daran gesichert hat.
Und wie feiert Harry Hole?
Schwer zu sagen. Kommt ganz darauf an, ob es ein gutes oder schlechtes Jahr für ihn war. Ich kann das schwer einschätzen – Harry ist unberechenbar.
Wie stark ähneln Sie Ihrer berühmtesten Figur?
Anfangs dachte ich, wir beide wären vollkommen verschieden. Ich konnte auch nicht nachvollziehen, dass die meisten Autoren immer behaupten, sie würden letztlich über ihr eigenes Leben schreiben. Rückblickend habe ich aber festgestellt, dass Harry sich doch ähnlich entwickelt hat wie ich. Er ist zwar nicht mein Alter Ego und wir sind auch völlig verschiedene Menschen, trotzdem ist viel von mir in Harry eingeflossen. Sagen wir mal, 70 Prozent. Das Beste von mir. Na ja, und auch die nicht ganz so guten Seiten.
Etwa den Alkoholkonsum? Harry Hole war zuletzt abstinent.
Ich trinke Alkohol. Aber immer weniger.
Als Thrillerautor machen Sie den Lesern Angst. Wovor haben Sie sich als Kind gefürchtet?
Vor allem vor dem gelben Troll im Keller. Er saß da unten und wartete auf die Kinder, die von ihren Müttern zum Kartoffelnholen fürs Abendessen geschickt wurden.