Die islamistische Bedrohung ist durch den Tod Osama bin Ladens nicht kleiner geworden, befürchtet der Terrorexperte Berndt Georg Thamm.  

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Was die Bedrohung durch den militanten islamistischen Terrorismus betreffe, ändere sich global gesehen nichts, meint der Terrorexperte Berndt Georg Thamm im Interview.

 

Herr Thamm, waren Sie überrascht über diesen Zugriff?

Schon seit geraumer Zeit lief die Fahndung nach bin Laden auf Hochtouren. In den letzten Jahren wurden durch US-Drohneneinsätze eine ganze Reihe von hochrangigen Führungspersonen des Dschihadismus liquidiert. Es war nur eine Frage der Zeit bis dies auch bin Laden treffen würde, man wusste, dass er sich in dieser Region aufhält.

Wie verändert sich nun die Bedrohungslage?

Was die Bedrohung durch den militanten islamistischen Terrorismus betrifft, ändert sich global gesehen nichts. Da hat sich vieles verselbständigt. Die Zusammenschlüsse der letzten Jahre betätigen sich weitgehend autonom und warten nicht auf eine Order aus dem Hindukusch. In den letzten Jahren hat sich Al-Qaida von einer Organisation zu einer Bewegung verändert, die auch im Internet sehr präsent ist. In dieser Form ist das Netzwerk virulenter und auch gewalttätiger denn je. Eine neue Generation ist herangewachsen, mittlerweile völlig unabhängig von den Gründern.

Welchen Einfluss hatte Bin Laden überhaupt noch?

Sein Einfluss ist jetzt oder in der nächsten Zeit vielleicht noch größer als vorher. Er ist jetzt so eine Art charismatischer Untoter geworden. Für seine Anhänger ist er im heiligen Krieg gestorben und hat dadurch einen Märtyrerstatus erlangt. Das könnte auf viele junge Kämpfer motivierend wirken. Er war ja schon zu Lebzeiten in den letzten Jahre kein militärischer Führer mehr, sondern eher ein spiritueller. Und das wird sich vermutlich in der nächsten Zeit noch verstärken. Vor allem im Internet werden seine Taten gepriesen werden.

Wer könnte ihm folgen?

Sein Stellvertreter ist der Ägypter Ayman al-Zawahiri. Über die ganze Zeit war er schon für den operativen Bereich zuständig. Aber Al-Qaida ist ja keine hierarchisch strukturierte militärische Organisation, mit einer intakten Befehlskette von oben nach unten. Deshalb ist die Frage einer Neuordnung der Führungsebene gar nicht so entscheidend.

Ist der Islamismus überhaupt noch so bedeutend? Verschiebt sich der Akzent nicht auf die arabischen Befreiungsbewegungen?

Das glaube ich weniger. Wir dürfen nicht vergessen, dass der überwiegende Teil der Muslime gar nicht in der arabischen Welt lebt. Die hochmilitanten islamistischen Bewegungen sind zum Teil gar keine arabischen, etwa die Taliban oder die indonesische Jemaah Islamiyah. Von den Ethnien her gesehen sind das malayische Völker beziehungsweise Turk-Völker. Mit dem, was sich da gerade in der arabischen Welt tut, haben sie recht wenig zu tun.

Wie hoch schätzen Sie nun die Gefahr für Deutschland ein?

Deutschland ist seit einigen Jahren Terrorziel. Eine ganze Reihe von Anschlägen sind schon verhindert worden. Die Gefahr ist groß und wird uns auch noch über lange Zeit erhalten bleiben. Vom Tod Bin Ladens erwarte ich aber keine dramatische Eskalation. Möglicherweise könnten jedoch amerikanische Einrichtungen auch bei uns verstärkt zum Ziel von Vergeltungsaktionen werden.

Zur Person: Thamm ist Publizist und Berater

Berndt Georg Thamm beschäftigt sich mit den Themen Terrorismus und organisierte Kriminalität. Er ist als sicherheitspolitischer Berater tätig und war Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten. Thamm ist mit Publikationen zum islamistischen Terrorismus hervorgetreten. In seinem neuesten Buch „Terrorziel Deutschland“ analysiert er die aktuelle Bedrohungslage.