Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Warum zitieren Sie als Protestant das katholische Kirchenoberhaupt? Gibt es keine Vordenker in Ihrer eigenen Kirche?
Selbstverständlich gibt es die. Der Weltkirchenrat gab schon vor vier Jahrzehnten Erklärungen heraus, die inhaltlich mit jenen des heutigen Papstes übereinstimmen. An diesem sogenannten konziliaren Prozess waren Katholiken, Orthodoxe und Protestanten gleichermaßen beteiligt. Aber ich gebe zu: Momentan läuft die evangelische Kirche Gefahr, an ihrer eigenen Harmlosigkeit zu sterben. Wir sagen zu allem ja, zeigen für alles Verständnis. Wir müssen wieder deutlich Nein sagen, etwa zu Pegida und anderen fremdenfeindlichen Gruppierungen.
Sie fordern von Ihrer Kirche klare politische Bekenntnisse. Aber können Sie als Christ beispielsweise die Frage eindeutig beantworten, ob sich die Bundeswehr daran beteiligen sollte, den Islamischen Staat zu bekämpfen?
Das sollte sie nicht! Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan hat doch gezeigt, dass wir mit militärischen Mitteln nichts erreichen können. Warum versuchen wir es nicht mal mit Friedensdiensten und Versöhnungsdiensten?
Ich befürchte, dass der IS nicht mit Menschen wie Ihnen Frieden schließen will. Für die Islamisten sind Sie ein Ungläubiger.
Der IS ist in den Köpfen und in den Herzen von Menschen entstanden und kann auch nur in den Köpfen und Herzen von Menschen bekämpft werden. Es arbeiten viele Christen und Muslime in Deutschland und anderswo daran, dass junge Menschen nicht auf falsche Heilsversprechen reinfallen. Das ist der einzige Weg, den ich sehe.
Seit vergangenem Jahr kommen sehr viele Flüchtlinge zu uns, hauptsächlich sind es Muslime. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Christus ist nicht gegen die Muslime, sondern für sie gestorben. Das muss die Haltung von gläubigen Christen gegenüber den Muslimen prägen.
Sollten wir in unserem Staat alle Religionen gleichbehandeln, oder müssten unsere christlichen Werte auch für Muslime gelten?
Die Frage stellt sich nicht, denn die christlichen Werte, die Muslime leben sollen, sind auch ihre Werte. Allah ist der allbarmherzige Gott. Barmherzigkeit ist ein Schlüsselbegriff des Islam und des Alten Testaments. Muslime, Juden und Christen folgen also derselben Prämisse. Wenn wir darauf immer wieder hinweisen, können wir die tödliche Debatte im Islam beenden, wer ein richtiger und wer ein falscher Muslim ist. Der Islam, der sich in Europa entwickelt, wird ohnehin ein anderer sein als jener, den wir aus der arabischen Welt kennen.