Kultur: Stefan Kister (kir)


Über eine der zentralen Figuren heißt es einmal: „Der Geruch öffnete ihm die Tür in ein geheimes Leben.“
Natürlich öffnet das. Wir nehmen Gerüche und Düfte wahr und gehen diesen nach wie die Tiere. Wir sind in dieser Hinsicht nicht besser als Hunde und Katzen. Gewisse Gerüche erdulden wir, andere nicht. Dabei erzeugen wir genauso schlechte Gerüche, wollen das nur nicht wahrhaben. Jeder Mensch hat animalische Seiten, ohne die kommen wir nicht aus. Wenn ich wissen möchte, was in einem Menschen vorgeht, muss ich mich mit allen Aspekten befassen und darf nichts auslassen – manches habe ich aber doch etwas ausgelassen, auch ich habe meine Grenzen.

Ist die Geschichte bestimmt von der Entfesselung oder der Unterdrückung dieser triebhaften, animalischen Natur?
Beides. Der Mensch ist noch nicht beendet, er ist noch dabei, sich zu erfinden und steckt in einer Übergangsphase. Und wenn dieses Menschentier nicht fähig ist, noch einen Sprung zu machen, von seiner Aggressivität, seinem Egoismus wegzukommen, seine Triebhaftigkeit noch mehr zu sublimieren, wird er sich selbst vernichten.

Ihr Erzählen, ich denke da an eine sich über hundert Seiten erstreckende, alle möglichen Akteure in homo- und heterosexuelle Geschäftigkeit verstrickende Passage, entspricht allerdings nun gar nicht unbedingt dem, was man womöglich Sublimation nennen würde.
Um zu sublimieren, müssen wir wissen, was. Ich muss all diese Züge zur Kenntnis nehmen, um zu wissen, was in meinen Figuren vorgeht. Und natürlich sind sie zu allererst Stellvertreter von mir, aber auch Stellvertreter einer bestimmten Sozialisation, einer gesellschaftlichen Schicht und Stellung.

Ist man nach achtzehn Jahren Schreibgefängnis überhaupt noch Teil der Welt?
Schreiben ist auch eine Daseinsform. Viel außerordentlicher erscheint es mir, ein Leben lang in einem Büro vor einem Computer zu sitzen und Zahlen zuzuschauen. Aber natürlich gehört zum Schreiben eine Art von Askese und Disziplin dazu.

Dann sind Sie den Ausschweifungen Ihres Romans zum Trotz ein asketischer Mensch?
Wenn Sie meine Schreibgefängnisstrafe von 28 Jahren zusammenrechnen, haben Sie eine Vorstellung davon, wo Hedonismus an Askese grenzt. Ein hedonistisches Leben ist das nicht.