„Generationentreff“: Im zweiten Teil unserer Gespächsreihe sprechen Fritz und Moritz Auer über Architektur und ihre Vater-Sohn-Beziehung.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Stuttgart – - Sein Sohn ist noch auf dem Weg von der Münchner Dependance zum Stuttgarter Stammsitz. Fritz Auer überbrückt die Wartezeit mit Erzählungen von Elba, wo er sich ein altes Steinhaus mit Meerblick zu einem Feriendomizil umgebaut hat. Kurz nach elf betritt Moritz Auer, einer von fünf Geschäftsführern des Architekturbüros Auer + Weber + Assoziierte, das Arbeitsloft in der Haußmannstraße. Kaffee und Butterbrezeln stehen bereit, das Gespräch kann beginnen.
Fritz Auer, 1967 haben Sie mit Ihren damaligen Partnern Günter Behnisch und Carlo Weber den Wettbewerb für das Münchner Olympiagelände gewonnen. Zählten Sie seinerzeit schon zur Architektenelite?
Fritz Auer Nein, wir waren ein Stuttgarter Büro, das sich bis dahin überwiegend mit der Planung von Schulgebäuden befasste. Vor dem Münchner Großprojekt hatten wir kein Stadion gebaut. Der Auftrag war für uns der Durchbruch vom Alltäglichen ins Einmalige.
Warum verließen Sie 1980 das Büro Behnisch & Partner?
Fritz Auer Weil unsere Architekturauffassungen inzwischen auseinandergingen. Ich mag klare Strukturen, Behnisch wendete sich hingegen dem Dekonstruktivismus zu. Mit dieser Alles-ist-möglich-Richtung konnten sich Carlo Weber und ich nicht identifizieren, weswegen wir 1980 in Stuttgart ein eigenes Büro gründeten. 1982 kam als zweiter Standort München hinzu.
Vor wenigen Tagen ist Carlo Weber gestorben, den Sie seit den Studienzeiten kennen. Was hat die 61 Jahre überdauernde Zusammenarbeit ausgezeichnet?
Fritz Auer Große Toleranz! Carlo und mich verband zwar eine kollegiale Freundschaft, aber in der Sache waren unsere Ansichten nie ganz kongruent. Gerade deshalb haben wir uns ergänzt. Noch am 8. Mai diskutierten wir über ein Projekt, eine Woche später war er tot. Jeder Vollblutarchitekt würde gerne am Zeichentisch sterben. Carlo ist das fast gelungen.
Moritz Auer, war es für Sie frühzeitig klar, dass Sie in die großen Fußstapfen Ihres Vaters treten wollen?
Moritz Auer, 49 Foto: Achim Zweygarth
Moritz Auer Nein. Ich habe an der Waldorfschule auf der Uhlandshöhe das Abitur gemacht und wollte Medizin studieren. Während meines Zivildienstes arbeitete ich auf einer neurologischen Intensivstation. Das war eine derart herbe Erfahrung, dass ich keine Motivation mehr hatte, Arzt zu werden. Stattdessen begann ich an der Folkwangschule in Essen ein Kommunikationsdesignstudium. Nach einem Jahr war mir klar, dass mir dieses enge Fach nicht genügt. Ich wollte etwas machen, das meinen Horizont stärker erweitert. So kam es, dass ich in Berlin Architektur studierte. Die Architektur ist ja ein weites Feld, es umfasst Kunst, Technik und Wissenschaft.
Sie haben sich in der Branche längst selbst einen Namen gemacht, müssen aber mit dem Vorurteil leben, dass Ihnen Ihr berühmter Vater den Weg geebnet hat.
Moritz Auer Das ist tatsächlich ein Problem. Ursprünglich wollte ich deshalb lieber mit ein paar Freunden mein eigenes Ding machen. Aber als ich das Studium abgeschlossen hatte, gab es für junge Architekten in Berlin kaum Möglichkeiten, zu Aufträgen zu kommen – die gingen an die etablierten Büros. 1996 kam meine erste Tochter zur Welt, wodurch der Druck stieg, Geld zu verdienen. Als mich dann mein Vater fragte, ob ich bei ihm einsteigen wolle, konnte ich eigentlich nicht Nein sagen. Anfangs war es nicht leicht, in dem Büro meine Position zu definieren, die Rolle der Seniorchefs war noch sehr dominant. Inzwischen ist der Generationswechsel vollzogen: Mein jüngerer Bruder Philipp und ich bilden mit drei Kollegen die Geschäftsführung, mein Vater nimmt nun vor allem eine Beraterrolle ein.
Fritz Auer Die Jüngeren können meinen Rückhalt manchmal noch brauchen, etwa bei Verhandlungen mit chinesischen Auftraggebern, bei denen ich als 81-Jähriger einen Vertrauensvorschuss genieße. Ich arbeite auch gerne noch im praktischen Tagesgeschäft mit, betreue den einen oder anderen Wettbewerb selbst. Aber ich merke, dass das mitunter problematisch ist.
Warum?
Fritz Auer Ich entwerfe schnell und ausschließlich von Hand. Wenn ein Mitarbeiter meine Skizzen am Computer umsetzen soll, fühlt er sich vom gemeinsamen kreativen Prozess ausgeschlossen.
Moritz Auer Grundsätzlich setzen wir heute stärker auf Teamwork als auf einen Mastermind. Ich glaube nicht, dass ein Einzelner die beste Lösung finden kann und lege auch keinen Wert darauf, dass sich in jedem Entwurf meine persönliche Handschrift wiederfindet.
Haben Sie sich, im Nachhinein betrachtet, für den richtigen Berufsweg entschieden?
Moritz Auer Ich werde in diesem Jahr 50, das ist ein Punkt, an dem man Bilanz zieht. Manchmal denke ich: vielleicht wäre ich auch ein guter Mediziner geworden, nicht in einer Klinik, sondern etwa bei Ärzte ohne Grenzen. Als Architekt beschäftige ich mich hierzulande mit Themen, die den meisten Menschen auf dieser Welt völlig überflüssig vorkommen müssen. Ich arbeite nunmehr seit 17 Jahren intensiv für dieses Büro, um es auf einem hohen qualitativen Level zu halten. Mit diesem Einsatz hätte ich als Arzt in Entwicklungsländern vermutlich mehr fürs Gemeinwohl bewirken können.
Wenn ich mich in der Stuttgarter Innenstadt umschaue, stören Neubauten das Wohlbefinden eher.
Fritz Auer Ich teile Ihren Eindruck, dass in dieser Stadt mehr schlechte als gute Gebäude entstehen. Das mag auch an einem gewissen Minderwertigkeitskomplex gegenüber anderen Großstädten liegen, der sich manchmal in einer unkritischen Fortschrittsgläubigkeit manifestiert – siehe Stuttgart 21 oder die Olympiabewerbung 2012. Die neue Bibliothek finde ich zwar ästhetisch grenzwertig, aber sie hat wenigstens einen eindrucksvollen Innenraum. Aber vieles andere ist brav, pflegeleicht und letztlich belanglos.
Moritz Auer Das hat auch mit der Profitorientierung vieler Auftraggeber zu tun. Ich kenne das aus eigener Erfahrung: Oft reicht das bewusst zu knapp vorgegebene Budget nicht aus, um die Qualität herzustellen, die ich mir als Architekt wünsche. Es ist schon hart, wenn man extrem von seinen eigenen Ansprüchen abweichen muss. Glücklicherweise gibt es noch Bauherren, die sich von diesem ganzen Einheitsbrei abheben wollen: Unternehmen wie Siemens, Adidas oder BMW setzen darauf, dass sich die Firmenphilosophie in ihren Bauten widerspiegelt. Da hat man es dann mit ganz anderen Formvorstellungen zu tun. In Stuttgart sind die Museen von Mercedes und Porsche gute Beispiele dafür, was dann möglich ist. Wo innovative Köpfe entscheiden, entsteht auch innovative Architektur.