Peter Györkös, Ungarns Botschafter in Berlin, verurteilt die Äußerungen des Luxemburger Außenministers Asselborn scharf. Ohne eine „Kultur des Zuhörens“ werde die Europäische Union nach dem Brexit-Referendum nicht geheilt, sondern weiter gespalten.

Herr Botschafter, die Briten haben für den Austritt gestimmt, Luxemburgs Außenminister möchte Ihr Land am liebsten aus der EU werfen. Was sagt all das über den Zustand der Gemeinschaft?
Wir befinden uns in einer schwierigen, gleichzeitig aber auch inspirierenden Phase, weil wir neue Wege gehen müssen, um den Zusammenhalt der restlichen 27 Staaten zu sichern. Am Anfang muss jedoch eine nüchterne gemeinsame Lageanalyse stehen: Was hat dazu geführt, das zum ersten Mal in der Geschichte ein Land dieser großartigen Integrationsgeschichte den Rücken kehrt? Warum verlieren wir von Tag zu Tag Boden im globalen Wettbewerb? Warum sind wir nicht in der Lage, das Sicherheitsgefühl unserer Bürger zu gewährleisten? Und warum ist es möglich, dass einzelne Politiker in dieser Lage noch versuchen, die Menschen weiter auseinander zu treiben?
Was ist Ungarns Antwort auf diese Fragen?
Wir müssen feststellen, dass gemeinsame Regeln systematisch missachtet worden sind. Das betrifft den Grenzschutz oder die Haushaltsregeln. Im Ergebnis haben viele Bürger das Gefühl der inneren wie der sozialen Sicherheit verloren. Der erste Schritt muss also die Rückkehr zu Recht und Ordnung sein. Das muss der Startpunkt für eine Diskussion über unsere unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen für Europa sein.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn kann sich Europas Zukunft offenbar ganz gut ohne Ungarn vorstellen, weil es in seinen Augen Europas Werte verraten hat.
Für mich ist das schockierend. Jean Asselborn führt über die deutschen Medien mit einem Tsunami von Interviews de facto einen Kommunikationskrieg gegen mein Land.
Was ist aus Ihrer Sicht die Folge?
27 Länder mit 440 Millionen Menschen trotz allem weiter zusammenzuhalten, erfordert an erster Stelle eine Kultur des Zuhörens. Wer aber den gewählten Ministerpräsidenten eines Landes dämonisiert, ihn als Unmenschen darstellt und aus Diskussionen ausschließt, spaltet Europa weiter.
Aber was sagen Sie zur Kritik mangelnder Rechtsstaatlichkeit und Solidarität. Ohne diese beiden Werte geht Europa doch genauso kaputt?
Ungarn ist ein Rechtsstaat. Alle offenen Fragen, die im Zusammenhang mit unserer Verfassungsreform aufgekommen sind, haben wir geklärt – alles, was die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof beanstandet haben, ist mittlerweile umgesetzt.
Was ist mit dem zweiten Punkt? Nicht nur Asselborn sieht mit dem ungarischen Grenzzaun europäische Grundüberzeugungen verletzt.
Es ist unsere rechtliche Pflicht, unseren Teil der EU-Außengrenze zu schützen. Wir haben das als erste konsequent umgesetzt, aber dabei immer gesagt, dass das keine schöne Sache ist. Mit Blumen und Plüschtieren geht das nicht. Aber es muss getan werden, wenn wir nicht das Vertrauen der Bürger verlieren und uns weiteren Sicherheitsrisiken aussetzen wollen.