Der neue Bosch-Chef Volkmar Denner erläutert, wie das Internet der Dinge künftig den Konzern prägen und verändern wird. Der scheidende Vorsitzende Franz Fehrenbach ist überzeugt, dass die Zukunft den Mitarbeitern eine besondere Bereitschaft zu Veränderungen abverlangen wird.

Stuttgart – Am 1. Juli übernimmt Volkmar Denner den Vorsitz in der Bosch-Geschäftsführung. Er folgt damit Franz Fehrenbach, der diese Position neun Jahre innehatte. In einem Doppelinterview spricht Denner über seine Ziele, Fehrenbach zieht eine persönliche Bilanz.
Herr Denner, woran werden die Mitarbeiter merken, dass Sie von Montag an der neue Vorsitzende der Geschäftsführung sind?
Denner Jeder der über 300 000 Bosch-Mitarbeiter hat gestern von mir einen Brief erhalten. Herr Fehrenbach hat seinen Abschiedsbrief bereits am Montag verschickt. In meiner Mail stelle ich mich vor und formuliere einige Ideen, wo ich Schwerpunkte setzen werde.

Wechsel bei Bosch sind traditionell geräuschlos. Dennoch steht jeder Wechsel auch für Wandel. Was werden Sie verändern?
Denner Ich stehe zunächst einmal auch für Kontinuität. Ich bin seit gut sechs Jahren Teil des Geschäftsführungsteams. Es wäre unglaubwürdig, wenn ich alles ändern würde. Aber natürlich werde ich neue Schwerpunkte setzen. Was das konkret ist, muss aber erst reifen. In meinem Brief an die Mitarbeiter fordere ich diese zunächst auf, sich zu äußern, was sie bewahrt sehen wollen. Denn was gut läuft, sollten wir beibehalten. Und dann können alle Mitarbeiter mir mitteilen, was aus ihrer Sicht geändert werden sollte.

Herr Fehrenbach hat in einem Vortrag Niklas Luhmann zitiert: Aufgabe des Geschäftsführers sei auch, Sicherheit durch Unsicherheit zu ersetzen. Sehen Sie das auch so?
Denner Das Erreichte immer wieder in Frage zu stellen – diese Einstellung hat bereits unser Gründer Robert Bosch gelebt. Das ist auch Teil meiner Grundüberzeugung. Wir haben mittlerweile sehr volatile Rahmenbedingungen, die von uns ständige Verbesserungen fordern werden.

Herr Fehrenbach, was werden Sie als künftiger Aufsichtsratschef ändern?
Fehrenbach Als Aufsichtsratschef können sie nur in begrenztem Maße etwas verändern. In Deutschland ist klar festgelegt, wer die Leitung des Unternehmens hat – das ist die Geschäftsführung – und wer die Aufsichtspflicht hat. Auch bei uns ist das gängige Praxis. Der Aufsichtsrat und die Gesellschafter der Industrieholding überwachen, dass die mit der Geschäftsführung vereinbarten Ziele erreicht und die festgelegten Strategien umgesetzt werden.

War Corporate Governance nie ein Thema für Sie? Bei einem Dax-Unternehmen würde unwillkürlich gefragt, ob der alte den neuen Chef kontrollieren darf.
Fehrenbach Bei uns war das nie ein wesentliches Thema. Corporate Governance ist sinnvoll, wenn in einem Unternehmen ein dominanter Chef in den Aufsichtsrat wechselt und seinem Nachfolger nicht erlaubt eigene Wege zu gehen. Bei uns ist vollkommen klar, dass strategische Vorschläge von der Geschäftsführung gemacht werden, die dann gemeinsam bewertet werden. Herr Scholl hat mir die Freiräume gegeben, Herr Denner wird sie von mir erhalten.

Herr Denner, Ihr Vorgänger hat sich politisch immer pointiert geäußert. Werden Sie das übernehmen?
Denner Zu Themen, die sich nicht direkt auf das Unternehmen beziehen, wird sich Herr Fehrenbach weiter äußern. Er hat enge politische Kontakte. Was für das Unternehmen direkt relevant ist, dazu werde ich mich äußern. Ich bin künftig nicht nur Vorsitzender der Geschäftsführung, ich bleibe auch zuständig für Forschung und Vorausentwicklung sowie für die Technik von Bosch.
Fehrenbach Herr Denner ist die Stimme des Unternehmens. Gesellschaftliche oder politische Themen ohne unmittelbaren Bezug zu Bosch werde ich abdecken.

Werden Sie auch in Gremien vertreten sein?
Fehrenbach Da bin ich derzeit zurückhaltend. Die Anfragen sind zahlreich. Ich möchte erst mal sehen, wie mich die neue Aufgabe beansprucht, bevor ich mich zu Neuem verpflichte. Vorstellen kann ich mir das. Ein Unternehmen wie Bosch trägt Verantwortung, das Land voranzubringen. Chefs börsennotierter Unternehmen müssen mit öffentlichen Äußerungen vorsichtiger sein, sonst drohen Klagen. Manchmal habe ich bedauert, dass mir nicht mehr Dax-Chefs gefolgt sind, wenn ich mit einer Position vorgeprescht bin. Die Unabhängigkeit und Freiheit eines Bosch-Chefs haben aber nicht viele.

Herr Fehrenbach, was hat sich in Ihrer Amtszeit verändert?
Fehrenbach Ich messe mich an meinen Äußerungen zu Beginn meiner Amtszeit 2003. Als Ziel formulierte ich damals, ökonomische, soziale und ökologische Belange des Unternehmens in eine Balance zu bringen. Wirtschaftlich bin ich mit meiner Amtszeit zufrieden, vor allem wenn man die tiefe Krise 2008/2009 berücksichtigt. Ökologisch haben wir viel getan – denken Sie an unsere Aktivitäten bei erneuerbaren Energien. Am meisten Stolz empfinde ich, dass wir Werte und Grundsätze für Bosch formuliert haben, die wir weltweit tatsächlich leben. Bewährungsprobe war die Krise. Der Zusammenhalt innerhalb des Unternehmens, zwischen Mitarbeitern und Führungskräften, Geschäftsführung und Arbeitnehmervertretern ist in der Krise sogar gewachsen. Ich persönlich bin ganz zufrieden mit dem, was ich erreicht habe.

Herr Denner, was ist Ihr Anliegen?
Denner Ein Anliegen von mir ist die Technik fürs Leben. Kundenzufriedenheit reicht nicht mehr, wir müssen unsere Kunden begeistern. In der Vergangenheit war Bosch vor allem technikgetrieben. Künftig wollen wir den Nutzer stärker in den Mittelpunkt stellen und seine Wünsche noch besser erkennen. Bei allem, was wir tun, sollten wir uns fragen, welchen Nutzen wir für die Menschen und unsere Gesellschaft bringen können. In der Fahrzeugsicherheit etwa geht es nicht nur um konkrete Produkte wie Airbagsteuerungen oder ESP, es geht im Kern darum, Menschenleben zu schützen. Die Adressierung dieser übergeordneten sinnstiftenden Ebene setzt verstärkt Energie frei und schafft dann noch mehr Produkte, die begeistern.

Dreht sich die Welt mit Internet und Elektromobilität schneller?
Denner Im Internet auf jeden Fall. Um die Geschwindigkeit im Unternehmen zu erhöhen, haben wir kleine Einheiten gegründet, die wir wie ein Start-up führen. Ein Beispiel sind die mikromechanischen Sensoren, die für Smartphones und Laptops verwendet werden. Auch unser erfolgreiches E-Bike-Geschäft wurde so organisiert. Wir konnten fasziniert feststellen, dass die Bosch-Mitarbeiter in solch einer Umgebung Produkte in der halben Zeit in den Markt gebracht haben.
Fehrenbach Bosch war schon immer ein wandlungsfähiges Unternehmen, aber diese Eigenschaft wird in den nächsten Jahren wieder einmal besonders gefordert sein.
Denner Bosch wird immer Produkte fertigen. Aber wir wollen mehr. Im Internet der Dinge geht es um Vernetzung, künftig werden alle Dinge miteinander kommunizieren. Auch die Fahrzeuge mit der Außenwelt – beispielsweise können sich Sensoren im Auto automatisch mit anderen Fahrzeugen verbinden. Die Technologie bei den Produkten beherrschen wir. Schwerer einzuschätzen sind die Entwicklungen im Bereich der Anwendungen im Internet und den zugrunde liegenden Geschäftsmodellen. Hier dreht sich die Welt schneller. Darauf müssen wir uns einstellen. Der Spagat wird sein, die alte Welt zu bewahren und die Neue zu integrieren.

Wie wird sich dies im Umsatz, sagen wir in fünf Jahren, niederschlagen?
Denner Das ist extrem schwer zu schätzen.

Die Möglichkeiten sind so groß wie das Internet selbst. Wie verhindern Sie, dass Sie sich verzetteln?
Denner Das ist die eigentliche Herausforderung. Wie schaffen wir es, uns auf die wichtigen Fragen zu fokussieren? Es gibt keine einfache Antwort. Wir müssen in vielen Feldern mutig ausprobieren, lernen – und gegebenenfalls schnell die Reißleine ziehen.
Fehrenbach Wichtig ist, dass das bestehende Geschäft gut läuft. Denn wir müssen die Mittel erwirtschaften, um neue Aktivitäten zu finanzieren. Es wird dabei sicherlich Fehlschläge geben. Die Kunst wird sein, nur so viele Risiken einzugehen, dass sie in Summe das Unternehmen insgesamt nie gefährden.

Bei der Fotovoltaik herrscht Katerstimmung. War der Einstieg falsch?
Fehrenbach Wir haben den Einstieg damals gründlich geprüft. Im Nachhinein müssen wir aber zugeben, die Marktentwicklung mit dem Preisverfall so nicht vorhergesehen zu haben. Auch den schnellen Kapazitätsaufbau durch Wettbewerber in China haben wir so nicht erwartet. Nun prüfen wir das Thema regelmäßig ab. Wird Fotovoltaik im Energiemix der Zukunft eine Rolle spielen? Unsere Antwort ist unverändert ja. Wir sehen auch nach wie vor, dass Fotovoltaik bei den Kosten auf ein wettbewerbsfähiges Niveau kommen kann und wird. Dass Deutschland mit seinen wenigen Sonnenstunden zum Leitmarkt geworden ist, ist sicherlich eine politische Fehlsteuerung. Die Pleiten häufen sich. Wir rechnen damit, dass es künftig ein Wettbewerb der Großen sein wird.

Ist Bosch groß genug?
Fehrenbach Das hängt davon ab, ob wir bei den Kosten mithalten können. Das schaffen wir mit Sicherheit nicht allein mit unserem Standort in Arnstadt. Aber wir sind bei der Kostenreduzierung besser unterwegs als geplant. Die geplante Zellenfabrik in Malaysia ist derzeit allerdings auf ,Halten‘ gesetzt. Denn wir werden nur mit der neuesten Technologie nach Malaysia gehen; diese Technologie treiben wir gerade in Arnstadt voran. Ende des Jahres dürften wir so weit sein, dass wir in Serie gehen können. Können wir technologisch mithalten? Das trauen wir uns zu. Ist es kapitalmäßig zu stemmen? Darum kümmern wir uns zu gegebener Zeit. Denn es wird um Investitionen von vielen Milliarden gehen.

Euphorie war gestern. Bei der Elektromobilität scheint die Luft raus.
Fehrenbach Von unserer Agenda ist sie nicht verschwunden. Wir waren nie so euphorisch wie viele andere. Wir haben immer gesagt, dass es ein langer Weg sein wird. Zunächst geht es darum, die Potenziale im Verbrennungsmotor zu heben. Die Batterien müssen besser werden. Bosch investiert jährlich 400 Millionen Euro in die Elektromobilität - daran wird sich nichts ändern. Unsere Prognose bleibt aber ebenso bestehen: Nach 2020 wird Elektromobilität wesentlich an Bedeutung gewinnen.
Denner Aber Elektromobilität ist nicht auf das Auto beschränkt. Beim Fahrrad haben wir einen wunderbaren Markterfolg – der Umsatz liegt im hohen zweistelligen Millionenbereich und verdoppelt sich jedes Jahr. Seien Sie gespannt. Wir haben noch einiges zum Thema E-Bike in der Pipeline. Auch die elektrisch betriebenen Scooter sind in China längst ein Massenmarkt.

Vieles am E-Auto hängt an der Batterie. Wie steht es mit dem Jointventure mit Samsung ?
Denner Wir sind in abschließenden Gesprächen mit Samsung, um das Jointventure neu zu strukturieren. Und wir überlegen, wie wir uns dann neu aufstellen. Aber wir werden weiterhin in der Batterietechnik tätig bleiben.

Ist es an den Autoherstellern gescheitert?
Fehrenbach Dieses Gerücht habe ich auch gehört, aber es ist falsch. Daran liegt es nicht. Unser Ziel war immer, vom Samsung-Wissen der Zellfertigung für Comsumerprodukte zu profitieren. Im Gegenzug haben wir unser Kfz-Knowhow in das Gemeinschaftsunternehmen eingebracht. Doch Samsung inzwischen hat sein Zellen-Knowhow neu, nämlich höher, bewertet. Diese unterschiedlichen strategischen Ausfassungen der Partner machen es jetzt erforderlich, die Zusammenarbeit neu zu strukturieren.

Dominiert 2020 der Kfz-Bereich noch? Und: Würde Robert Bosch seine Firma erkennen?
Denner Ich bin überzeugt, dass das Kraftfahrzeug immer noch ein ganz wichtiger Teil von Bosch sein wird. Darüber hinaus wird es weitere bedeutende Bereiche geben, die begeisternde Produkte schaffen werden, eben Technik fürs Leben.
Fehrenbach Ich bin mir sicher, wir würden Robert Bosch mit weiteren Veränderungen nicht schocken. Er war immer auf der Suche, um bestehende Geschäftsfelder abzusichern und neue zu erschließen. Robert Bosch wäre mit Sicherheit eher aus der Fassung zu bringen, wenn Bosch im Jahr 2020 noch genauso aussehen würde wie heute.