Die künftige Kultusministerin Warminski-Leitheußer will Einrichtungen, die größere Probleme bewältigen müssen, mehr Ressourcen geben.  

Stuttgart - Direkt aus der Kommunalverwaltung wechselt Gabriele Warminski-Leitheußer als Chefin ins Kultusministerium. Sie verspricht ein offenes Ohr für Reformvorschläge aus den Städten.

 

Frau Warminski-Leitheußer, hätten Sie je gedacht, dass Sie Kultusministerin werden und auch noch in Baden-Württemberg?

Nein. Als ich nach Baden-Württemberg gekommen bin, dachte ich, ich komme in ein Bundesland mit einer schwarz-gelben Regierung, die für die nächsten hundert Jahre festgeschrieben wäre.

Ist Kultusministerin ein Traumjob?

Für mich ja. Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn erkannt, Bildungspolitik ist der Schlüssel für soziale Gerechtigkeit und für Chancengleichheit. So war es folgerichtig für mich, nach Mannheim zu gehen, wo der Oberbürgermeister Bildungsgerechtigkeit zu seinem Thema erklärte. Allerdings blockte das Kultusministerium danach viele neue Ideen ab. Von daher ist es ein Traum, dass ich nun zusammen mit meinen Bildungsbürgermeisterkollegen unsere Projekte verwirklichen kann.

Was machen Sie als Erstes anders?

Alle Anträge von der kommunalen Ebene für Modellschulen und neue Konzepte mit belegbarer pädagogischer Qualität werde ich unterstützen. Und viele Kommunen haben etwas in der Schublade.

Viele Bürger fürchten die Gemeinschaftsschule. Was sagen Sie denen?

Es wird keine Veränderung im Schulsystem gegen den Willen der Eltern oder des Schulträgers geben. Eine Verbesserung des Schulsystems und der individuellen Förderung ist nicht möglich gegen den Widerstand der Beteiligten. Ich möchte mich auch von den bisherigen ideologischen Streitigkeiten lösen, die das Verhältnis belastet haben. Wer aber bei der Gemeinschaftsschule das Spiegelbild der alten Ständegesellschaft vermisst, dem sage ich, wir haben ein anderes Menschenbild. Wir gehen davon aus, das jeder Mensch, ungeachtet seiner Herkunft oder seiner finanziellen Möglichkeiten, einen Anspruch darauf hat, entsprechend seinen Befähigungen gefördert zu werden. Klar ist auch, in der Gemeinschaftsschule wird nicht der Standard sinken. Und auch die Leistungsstarken werden nicht schlechter, sondern sie können ihre Kenntnisse noch vertiefen, indem sie die Schwächeren unterstützen.

Was wird aus den Gymnasien?

Dort wo sie weiterhin gewünscht werden, werden sie bleiben. Das ist doch vollkommen klar.

Was kennzeichnet sozialdemokratische Bildungspolitik?

Wir wollen Kinder von Anfang an fördern. Durch staatliche Einrichtungen werden wir Bildungsnachteile ausgleichen. Die grün-rote Bildungspolitik will von vornherein verhindern, dass Defizite entstehen.

Was sind Ihre Prioritäten in der Bildungspolitik?

Wir brauchen ein ausreichendes Angebot an Krippenplätzen und wir brauchen gute Qualität in den Tagesstätten. Sie muss verbindlich im Orientierungsplan festgeschrieben werden. Man muss klar ins Gesetz schreiben, was man will. So brauchen auch die Erzieherinnen das Knowhow und die Zeit. Wenn wir das in dieser Legislatur schaffen, sind wir schon richtig gut aufgestellt.

Sind Sie froh, dass die SDP die Gebührenfreiheit im Kindergarten nicht durchgesetzt hat?

Ich halte viel von einer komplett kostenfreien Bildungskette. Wenn man aber aus finanzpolitischen Gründen Prioritäten setzen muss, dann sind selbstverständlich die Kapazität und die Qualität wichtiger als die Kostenfreiheit.

Was wird aus der Werkrealschule?

Wir werden die Werkrealschule von der geplanten Kooperation mit den beruflichen Schulen befreien. Das ist schlichtweg nicht leistbar. Unsere Vorstellung ist auch, dass an allen Standorten von Hauptschulen, Werkrealschulen oder Realschulen ein vollwertiger mittlerer Abschluss angeboten wird.

Welches Problem drängt am meisten?

Das ist die Lehrerbedarfsplanung. Das Kultusministerium wird sich sehr genau anschauen, wie viele Lehrer wir an welchen Stellen brauchen und wie viel Geld dafür da ist. Grün-Rot möchte die Schulen dabei unterstützen, dass sie besser individuell fördern können. Dafür brauchen wir mehr Lehrer.

"Kritik ist ausdrücklich erwünscht"

Ein Kultusminister steht im Mittelpunkt des Interesses. Wie gehen Sie mit Kritik um?

Kritik ist ausdrücklich erwünscht. Aber selbstverständlich auf einem bestimmten Niveau. Konstruktive Kritik bedeutet ja auch, dass sich jemand für ein Thema interessiert. Ich höre mir immer alles an. Ich habe nicht den Anspruch, perfekt zu sein. Es ist völlig klar, dass sich auch diese grün-rote Bildungspolitik entwickeln wird. Genauso wie ich.

Wie bereitet man sich eigentlich auf so ein Amt vor, wenn man aus der Kommunalverwaltung kommt?

Basis unserer Arbeit ist der Koalitionsvertrag. Auch das Baumert-Gutachten zur Chancengleichheit von Migranten im Bildungswesen, das die alte Landesregierung in Auftrag gegeben hat, zählt zu den Grundlagen. Das Gutachten ist richtig gut. Da steht verfeinert das drin, was auch der Koalitionsvertrag aussagt. Selbstverständlich hole ich mir darüber hinaus viele Informationen ein, um mich vorzubereiten.

Die Förderung der Migranten und die Entkoppelung des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft ist ja ein sozialdemokratisches Grundanliegen. Wird das Gutachten der Expertengruppe um Jürgen Baumert Grundlage der weiteren Migrantenförderung?

Ja natürlich. Ich teile Baumerts Grundsatzbemerkung, dass der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg in Baden-Württemberg besonders groß ist und dass das schlecht ist für das Land. Er sagt, wir müssen die Ressourcen entsprechend einsetzen. Es hängt also vom sozialen Umfeld einer Schule und einer Kita ab, welche Ressourcen sie braucht. Das macht Sinn. Mit der Gießkanne über alles zu gehen, birgt zwar wenig Konfliktstoff, ist bildungspolitisch aber nicht vernünftig. Man muss denen, die größere Probleme zu bewältigen haben, auch mehr geben.

Das wird die Großstädte freuen, was wird mit den Schulen auf dem Land?

Die kleinen Schulen auf dem Land haben in der Regel nicht die großen sozialen Problemlagen. Bei ihnen geht es um die langen Wege. Wir werden sie zudem dabei unterstützen, dass sie flächendeckend wohnortnahe Schulstrukturen erhalten können.

Manche Ihrer Kritiker aus Mannheim vermissen bei Ihnen Entscheidungsfreude. Was halten Sie denen entgegen?

Ich rede mit den Leuten, ich möchte mir klarwerden, was wirklich los ist. Das erfordert die Fähigkeit, wirklich zuzuhören. Ich halte das für sehr wichtig. Im Übrigen bin ich auch der Meinung, dass man nicht jede Entscheidung alleine treffen sollte. Denn der Dialog führt immer wieder zu neuen Erkenntnissen und zu besseren nachhaltigen Lösungen.

Lehrer fühlen sich durch die vielen Reformen überrollt. Machen Sie jetzt wieder alles anders?

Das ist genau der Unterschied. Der Bildungsapparat ist gebeutelt durch Reformen. Es kann eine Organisation aber gefährden, wenn sie sich immer umstellen muss. Ich setze auf Freiwilligkeit. Der Schulträger, die Schulen und die Eltern sollen gemeinsam Programme entwickeln.

Sie sind neu in der Landespolitik. Was erhoffen Sie von der Landtagsfraktion?

Ich möchte mit der Fraktion eine konstruktive und kritische Zusammenarbeit. Im Übrigen habe ich in der Landespolitik bereits mitgearbeitet, da ich seit 2009 Mitglied des SPD-Landesvorstandes bin.

Was gefällt Ihnen an Baden-Württemberg?

Die Mundarten. Ich mag Menschen, die echt sind, und als Wanderin liebe ich die wunderschöne Landschaft.

Was würden Sie am Land ändern?

Die Bildungspolitik.

Kritisches SPD-Mitglied

Herkunft: Als Tochter eines Bergmanns und einer Hausfrau aus dem Ruhrgebiet verkörpert die 48 Jahre alte Gabriele Warminski-Leitheußer geradezu das sozialdemokratische Ideal vom Aufstieg durch Bildung. Sie machte Abitur in ihrem Geburtsort Waltrop, wurde zunächst Diplomverwaltungswirtin und studierte dann berufsbegleitend Jura.

Partei: Früh trat die Westfälin der SPD bei, 1992 trat sie aus, als ihre Partei der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl zugestimmt hat. 1998 kehrte sie zurück, unter anderem wegen Peter Struck. Der habe ihrem damaligen Chef, dem Landrat des Kreises Lüchow-Dannenberg, gesagt, Mensch, deine Büroleiterin ist nicht in der SPD, das geht nicht.