Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Bei der Mitbestimmung kommen Sie überhaupt nicht voran?
Die Kanzlerin zollt der Mitbestimmung eine hohe Anerkennung. Wenn es aber darum geht, diese weiterzuentwickeln, kriege ich sie gerade noch dazu, Bestandssicherung zu machen. Abgesehen von der Unternehmensmitbestimmung wollen wir auch die Gründung von Betriebsräten stärken. Wenn 200 Leute plötzlich zu leitenden Angestellten erklärt werden, um Betriebsratswahlen zu verhindern…
… wie bei der Restaurantkette Nordsee ...
… bleibt einem das Matjes-Brötchen im Halse stecken, weil so etwas ohne Sanktionen akzeptiert wird. Das ist irre. Wir sind doch nicht in einer Bananenrepublik.
Die SPD ringt noch immer um die Frage, ob sie Hartz IV in Frage stellen oder endlich nach vorne schauen soll. Verdi-Chef Bsirske fordert eine grundlegende Reform von Hartz IV, weil Leistungsempfänger wegen der Sanktionen unter das Existenzminimum fallen könnten – stimmen Sie zu?
Ja, wir fordern eine Reform. Wir sagen: Hartz IV muss bedarfsgerecht angehoben werden. Die bisherigen Sätze sind politisch schön gerechnet worden, die kann man nicht akzeptieren. Darüber hinaus haben wir 150 000 bis 200 000 Langzeitarbeitslose ohne Zukunft auf dem ersten Arbeitsmarkt. Denen muss man eine andere Perspektive auf einem sozialen Arbeitsmarkt geben.
Finanzminister Olaf Scholz verfolgt das Ziel der Schwarzen Null – wie zuvor Wolfgang Schäuble. Bis 2022 soll der Haushalt ohne neue Schulden auskommen – macht er in Ihren Augen einen Fehler?
Die große Koalition macht einen schweren Fehler, wenn sie das, was im Koalitionsvertrag an Investitionen vereinbart wurde, nicht einhält. Davor kann ich nur warnen. Wir sehen allein auf den für uns wichtigen Feldern Bildung, Breitbandausbau und Wohnen einen Investitionsbedarf von 90 Milliarden Euro. Die Steuermehreinnahmen, die bisher über die Wahlperiode prognostiziert werden, werden dafür nicht reichen. Wir werden uns sehr genau angucken, ob die Regierung einlöst, was sie den Menschen versprochen hat.
Was sollte sie denn tun?
Wenn die Mehreinnahmen nicht reichen, wäre die Koalition gut beraten, die Einnahmeseite in Angriff zu nehmen. Sie muss so ausgestattet werden, dass es reicht, die in Aussicht gestellten Investitionen zu finanzieren. Da könnte man mit dem Unfug anfangen, den Soli stufenweise abzuschaffen. Das sind zehn Milliarden Euro, die pro Jahr für Investitionen nicht mehr zur Verfügung stehen. Dann sehen wir Handlungsbedarf bei der Vermögen-, Erbschafts- und Kapitalertragssteuer. Zweite Stellschraube ist eine Kreditaufnahme. Dies verträgt sich aber nicht mit der Schwarzen Null – weswegen wir die Schwarze Null ablehnen.
Verteidigungsministerin von der Leyen fordert zwölf Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr – wird der DGB da Widerstand leisten?
Dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato hinterherzujagen bringt doch nichts. Frieden sichert man nicht, indem man aufrüstet.
Frühere DGB-Vorsitzende sind viel öfter durch Machtworte oder Kampfansagen an die Regierenden aufgefallen. Auch Ihr Vorgänger Michael Sommer war in seiner polarisierenden Art ziemlich präsent. Ist Ihr moderierender Stil dennoch erfolgreicher?
Es kommt immer auf die Verhältnisse an. Zu Zeiten meines Vorgängers hatten wir über fünf Millionen Arbeitslose. Das muss man berücksichtigen. In den vergangenen vier Jahren haben wir es geschafft, uns unter dem Dach des DGB an ganz vielen Stellen zusammenzuraufen. Wir haben erfolgreich eine gemeinsame Rentenkampagne gefahren. Und wir sind auch erfolgreich darin, das Thema Arbeit der Zukunft mitzugestalten, indem wir es nicht skandalisieren und uns keinen Schreckensszenarien anschließen...
... wie dem Verlust von Millionen Jobs?
Den Gewerkschaften wird oft vorgeworfen, sie seien die Heizer auf der E-Lok. Wir haben aber die öffentliche Debatte angestoßen, dass die Digitalisierung mehr ist als nur Breitbandverkabelung. Natürlich wird es zum Strukturwandel kommen. Manche Berufe – gerade körperlich belastende oder monotone Arbeiten – werden entfallen. Why not? Die Frage ist aber: Welche Perspektive haben die Menschen dann? Da gibt es einen Schlüssel: Qualifizierung und Bildung. Wir müssen die Leute fit machen für die neue Welt der Arbeit.
Ist der DGB besser aufgestellt als 2014?
Vor vier Jahren haben wir darüber diskutiert, wie wir es mit dem Steuerkonzept oder der Handelspolitik – sprich TTIP oder Ceta – halten. Da haben wir gepunktet, indem wir unsere Anforderungen an faire Globalisierungspolitik deutlich gemacht haben. Wir haben die Arbeitsbedingungen bei der Digitalisierung thematisiert, wir haben erfolgreiche Kampagnen geführt. Daraus ziehe ich eine positive Bilanz.
Sind Sie ein wenig neidisch auf die Chefs von Verdi und IG Metall, die mit handfesten tarifpolitischen Ergebnissen eine hohe Autorität erzielen – während der DGB-Vorsitzende immer nur wohlklingende, aber zunächst folgenlose Forderungen erheben kann?
Da bin ich nicht eifersüchtig. Das ist die Funktion des DGB. Wir sind die Stimme der Gewerkschaften im politischen Raum. Dass wir uns an vielen Stellen durchsetzen, ist im Koalitionsvertrag nachzulesen. Im Januar 2017 war die Kanzlerin in der DGB-Bundesvorstandssitzung. Da wollte die CDU das Thema Rente noch komplett aus dem Wahlkampf heraushalten. Sie hatte es nicht mal im Wahlprogramm – und jetzt steht es auf einmal im Koalitionsvertrag. So kann ich nur sagen: Der DGB hat da eine Menge hinbekommen.