Rainer Brechtken, Präsident des Deutschen Turner-Bundes (DTB), spricht im Interview mit der Stuttgarter Zeitung über die massiven Anschuldigungen gegen Trainerinnen am Bundesstützpunkt in Fellbach-Schmiden.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)
Stuttgart - Der Präsident des Deutschen Turner-Bundes (DTB) sitzt auf gepackten Koffern. Es ist aber keineswegs so, dass Rainer Brechtken vor dem Eklat in der Rhythmischen Sportgymnastik (RSG) flüchtet. Im Gegenteil. Direkt vor der Abreise zum Kongress des Weltverbandes Fig in Taschkent nimmt er sich Zeit für ein Interview am Stuttgarter Flughafen. „Ich will alle Maßnahmen ergreifen, die den Mädchen helfen“, sagt der 69-Jährige.
Herr Brechtken, die Rhythmische Sportgymnastik hat zuletzt viele Negativschlagzeilen produziert. Wie groß ist der Imageschaden durch die Vorwürfe der Schmidener Ex-Athletin Katerina Luschik gegen ihre einstigen Trainerinnen und nun die neuen Anschuldigungen einer anderen Sportlerin gegen die Schmidener Cheftrainerin Galina Krilenko?
Ich würde es mal so formulieren: Natürlich ist das ein ernstzunehmender Vorgang, der uns allen Probleme bereitet. Ein Imageschaden würde aber vor allem dann entstehen, wenn der Verband es nicht ernstnehmen und nicht konsequent reagieren würde – das tun wir. Wir können bei allen eingetretenen Problemen durch entschlossenes Handeln signalisieren, wir verbessern die Situation, verändern die Dinge.
Wie wollen Sie das Ganze konkret kitten?
Wir nehmen den gesamten Vorgang sehr ernst, wir haben nicht abgewiegelt, wir haben nicht relativiert. Als der Brief der Familie Luschik bei uns ankam, habe ich sofort unseren Sportdirektor Wolfgang Willam beauftragt, mit allen Mädchen aus der Nationalgruppe Gespräche über jeden einzelnen Vorwurf zu führen und beide Trainerinnen anzuhören. Sie haben gesagt: Das trifft nicht zu, und zwar in allen Punkten. Auch die Mädchen haben gesagt, die Vorwürfe seien nicht berechtigt bis auf einzelne sprachliche Geschichten, die mit russischen Sprichwörtern zu tun hatten. Aber Medikamente oder Schlagen oder Essensentzug, die substanziellen Dinge, sind von keinem Mädchen bestätigt worden.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart dazu laufen. Welche Konsequenzen hat der DTB aus dem Vorfall gezogen?
Es steht da Aussage gegen Aussage. Dennoch war uns klar, dass wir handeln müssen. Wir haben selbstkritisch festgestellt, dass die organisatorische Struktur, um Konflikte zu erkennen und zu lösen, nicht ausreichend war und haben Michael Breuning als Standortmanager eingesetzt, der das Thema professionell angeht und eine Vertrauenskultur aufgebaut hat. Die Hauptvorwürfe waren an die Teamchefin Karina Pfennig gerichtet, von der wir uns dann einvernehmlich getrennt haben. Dadurch haben wir ein Stück weit einen Neuanfang gemacht.
Wie soll der allgemein raue Umgangston im Training verbessert werden?
Meine These lautet ja: Motivation und Leistungsbereitschaft geht nur, wenn man positiv motiviert. Leistungssport ist immer eine harte Geschichte, immer eine gewisse Quälerei sich selbst gegenüber. Wir haben gesagt: Da müssen wir gegensteuern und arbeiten nun mit einem anerkannten Psychologen und Pädagogen zusammen, der unsere Trainerinnen an die Hand nimmt, um die Art der Ansprache und Motivation zu verändern. Darüber hinaus werden wir mit dem Olympiastützpunkt Stuttgart unter wissenschaftlicher Begleitung die Trainingsbelastung im Interesse unserer Athletinnen neu steuern.
Bei den neuen Vorwürfen soll es sich nach unseren Informationen konkret um einen Schlag ins Gesicht von Laura Jung handeln. Was passiert, wenn sich dies bewahrheiten sollte?
Da bin ich natürlich der falsche Ansprechpartner, weil ich nicht der Anstellungsträger bin, das ist in dem Fall der TSV Schmiden. Ein nachgewiesener Schlag ins Gesicht ist aber eine Körperverletzung, und das ist ein Anlass für eine fristlose Kündigung. Da fällt mir übrigens noch eine Maßnahme ein.
Bitte, nur zu.
Manche haben ja das Gefühl – und es mag ja auch was dran sein –, dass wir ein System haben, in dem ein Stück weit Ängste da sind: Habe ich einen Nachteil, wenn ich mich offenbare? Ich habe den Vorschlag gemacht, dass wir möglichst eine „Ombudsfrau“ einsetzen für alle Minderjährigen in einem unserer Kader, an die sie sich jederzeit wenden können. Das Thema treibt mich um, emotional und persönlich.
Wie genau beschäftigt es Sie?
Ich habe da eine Verantwortung. Ich habe eine Verpflichtung für humanen Spitzensport als Präsident. Ich will alle Maßnahmen ergreifen, die den Mädchen helfen. Meine herzliche Bitte wäre, dass, wenn solche gravierenden Vorkommnisse in der Zukunft entstehen würden, die Betroffenen sich direkt an mich oder Herrn Breuning wenden. Bei uns kann sich jedes Mädchen darauf verlassen, dass es keinerlei sportliche Nachteile haben wird. Das gilt übrigens auch für Katerina Luschik: Wenn sie sich in Halle so gut vorbereitet, dass sie bei den deutschen Meisterschaften und einer Qualifikation alle hinter sich lässt, wird sie nominiert werden.
Ist geplant, auch eine Schadens- oder Anhörungsstelle für ehemalige Athletinnen einzurichten?
Jede Ehemalige hat bei mir ein offenes Ohr, wenn es da irgendwo noch Probleme gibt. Ich als Präsident garantiere, dass das dann vernünftig gehandhabt wird.
Rechnen Sie damit, dass in nächster Zeit noch weitere Fälle bekannt werden?
Ich hoffe mal nicht. Irgendwann müssen diejenigen, die etwas zu offenbaren haben, das tun. Ich stehe jederzeit zur Verfügung.
Wir stellen uns das Klima, in dem so massive Vorwürfe drei Jahre zurückgehalten werden wie in dem jüngsten Fall, sehr repressiv vor.
Also ich war ja bei der WM 2011 in Montpellier. Laura Jung hat uns da mit dem 19. Platz im Rennen um die Olympiaqualifikation gehalten, die Nationalgruppe hat sich mit Rang sechs direkt für Olympia 2012 in London qualifiziert. Die Stimmung war geradezu euphorisch. Auch mit der betroffenen Gymnastin hat man geredet und ihr gratuliert. Ich bitte, dass sich künftig jemand direkt an mich wendet, wenn etwas vorfällt.