Engpass im Einzelhandel: Der Edeka-Südwest-Chef Harald Rissel sucht händeringend Personal – und das, obwohl die Mehrzahl der Schlecker-Mitarbeiter bisher keinen neuen Job gefunden hat. Liegt es an der Bezahlung?

Stuttgart - Edeka sucht Filialmitarbeiter, viele ehemalige Schlecker-Beschäftigten suchen eine Stelle. Der Edeka-Südwest-Chef Harald Rissel kann nicht erklären, warum bisher nicht mehr Schlecker-Mitarbeiter in Edeka-Filialen arbeiten. Womöglich liegt es an der Bezahlung.
Herr Rissel, wie geht es der Edeka Südwest?
Wir wachsen.

Wie stark?
Beim Umsatz haben wir in diesem Jahr bisher um 5,5 Prozent zugelegt, das ist besser als der Markt. Wir gehen davon aus, dass wir im Gesamtjahr um fünf Prozent zulegen werden. Zum Vergleich: im vergangenen Jahr waren es drei Prozent.

Von wem erobern Sie Ihre hinzugewonnenen Marktanteile?
Das ist sicher von Standort zu Standort unterschiedlich, aber wir vermuten von der Rewe-Gruppe, Kaufland und Schlecker.

Haben Sie viele offene Stellen?
Ja, in der Tat, das ist sogar ein Problem. Wenn – wie jetzt gerade – fast Vollbeschäftigung herrscht, tut sich der Handel besonders schwer, Leute zu finden.

Wie viele ehemalige Schlecker-Mitarbeiter haben Sie eingestellt?
Das können wir nicht sagen.

Das überrascht. Können Sie das wirklich nicht?
Nein, ich habe dazu wirklich keine Daten vorliegen. Dazu müssten wir auch die selbstständigen Kaufleute befragen.

Auf der anderen Seite hat die Mehrzahl der Schlecker-Verkäuferinnen bisher keine neue Stelle gefunden. Viele Händler scheinen den Betroffenen bis jetzt Angebote zu machen, die für tariflich bezahlte Schlecker-Mitarbeiter deutliche Abstriche bedeuten würden. Darauf hat inzwischen sogar die Chefin der Arbeitsagenturen in Baden-Württemberg, Eva Strobel, hingewiesen. Bezahlt auch Edeka zu wenig?
Nein, das denke ich nicht.

Aber die selbstständigen Kaufleute in Ihrer Gruppe sind nicht tarifgebunden, damit sind zwei Drittel Ihrer Märkte ohne Regelungen.
Die selbstständigen Kaufleute sind teilweise nicht tarifgebunden, das ist richtig. Aber es gibt durchaus selbstständige Kaufleute, die in ihren Harald Rissel Edeka Märkten nach Tarif entlohnen. Auf der anderen Seite ist auch klar: wenn die Kaufleute keine ordentlichen Löhne bezahlen, bekommen sie keine Mitarbeiter. In Stuttgart zum Beispiel ist der Arbeitsmarkt so angespannt, das jeder, der heute bei Schlecker rausgeht, beim nächsten Händler einsteigen kann.

Sind Sie sicher? Auch, wenn die Person über 50 Jahre alt ist und seit 25 Jahren bei Schlecker beschäftigt war?
Ja, das macht doch nichts. Wir sind bereit, die Leute auszubilden, auch wenn sie über 50 sind. Unsere konzerneigene Bäckerei K & U ist damit sehr erfolgreich.

Zurück zur Bezahlung: Lidl hat inzwischen 10,50 Euro als internen Mindestlohn im Unternehmen definiert.
Ja, weil sie sonst keine Leute mehr finden und etwas fürs Image tun müssen.

Warum formuliert Edeka keinen internen Mindestlohn?
Weil wir kein zentral geführter Discounter sind, und auch keine Imageprobleme haben. Dennoch werbe ich dafür, dass möglichst viele selbstständige Edeka-Kaufleute ihre Mitarbeiter nach Tarif bezahlen.

Immer mehr Lebensmittelhändler vergeben das aufwendige Regalauffüllen an externe Dienstleister, die teilweise beschämend niedrige Löhne bezahlen.
Wir machen das nicht.

Mit „wir“ meinen Sie Ihre von der Zentrale gesteuerten Läden. Sie sprechen aber wohl nicht für Ihre Kaufleute und nicht von Netto, der umstrittenen Edeka-Tochter?
Nein, ich spreche für die Filialen, die wir in Eigenregie betreiben. Bei den Kaufleuten habe ich persönlich keine Hinweise, dass die externe Dienstleister beauftragen. Und für Netto bin ich nicht zuständig, weiß aber, dass unsere Hamburger Konzernzentrale Netto mindestens 7,50 Euro pro Stunde als Lohn vorgibt.

Schlecker ist weg. Verkauft Edeka Südwest jetzt mehr Drogerieartikel?
Ja, spürbar!

Wie viel?
Fast zwölf Prozent. Aber offen gestanden hatten wir auch Glück: wir haben im vergangenen Jahr festgestellt, dass im Bereich Drogerie Umsatz an uns vorbeigeht, und haben daraufhin das Sortiment umgestellt und die Preise gesenkt. Die neue Ausrichtung fiel zufälligerweise genau in die erste Phase der Schlecker-Pleite, das war natürlich günstig.

Schlecker hinterlässt besonders auf dem Land ein Vakuum. Sie galten einst als Platzhirsch in den Dörfern. Profitieren Ihre Dorfläden vom Schlecker-Aus?
Ja, gerade in den kleinen Orten spüren wir den Wegfall von Schlecker besonders. Das freut uns, weil auf diese Weise unsere kleinen Läden, die lange Zeit nur Rückgänge hinnehmen mussten, wieder etwas Rückenwind bekommen. Diese Effekte können dazu führen, dass mancher Nachbarschaftsmarkt etwas länger am Leben bleibt. Generell aufzuhalten ist das Ladensterben auf dem Land aber kaum.

Wo kaufen die Leute im Dorf dann künftig ein?
Das ist eine gute Frage. Letztlich hat die Ausdünnung mit der Strukturpolitik zu tun: Jeder Bürgermeister möchte einen Discounter. Und wo ein Discounter in der Nähe steht, kann ein kleiner Dorf-Supermarkt nicht überleben.

Warum will jede kleine Gemeinde einen Discounter?
Worin speziell das Interesse begründet liegt, das müssen Sie die Bürgermeister fragen. Ich habe da meine ganz eigene Theorie, die ich aber nicht öffentlich verbreite.

Seit fünfeinhalb Jahren sind die Öffnungszeiten in Baden-Württemberg unter der Woche vollständig liberalisiert. Können Sie eine Zwischenbilanz ziehen?
Es ist gekommen, wie von uns prognostiziert: Die Freigabe hat das Sterben der kleinen Märkte und auch des Fachhandels beschleunigt. Eine Metzgerei kann einfach nicht von sieben Uhr morgens bis 21 Uhr geöffnet haben, das hält kein Familienbetrieb durch.

Der Edeka Südwest hat die Regelung genützt?
Das ist unterschiedlich. Unsere selbstständigen Familienbetriebe haben nicht profitiert, weil sie die gleichen Probleme haben wie der kleine Metzger. Unsere großflächigen Märkte hingegen haben seither deutliche Zuwächse, genauso übrigens wie Wettbewerber in diesem Segment.

Was erwarten Sie für 2013?
Ich bin etwas in Sorge, ich kann noch nicht absehen, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Die ersten Meldungen über Kurzarbeit und Entlassungen lassen einen sogar überlegen, ob wir weiter wie gewohnt 150 Millionen Euro jährlich investieren oder ob wir vorsichtiger agieren müssen.