I hau, i han, i hab, ich musste: Der Sprachwissenschaftler Hubert Klausmann findet es gut, wenn man alles kann außer Hochdeutsch.

Tübingen - Hubert Klausmann ist Professor der Sprachwissenschaft, und das an zwei Universitäten. Im Gespräch macht er deutlich, warum er es ganz in Ordnung findet, wenn man alles kann außer Hochdeutsch.

 


Herr Klausmann, Baden-Württemberg hat 10,8 Millionen Einwohner, ist global vernetzt, wirtschaftlich höchst erfolgreich – welche Rolle spielt da der Dialekt?
Es ist ja das Erstaunliche, dass die Mundart in dieser Zeit, in der man so viel reisen kann und weltweit vernetzt ist, den Gegenpol bildet, die Verwurzelung. Es ist zu beobachten, wie das Regionale verstärkt hervorkommt. Das scheint mir eine Gegenbewegung zu sein. Die Mundarten werden nicht weggespült. Sie werden zwar verändert, aber sie bleiben erhalten. Bei uns in Baden-Württemberg haben sie eindeutig eine Funktion in Richtung Heimat.

Sie sind in Freiburg geboren und wohnen in Ellwangen, ich bin in Göppingen aufgewachsen. Wie unterhalten wir beiden uns jetzt? Das ist doch kein Hochdeutsch!
Nein, aber das ist ganz üblich hier im Südwesten. Wir verfügen über verschiedene Abstufungen der Sprache, mit denen wir spielen können. Das ist etwas ganz Typisches für den Süden, das gibt es im Norden nicht. Wir können je nachdem, mit wem wir sprechen, eine Stufe wählen. Wir zwei bewegen uns gerade auf der Stufe drei bis vier. Die Stufe eins, das wäre die Dorfsprache, die Stufe fünf, das wäre die Bühnensprache, die müssen wir im Süden nicht erreichen, und was wir vor allem nicht erreichen müssen, das ist die norddeutsche Standardsprache. Wir haben nämlich eine eigene Standardsprache.

Es ist also egal, wenn wir kein Hochdeutsch können?
Es ist völlig in Ordnung im Süden, wenn man eine süddeutsche Standardvariante spricht. Man sagt heute auch in der Sprachwissenschaft, dass es verschiedene Zentren der deutschen Sprache gibt. Es gibt nicht mehr nur ein Hochdeutsch, sondern es gibt hochdeutsche Varianten. Es gibt ein nördliches und ein südliches Hochdeutsch, das geht bis in den Wortschatz hinein, bekannte Beispiele sind Abendbrot und Abendessen, Sonnabend und Samstag.

Heißt das, wenn sich zwei Süddeutsche treffen, gleichen sie instinktiv ab, wo kommt der andere her und wie muss ich sprechen?
Der Sprachforscher Hubert Klausmann erkundet die verschiedenen Dialekte im Land.StZ Das ist richtig. Wenn wir uns jetzt unterhalten, dann unterhalten wir uns auf einer mittleren Stufe. Je nachdem, wie es funktioniert, dann schaltet man nach ein paar Sätzen auf eine andere Stufe. Das ist nicht wertend gemeint. Ich merke, ich kann noch regionaler sprechen, als ich zuerst gedacht habe. Es gibt Zwischenstufen, die großräumiger sind. Dann bin ich nicht mehr so leicht zu identifizieren, aus welchem Ort ich genau komme, sondern es ist eher großräumig, also: ostschwäbisch oder zentralschwäbisch oder westschwäbisch.

Warum hören wir trotzdem, woher ein Gesprächspartner kommt, wenn wir uns in der süddeutschen Standardsprache unterhalten, also zum Beispiel unter Kollegen in der Redaktion der Stuttgarter Zeitung?
Es gibt bestimmte Merkmale, die behält man sehr lange bei, auf dieser Wanderung in Richtung Standardsprache. Andere legt man relativ früh ab. Also ein Ostälbler würde im Gespräch mit Ihnen bestimmte Merkmale wie Längen bei „Daaach“, „Miiischt“ oder „Diiiiiiiiisch“ ablegen und „Dach“, Mischt“ und „Disch“ sagen. Aber er würde trotzdem „broit“ sagen oder „Goiß“.