Exklusiv Der Energieexperte Frank Umbach macht sich angesichts des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine keine Sorgen um die Sicherheit der Gasversorgung in Europa. „Wir sind inzwischen viel besser auf eventuelle Ausfälle vorbereitet“, sagt er im Interview.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

London - Frank Umbach, Forschungsdirektor am King’s College in London, ist Energieexperte, aber er betrachtet Marktänderungen auch durch die politische Brille. Deutschlands Verhalten gegenüber Russland hält er für etwas naiv.

 
Herr Umbach, machen Sie sich angesichts des Ukraine-Konflikts Sorgen um die Gasversorgung im kommenden Winter?
Nein. Wir sind besser auf eventuelle Ausfälle vorbereitet als bei der letzten Gaskrise 2009. Europa hat sich seitdem zusätzliche Bezugsquellen für Gas erschlossen – etwa durch den Ausbau der Infrastruktur für LNG, also für verflüssigtes Erdgas. Insgesamt ist der Energiemix breiter geworden. Hinzu kommt eine engere Koordination auf europäischer Ebene. Die EU hat eine Gasrichtlinie verabschiedet, die zum Beispiel den Bau neuer Verbindungsleitungen zwischen nationalen Gasnetzen vorsieht, der teilweise bereits begonnen hat. Selbst die baltischen Staaten und Finnland sind deutlich besser auf neue Lieferunterbrechungen vorbereitet, wie erste Ergebnisse der jüngsten Stresstests der EU zeigen.
Wie sieht es in Deutschland aus?
Die vorhandenen Gasspeicher sind gut gefüllt und könnten selbst einen mehrmonatigen Lieferstopp Russlands überbrücken. Allerdings müssten im Rahmen der gemeinsamen EU-Energiepolitik die deutschen Gasspeicher auch für andere EU-Staaten geöffnet werden, wenn dies notwendig sein sollte. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, mehr Öl oder Kohle einzusetzen, bei denen die Versorgung derzeit nicht so problematisch ist. Notfalls wären auch drastische Sparmaßnahmen denkbar – bis hin zur Abschaltung der Straßenbeleuchtung.
Rund die Hälfte der russischen Gaslieferungen fließt nach wie vor durch die Ukraine. Welche alternativen Transportwege gibt es?
Die Nordstream-Pipeline ist bis jetzt nur 30 bis 40 Prozent ausgelastet, durch sie könnte also deutlich mehr Gas fließen. Auch die vorhandenen Terminals zur Anlandung von Flüssiggas, das dort re-gasifiziert und ins Erdgasnetz eingespeist wird, haben noch erhebliche freie Kapazitäten.
Welchen Anteil des Verbrauchs können wir über LNG decken?
Im vergangenen Jahr lag der Anteil von LNG in Europa bei 15 Prozent. Allerdings hat Deutschland bislang kein eigenes LNG-Terminal, obwohl bereits seit 20 Jahren Pläne für ein Projekt in Wilhelmshaven in der Schublade liegen. Dazu ist es nicht gekommen – auch weil Pipeline-Gas lange Zeit günstiger war als LNG. Industrie und Politik schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Immerhin wurde eine Stichleitung zum Rotterdamer LNG-Terminal gebaut, das seit 2009 in Betrieb ist. Im nächsten Jahr wird an der polnischen Küste ein neues Terminal fertig, von dem man ebenfalls eine Leitung nach Deutschland legen könnte.
Der Ausbau der LNG-Kapazitäten geht aber nicht von jetzt auf nachher.
Das würde sicher eine Reihe von Jahren dauern. Man muss aber gleichzeitig sehen, dass der Gasverbrauch in Deutschland und Europa sinkt. Das hängt auch mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zusammen, die etwa den Betrieb von Gaskraftwerken unwirtschaftlich machen. Von daher gibt es derzeit wenig Anreize, zusätzliche Gaskapazitäten zu schaffen. Stattdessen führen wir vermehrt Kohle aus den USA ein – entgegen unserer klimapolitischen Zielsetzungen.