Deutschland evakuierte Staatsbürger aus dem Sudan und zieht die Bundeswehr aus Mali ab. Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) plädiert jedoch dafür, dass sich die Bundesrepublik weiter in Afrika präsent zeigt.

Svenja Schulze empfängt in ihrem Ministerbüro zum Interview im 11. Stock mit Blick über Berlin. Zum Kaffee, den sie anbietet, hat sie eine Anekdote parat: Das Ministerium bezieht ihn aus einer Kooperative in Afrika. Deren Chefin schaut streng vom Foto an der Wand und wacht über das Gespräch.

 

Aus dem Sudan sind jetzt die meisten Deutschen und auch Bürger anderer westlicher Staaten evakuiert worden. Heißt das, wir überlassen den Sudan sich selbst?

Nein, auf gar keinen Fall. Ich bin froh, dass die Evakuierungen so gut geklappt haben. Wir müssen aber die Menschen im Sudan weiter unterstützen. Die haben 2019 deutlich gemacht, dass sie eine demokratische Zukunft für ihr Land sehen. Die Militärs zerstören die Hoffnungen auf Demokratie und auf ein besseres Leben.

Springen jetzt nicht Russland und China in die Lücke, die wir hinterlassen?

Wir dürfen eben keine Lücke hinterlassen. Es besteht zurzeit Gefahr für Leib und Leben der Helfer. Deswegen mussten wir unsere Arbeit weitgehend aussetzen. Das heißt aber nicht, dass wir uns zurückziehen. Wie in anderen Konfliktsituationen auch können wir unsere Arbeitsweise anpassen.

Und was bedeutet das konkret?

Wir können verstärkt auf regionale Zusammenarbeit setzen oder Chancen nutzen, die sich auf lokaler Ebene ergeben. Wir haben bislang schon die Binnenvertriebenen im Sudan und die Ernährungssicherung in der Region unterstützt. Das werden wir weiter tun. Dabei geht es zum Beispiel darum, dass die Menschen mehr Nahrungsmittel selbst produzieren können.

Sie waren gerade in Mali. Dort ziehen sich die Deutschen zurück.

Keineswegs. Dort endet das militärische Engagement im Rahmen des UN-Einsatzes. Unsere Drohneneinsätze zur Aufklärung zum Beispiel sind seitens der Verantwortlichen in Mali unerwünscht. Dann ist es weder sinnvoll noch möglich, die Bundeswehr in diesem Auftrag zu belassen. Das bedeutet aber nicht das Ende jeglicher sicherheitspolitischer Zusammenarbeit - und schon gar nicht das Ende der Entwicklungsarbeit.

Aber es gibt einen Rückschlag nach dem anderen in der Region.

Gerade deshalb wollen wir unser Engagement in der Sahel-Zone noch verstärken. Islamistische Terrorgruppen halten sich nicht an Landesgrenzen. Die Gefahr ist groß, dass sie über den Sahel hinaus die westafrikanischen Küstenstaaten destabilisieren. Darum wird auch unser entwicklungspolitisches Engagement die ganze Region in den Blick nehmen, wir nennen das Sahel-Plus. Am kommenden Mittwoch werden wir unsere Initiative veröffentlichen. Dazu gehört auch meine Bewerbung um den Vorsitz der Sahel-Allianz. Das ist die Gruppe der Geberländer und Organisationen, die die Sahel-Staaten unterstützen. In der Summe kommen da viele Milliarden zusammen und gemeinsam können wir damit mehr bewegen als jeder für sich. Es ist für die Region ein wichtiges Zeichen, dass Deutschland hier politisch Verantwortung übernehmen wird.

Und was steht in Ihrem Strategiepapier?

Das orientiert sich an den Bedürfnissen der Menschen in den Sahel-Ländern und den westafrikanischen Küstenstaaten. Wer keine Perspektive und kein Einkommen hat, verdingt sich oft aus Not bei Terrororganisationen. Darum ist es so wichtig, Jobs und Ausbildungsplätze für die Jugend zu schaffen. Ein wichtiger Bereich ist dabei die Landwirtschaft. Noch gehen 40 Prozent der Ernten verloren. Wenn es hier gelingt, Transport, Lagerhaltung, Kühlketten und Weiterverarbeitung voranzubringen und das Knowhow zu verbreiten, hilft das nicht nur gegen den Hunger, sondern schafft auch viele neue Jobs.

Aber wenn die politische Situation so ist wie zum Beispiel in Mali, im Tschad oder anderswo, besteht da nicht die Gefahr, dass die deutsche Hilfe letztendlich für die Stabilität von Diktaturen sorgt, beziehungsweise Warlords und Terroristen indirekt unterstützt?

Sollen wir Menschen nicht unterstützen, nur weil sie das Pech haben, im Machtbereich von Diktatoren zu leben? In solchen Ländern stellen wir die Unterstützung um, weg von den Verhandlungen mit den Regierungen, hin zu direkter Unterstützung der Menschen vor Ort. Außerdem lohnt es sich, die jeweilige Situation genau zu betrachten. Nehmen Sie Mali. Ja, dort haben sich Militärs an die Macht geputscht. Aber ich muss zur Kenntnis nehmen, dass diese Militärregierung erstaunlich hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung hat. Die Politiker, die in Mali zuvor durch Wahlen in Verantwortung kamen, haben sich in den Augen der Malier dagegen als korrupt erwiesen. Und wenn wir in Deutschland über Sicherheit diskutieren, dann müssen wir auch fragen, wie wir mit unserer Entwicklungsarbeit dazu beitragen können, die Ausbreitung des Terrorismus zu verhindern.

Egal, wer regiert?

Nein, natürlich nicht. Aber ich bin davon überzeugt, dass die Strategie, von außen etwas erzwingen zu wollen, nicht funktioniert. Wir dürfen unsere Werte nicht aufgeben und müssen sie vorleben. Zum Glück gibt es mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den 17 Nachhaltigkeitszielen ein global vereinbartes Wertefundament. Entscheidend ist der Umgang miteinander. Es geht letztendlich um Respekt. So sehen das leider nicht alle, aber wir sind deshalb so erfolgreich, weil wir wirklich mit unseren Partnern zusammenarbeiten und nicht über sie bestimmen wollen.

Ist es nicht umgekehrt. China und Russland sind in Afrika erfolgreich, weil sie nicht nach Menschenrechten fragen, sondern sich den Bedürfnissen der Herrschenden anpassen?

Langfristig wird jeder Versuch, neue Abhängigkeiten zu schaffen, scheitern. Die Menschen in Afrika sind selbstbewusst. Die wollen selbst entscheiden. Und die Staaten wollen nicht irgendeinem Block zugerechnet werden, wie im Kalten Krieg.

Deutschland unterhält gute Beziehungen zu Tunesien. Der dortige Präsident regiert das Land mit immer härterer Hand und hat Migranten aus West - und Zentralafrika zu Landesfeinden erklärt. Die kommen jetzt als Flüchtlinge übers Mittelmeer. Aber wir verhandeln mit Tunesien über Rückführungen und Kontrolle der Ausreise.

Das ist eine sehr schwierige Situation, in der die Entwicklungspolitik nur einen kleinen Teil zur Lösung beitragen kann. Wir haben gemeinsam mit der tunesischen Regierung ein Zentrum für Migration und Entwicklung eingerichtet. Dort werden Menschen zu legalen Migrationswegen und Arbeitsmigration beraten, um manche falschen Gerüchte aufzuklären oder auch eine Alternative zu irregulärer Migration zu schaffen. Wir bieten Tunesien also ganz konkrete Unterstützung an. Gleichzeitig ist meine Botschaft an den tunesischen Präsidenten: Rassismus und Diskriminierung akzeptieren wir nicht.

Thema Klimawandel: Selbst, wenn gelingen würde, in kurzer Zeit den globalen CO2 -Ausstoß zu verringern, würde es erst einmal mit der Erderwärmung weitergehen. Muss man sich darauf konzentrieren, die Folgen der Klimaveränderung abzumildern?

Wir werden bestimmte Veränderungen, die wir durch den Klimawandel haben, nicht mehr rückgängig machen können. Das trifft viele Entwicklungsländer besonders hart, auch weil sie solche Krisen schlechter abfedern können. Darum beginnen wir als Weltgemeinschaft jetzt schon damit, uns an das anzupassen, was wir nicht mehr verändern können. Dazu gehört auch, soziale Sicherungsnetze aufzubauen, damit Gesellschaften besser mit den Klimaschocks der Zukunft zurechtkommen können.

Den am meisten betroffenen armen Länder sind 100 Milliarden Dollar pro Jahr versprochen worden. Und zwar schon 2009 in Kopenhagen. Das ist noch nie erreicht worden.

Was nicht an Deutschland liegt. Wir leisten unseren fairen Anteil. Andere Staaten könnten noch mehr tun und es muss auch mehr private Investitionen in die Energiewende in Entwicklungs- und Schwellenländern geben. Darum werden wir künftig verstärkt mit Partnern an den Rahmenbedingungen arbeiten. Mit Südafrika haben wir eine solche Partnerschaft begonnen vom Kohleausstieg bis hin zur Schaffung neuer Jobs für die Kohlearbeiter und den Aufbau erneuerbarer Energien. Ähnliche Partnerschaften haben wir weiteren Ländern und werden dieses Modell weiter ausbauen.

Kommende Woche erlebt Berlin den 14. Petersberger Klimagipfel. Wie sieht es da mit der Vorbildwirkung Deutschlands aus?

Gar nicht so schlecht. Der hohe Anteil erneuerbarer Energien im deutschen Wirtschaftssystem wird sehr beachtet. Vor allem, weil wir ein Industrieland mit hohem Energiebedarf sind. Was ich international immer wieder höre, ist die Frage, was das 100-Milliarden-Dollar-Versprechen der Industrieländer eigentlich wert ist. Deutschlands Glaubwürdigkeit in der Welt hängt nicht nur davon ab, ob wir selber genug Fortschritte beim Klimaschutz machen – sondern auch davon, ob wir Entwicklungsländer solidarisch und ausreichend bei ihrer Energiewende unterstützen.

Viele Entwicklungsorganisationen beklagen den Einbruch bei der Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit. Klagen sie zu Recht?

Natürlich steht der Bundeshaushalt unter enormen Druck nach den Jahren der Krisenbewältigung. Wir sind mitten im Verfahren zur Aufstellung des Bundeshaushalts für 2024. Es ist deshalb zu früh, konkrete Aussagen zu machen, wie wir am Ende alle Anliegen unter einen Hut bekommen.

Die Industrieländer haben sich verpflichtet, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben. Deutschland steht derzeit bei über 0,8 Prozent. Da wird der Bundesfinanzminister nicht bereit sein, mehr Geld für Ihr Ministerium bereitzustellen

Ich werde weiterhin für mehr Geld streiten. Uns darf eines nicht passieren, nämlich, dass unser Engagement für die Ukraine, das ja zu erheblichen Teilen der Entwicklungszusammenarbeit zugerechnet wird, auf Kosten des globalen Südens geht. Genau das befürchtet man aber dort. Und genau das wird auch von Russland immer wieder verbreitet, um Misstrauen gegenüber dem Westen zu säen.

Im Koalitionsvertrag steht, dass für Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie die Mittel im Verhältnis Eins zu Eins zu den Steigerungen im Verteidigungsetat erhöht werden.

Das ist vor dem Krieg gegen die Ukraine vereinbart worden und bevor allen deutlich wurde, wie dringend massive Investitionen in die Bundeswehr für unsere Sicherheit sind. Mir ist in der Auseinandersetzung um den Haushalt wichtig, dass wir einen breiten Sicherheitsbegriff verfolgen, also auch die langfristige menschliche Sicherheit. Und ich bin mir sicher, dass sich die Einsicht in der gesamten Koalition durchgesetzt hat, dass Sicherheit nicht nur militärisch gewährleistet werden kann, sondern dass wir auf Entwicklung als Prävention setzen müssen. Wir wissen: Jeder Euro, den wir in diese Form der Prävention stecken, spart am Ende vier bis acht Euro für Nothilfe und häufig auch höhere Militärkosten.

Sie sind Germanistin und haben in Münster einen Lieblingsbuchladen. Wann lesen Sie und was lesen Sie?

Ich lese sehr viel unterwegs und auch abends noch. Ich will nicht nur Akten lesen, weil ich immer die Sorge habe, dass ich mich bei der Sprache, die für Verwaltungen typisch ist, anstecke. Deswegen, aber nicht nur deswegen, lese ich gern Romane.

Hätten Sie eine aktuelle Buchempfehlung?

Gern. Ich empfehle die Romane von Leila Slimani über eine junge Elsässerin, die der Liebe wegen nach Marokko ausgewandert ist. Da beschreibt sie sehr eindrücklich die Schwierigkeiten, die einer Europäerin in einer ihr völlig fremden Kultur begegnen. Wirklich zauberhaft geschriebene Bücher.