Die SPD im Südwesten stagniert bei Umfragen im Keller, versuchte 2011 zeitweise sich auf Kosten der Grünen zu profilieren. Muss es nicht heißen: Erst mal müssen wir glaubwürdig sein, unsere Arbeit gut machen?

 

Eindeutig ja. Mich hat es gestört, wenn die Unruhestifter beider Seiten mehr Publizität hatten als die, die gute, kooperative Arbeit leisten. Das Projekt Rot-Grün ist für die Bundes- und Europaperspektive viel zu wichtig, als dass man sich in Sticheleien ergeht. Deutschland und Europa brauchen dringend die ökologische Wohlstandsperspektive.

Parteitage signalisieren da manches Mal was anderes, wenn jeweilige Parteigänger unter sich sind. Die Grünen haben in Aalen einige Spitzen gegen die SPD losgelassen, die Sozialdemokraten hatten in Offenburg vor allem sich selbst gefeiert...

Jede Partei darf auf Parteitagen die eigenen Verdienste herausstellen und über die Verdienste des Partners relativ schweigsam bleiben. Was nicht sein darf, ist Polemik.

Sehen Sie da ausreichenden Lerneffekt, gegenüber den Ausreißern 2011?

Welche Bedeutung kommt aus Ihrer Sicht diesem Regierungswechsel zu?

Das bodenständige baden-württembergische Volk, darf lernen, muss lernen, soll lernen, dass Sozialdemokraten und Grüne im Kern äußerst anständig sind und vernünftig regieren können. Erfolgsorientiert, bodenständig, auf moderne Arbeitsplätze und langfristige Umweltsicherung ausgerichtet.

Sie sind anerkannter Umweltwissenschaftler, Experte für Nachhaltigkeit: Sehen Sie da erste wichtige Pflöcke, die von Grün und Rot eingerammt wurden?

Endlich wird auch in Baden-Württemberg über einen Nationalpark geredet. Endlich hat das Thema einer ökologischen Industrie den richtigen Stellenwert in der Wirtschaftspolitik. Endlich hört die über Jahrzehnte fühlbare Bremserrolle Baden-Württembergs bei Windenergie und anderen Umweltfragen auf. Und gleichzeitig sickert im Volk ein, dass die ökologische Orientierung der Landesregierung der Wirtschaft überhaupt nicht schadet.

Mitunter gibt es unterschiedliche Ansichten zwischen Grün und Rot. Vergangenes Jahr hatte man zeitweilig den Eindruck, dass das alte rot-grüne Spiel "Koch und Kellner" wieder aufleben wollte. Beschäftigt Sie das?

Die Mehrheitsverhältnisse geben Ausgewogenheit vor. Und nach meiner Beobachtung wird die Ausgewogenheit prima eingehalten.

Ist es für die SPD grundsätzlich ein Malus, wenn sie in einer Regierung mit den Grünen nur die zweitstärkste Partei stellt? Geht das an das Selbstwertgefühl?

Die Grünen haben unter Winfried Kretschmann bewundernswert darauf geachtet, dass in der Funktionszuteilung im Kabinett die SPD keinerlei Minderwertigkeit empfinden muss.

Heißt das: die SPD hat bei der Verteilung von Posten sogar besser abgeschnitten, als sie hätte erwarten können?

Ja.

"Deutschland und Europa brauchen dringend die ökologische Wohlstandsperspektive"

Die SPD im Südwesten stagniert bei Umfragen im Keller, versuchte 2011 zeitweise sich auf Kosten der Grünen zu profilieren. Muss es nicht heißen: Erst mal müssen wir glaubwürdig sein, unsere Arbeit gut machen?

Eindeutig ja. Mich hat es gestört, wenn die Unruhestifter beider Seiten mehr Publizität hatten als die, die gute, kooperative Arbeit leisten. Das Projekt Rot-Grün ist für die Bundes- und Europaperspektive viel zu wichtig, als dass man sich in Sticheleien ergeht. Deutschland und Europa brauchen dringend die ökologische Wohlstandsperspektive.

Parteitage signalisieren da manches Mal was anderes, wenn jeweilige Parteigänger unter sich sind. Die Grünen haben in Aalen einige Spitzen gegen die SPD losgelassen, die Sozialdemokraten hatten in Offenburg vor allem sich selbst gefeiert...

Jede Partei darf auf Parteitagen die eigenen Verdienste herausstellen und über die Verdienste des Partners relativ schweigsam bleiben. Was nicht sein darf, ist Polemik.

Sehen Sie da ausreichenden Lerneffekt, gegenüber den Ausreißern 2011?

Die Haltung der SPD-Führung nach dem Abstimmungsergebnis zu Stuttgart 21 war nach meiner Ansicht vorbildlich. Es hat keinerlei Triumphtöne gegeben. Dieses hätte sonst den grünen Partner beleidigt und die Regierungsarbeit sehr erschwert. Aber es hätte auch innerhalb der SPD - mit Betonung: innerhalb der Partei - zu Zerreißerscheinungen führen können. Während FDP, CDU und Grüne bei der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 jeweils weitestgehend einer Meinung waren, stand es in der SPD-Basis vielleicht 60 zu 40 - also etwa so wie in der Gesamtbevölkerung. Entsprechend gab es hier innerparteilich Zoff, aber der ist mit viel Toleranz behandelt worden.

Wenn man aktuelle Meldungen zum Projekt Stuttgart 21 liest, müsste es für Sie als Ökologe ja im Moment spannend erscheinen, dass ein Juchtenkäfer und eine Zwergfledermaus nun Blockaden neuer Art auslösen.

Das sind natürlich Symbolgefechte. Lebensräume für solche Tierarten kann man auch anderswo ausweisen. Eine ganz andere Frage ist, ob das Projekt insgesamt ökologisch besonders vernünftig ist. Um dies zu beantworten, habe ich im Vorfeld immer darum gebeten, die Kosten-Nutzen-Abwägung zwischen einem Großprojekt und hundert Kleinprojekten mit Ertüchtigung des Bahnsystems gegenüberzustellen. Ich wäre da eher auf der Seite von hundert Kleinprojekten gewesen, auch aus ökologischen Gründen. Aber das ist Vergangenheit, jetzt schauen wir in die Zukunft.

Es gibt noch andere Parteien im Land. Wählerpotenziale verschieben sich rasant: Vor zwei Jahren lag die FDP bei 15 Prozent, jetzt sind es in Umfragen zwei Prozent. Wo steht die FDP in einem Jahr?

Bei dreieinhalb Prozent.

Sprich: diese Partei hat aus Ihrer Sicht in dieser Form ausgedient...

Für dieses Jahrzehnt, ja.

Ex-Ministerpräsident Günther Oettinger bezeichnete unlängst Winfried Kretschmann als "den Manfred Rommel der Grünen", und prognostizierte eine längere Phase Grün-Rot. Wie ist Ihre Prognose: Hält Grün-Rot in Baden-Württemberg bis 2016?

Da bin ich sehr optimistisch. Ich vermute auch dass Rot-Grün (mit lokalen Varianten) in Deutschland und teilweise auch in Europa näher an den "Mainstream" kommt. Das heißt dann eben "eine gute Prognose".

Und die CDU, die zuletzt 58 Jahre regiert hat, muss sich dann wohl erst wieder mit sich selber zurechtfinden?

Die CDU hat ihre legitimen Stärken, auf die sie setzen kann. Und wenn Grün-Rot zu viele Fehler machen sollte, dann setzt sich die CDU mit ihren Stärken auch wieder durch. Ich wünsche jeder Partei, das für das Gesamtwohl Beste, und da schließe ich auch die CDU mit ein.

Für die SPD im Bundestag

Person Ernst-Ulrich von Weizsäcker ist Sohn des Physikers und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker und Neffe des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Er studierte Chemie und Physik und war in vielen Forschungseinrichtungen tätig. Zuletzt war er tätig als Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie.

Politik Ernst-Ulrich von Weizsäcker war von 1998 bis 2005 Bundestagsabgeordneter für die SPD. 1998 gelangte er über die Landesliste ins Parlament; 2002 holte er direkt den Wahlkreis Stuttgart I. 2005 trat er nicht mehr an.