Waren das harte Verteilungskämpfe?
Mir ging es immer darum, und das ist meine Grundüberzeugung, dass kein Landesteil zu kurz kommt.

Diese Überzeugung in allen Ehren, aber bei den Fusionen im Energie-, Banken- und Rundfunksektor ging es doch knallhart darum, wer sitzt wo? Inwieweit spielte das damals eine Rolle – etwa die Badenfrage?
Die Badenfrage ist nie offiziell ausgerufen worden, aber sie hat eine Rolle gespielt.

Inwiefern?
Betrachten wir den Rundfunk, der war aufgegliedert nach den früheren französischen und amerikanischen Besatzungszonen mit der Grenze Autobahn 8: der SWF für Südbaden, Südwürttemberg und Rheinland-Pfalz mit Sitz in Baden-Baden, der SDR für Nordwürttemberg und Nordbaden mit Sitz in Stuttgart. Viele, gerade hochgestellte Persönlichkeiten aus Stuttgart, haben mir damals geraten: das teilen wir auf zwischen Stuttgart und Mainz. Mir war aber klar: der Erfolg der Fusion entscheidet sich in Baden-Baden. Ich habe meinem Partner Ministerpräsident Kurt Beck von Anfang an gesagt, dass neben den Standorten Stuttgart und Mainz auch Baden-Baden einbezogen werden muss. Ohne das wäre der gemeinsame Sender SWR nicht zustande gekommen – weder früher noch später.

Noch komplizierter war der Zusammenschluss des öffentlichen Bankensektors, an der Ihr Vorgänger als Ministerpräsident, Lothar Späth, gescheitert war.
Mir war immer klar, dass wir die Kräfte im Bankenbereich im Land bündeln müssen. Das haben wir nur hinbekommen, weil es eine einmalige Konstellation gab und die Beteiligten vertraulich arbeiteten.

Späth speiste im Sternerestaurant bei Lyon, während die Landesgirokasse der Stadt Stuttgart die Fusion ablehnte . . .
. . . die günstige Konstellation bei mir war, dass sich die Beteiligten gut kannten und zueinander Vertrauen hatten. Dazu gehörten der Sparkassenpräsident Heinrich Haasis und der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster. Wir haben in der Villa Reitzenstein getagt, immer nur am Sonntagabend, es war kein Personal da, es gab keine schriftliche Einladung. Dennoch standen diese persönlichen Bindungen auf dem Spiel, als ein Gutachten dem Land eine Mehrheit zusprach, was nie akzeptiert worden wäre. Erst als wir den Förderteil aus der Landeskreditbank herausnahmen, haben wir eine Lösung gefunden. Aber auch da war es klar, dass wir nicht ohne drei Standorte in Stuttgart, Karlsruhe und Mannheim, wo Vorgängerbanken saßen, auskommen würden.

Und bei der Fusion im Energiesektor?
Da gab es viele schwierige Fragen. Aber wir wussten von Anfang an, dass wir die Standorte Stuttgart und Karlsruhe, das Hauptsitz wurde, erhalten und nutzen mussten.

Ist es sinnvoll, dass diese landsmannschaftlichen Fragen eine so große Rolle spielen?
Die Vielfalt des Landes ist seine Stärke und kein Nachteil. Ich habe deshalb nicht nur Stuttgart, Mannheim und Karlsruhe im Blick gehabt, sondern alle Städte wie beispielsweise Freiburg und Ulm, Pforzheim und Heilbronn, Lörrach und Tauberbischofsheim, Konstanz und Heidelberg, Reutlingen und Tübingen.

Besteht dann nicht die große Gefahr, dass man sich verzettelt?
Nein. Roland Berger hat es einmal in einem Gutachten festgestellt: Er kenne weltweit kein Land, das eine so ausgeglichene Siedlungsentwicklung hat wie Baden-Württemberg. Das kommt nicht von selbst. Der Staat kann keine Arbeitsplätze schaffen, aber er kann die Infrastruktur für die Wirtschaft schaffen, vor allem in den Bereichen Bildung, Forschung und Verkehr.

Was folgern Sie daraus?
Ich kenne viele Föderalisten, die sind Föderalisten nach oben, wenn es um Brüssel oder den Bund geht. Aber im eigenen Land machen sie Zentralismus. Ich bin ein Föderalist nach unten. Für mich sind die Gemeinden und die Kreise wichtig, sie sind den Bürgern am nächsten. Und erst dann kommt das Land. Deshalb ist es falsch, dass jetzt die Polizeidirektionen auf Kreisebene aufgegeben werden. Sie sind bürgernah und mit allen Kommunen verzahnt. Sie sind auch erfolgreich, denn wir haben die höchste Aufklärungsquote. Wir müssen dezentralisieren und das ganze Land sehen. Schauen Sie nach Freiburg: der größte Arbeitgeber ist das Land mit den Kliniken, der zweitgrößte das Land mit der Universität, der drittgrößte das Land mit dem Regierungspräsidium. Da sehen Sie die Bedeutung der Strukturpolitik des Landes. Und so gibt es viele Beispiele im Südwesten auch im ländlichen Raum mit Hochschuleinrichtungen in Mosbach und Künzelsau, in Biberach und Ravensburg, in Albstadt-Sigmaringen und in Lörrach, in Offenburg und Kehl. Das Land muss die richtigen Rahmenbedingungen schaffen für eine gute Zukunftsentwicklung.

Das heißt: die Vielfalt der Landsmannschaften ist Teil, ja Voraussetzung des Erfolgs?
Ja, das stimmt. Und wir sind mit dieser Politik auch immer auf Zufriedenheit gestoßen. Allerdings muss ich auch sagen, dass trotz der starken Berücksichtigung in Karlsruhe immer das Gefühl herrscht: wir kommen zu kurz.

Sind diese Fragen auch heute noch wichtig?
Ja, das glaube ich. Wenn Sie diese Gesichtspunkte ein, zwei Legislaturperioden nicht berücksichtigen würden, würde das Land zurückfallen, und dann spielt diese Frage wieder eine große Rolle.