Beim Datenschutz dürften Sie die EU-Bürger hinter sich haben. Ansonsten ist der Ruf der Union allerdings eher schlecht. Wie erleben Sie – als Kommissarin mit dem meisten Bürgerkontakt – die Stimmung?
Das, was ich in den Zeitungen lese, unterscheidet sich sehr von dem, was ich seit eineinhalb Jahren bei Gesprächen mit Bürgern in ganz Europa höre. Natürlich schaut jemand in Stuttgart anders auf die Krise als in Thessaloniki. Viele Griechen haben trotz guter Ausbildung keinen Job, sehen für die Zukunft schwarz und sind verzweifelt. Es ist wichtig, dass wir diesen Bürgern das Gefühl gehen dass wir sie Ernst nehmen.

Sie sehen die Anti-EU-Stimmung also auch?
Ganz im Gegenteil: Quer über ganz Europa sprechen die Menschen mich auf bestimmte Probleme an. Sage ich Ihnen dann beispielsweise, dass ich dafür laut EU-Vertrag keine Kompetenz habe, sagen die mir: Dann ändern Sie die Verträge und lösen das Problem. Den Menschen ist es egal, welche Institution zuständig ist, Hauptsache das Problem wird gelöst.

Aber wollen die Menschen nicht eher, dass Probleme auf der ihnen nächsten politischen Ebene angepackt werden und nicht unbedingt zentral in Brüssel?
Welche Leute sind das denn, die das wollen? Ich bin denen noch nicht begegnet.

Wenn die Strukturen so unerheblich wären, wie Sie sagen, bräuchten wir die ganze europäische Reformdebatte nicht.
Wir brauchen die Reformdebatte sogar sehr. Denn wir müssen schon die passenden Strukturen schaffen, innerhalb derer wir die Probleme gelöst bekommen.

Was schwebt Ihnen konkret vor?
Mich stört, dass wir in der Krise – weil es oft schnell gehen musste und keine europäischen Instrumente zur Verfügung standen – vieles auf zwischenstaatlicher und nicht auf gemeinschaftlicher Basis gelöst haben. Die nötige parlamentarische Kontrolle fehlt. Vieles spielt sich daher leider im Verborgenen ab – die nationalen Parlamente sind nicht richtig involviert, das Europaparlament auch nicht. Das ist nicht gut.

Sie reden über die Troika.
Reden Sie mal mit den Menschen in Portugal oder Griechenland, dann sehen sie, wie wütend die auf die Troika sind. Die sehen, dass da Beamte zu ihnen kommen, die ihren gewählten Vertretern sagen, was zu tun ist.