Im Interview bekennt die oberste Wettbewerbshüterin der EU, Margrethe Vestager, dass sie ein seltsames Gefühl dabei hat, beim Googeln oder Benutzen des Smartphones so viele persönliche Daten zu übermitteln.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Mit Spannung wird erwartet, wie das Verfahren der Wettbewerbskommissarin gegen Google ausgeht. Sie glaubt, dass sie genügend Beweise hat, um den Konzern zu überführen.

 
Frau Vestager, Sie haben vor 18 Monaten in Brüssel angefangen. Heute sind Sie bekannt als eine der mächtigsten Politikerinnen der EU, die sich mit Konzernen wie Google und Daimler anlegt. Wie ging das?
Das ist nun einmal mein Job. Das meine ich ernst. Es ist meine Aufgabe zu handeln, wenn Unternehmen zu groß werden und wenn sie meinen, sie allein könnten die Welt organisieren. Es gilt zu intervenieren, wenn sie sich nicht an die Regeln halten, die für jedermann gemacht sind.
In der Globalisierung fusionieren Unternehmen zu immer größeren Konzernen. Wann muss die Kommission eingreifen?
Wir müssen dafür sorgen, dass auch nach einem Zusammenschluss Wettbewerb möglich ist. Der Markt muss zugänglich bleiben für neue Spieler. Sie müssen die Möglichkeit haben, Geschäfte zu machen und sich den Kunden zu präsentieren. Der Anreiz für Investition und Innovation muss gewahrt bleiben. Da kommt es vor, dass wir Fusionen ablehnen. Wenn Unternehmen so groß werden, dass ihnen alles gehört, ist der Wettbewerb vorbei. Fusionskontrolle geht nicht nur die Kunden an, sondern jeden Bürger. Einige wenige Unternehmen haben über die von ihnen angebotenen Dienstleistungen zunehmend großen Einfluss auf die Funktionsweise ganzer Gesellschaften. Nehmen wir die Telekommunikation. Wenn ein Smartphone-Vertrag so teuer ist, dass sich Teile der Gesellschaft ihn nicht leisten können, werden Menschen von Teilhabe ausgeschlossen. In vielen Ecken Europas erfährt man nur noch über Facebook, wann und wo das Training der lokalen Jugendmannschaft stattfindet. Da ist ein Internetzugang lebenswichtig.
Brüssel ist bekannt für die Konzentration von Lobbyisten. Hat die Lobby zu viel Einfluss?
Ich treffe keine Lobbyisten. Ich rede mit den Chefs der Unternehmen, weil sie entscheiden, wohin die Reise geht. Treffen mit Lobbyisten bringen mir nichts. Wir beurteilen den Fall nach den Fakten, da ist es unerheblich, was ein Lobbyist erzählt. Meine Mitarbeiter nehmen gelegentlich an Veranstaltungen teil, wo auch Lobbyisten sind. Wir sind dann peinlich darauf bedacht, darüber im Transparenzregister Auskunft zu erteilen. Grundsätzlich treffen sie nur Lobbyisten, die registriert sind. Transparenz ist das beste Mittel, mit dem wir uns impfen können gegen Einflussnahme durch Lobbyisten. Die Bürger sollen Bescheid wissen, sie sollen kritisieren können, wenn sie etwas anstößig finden.
Sie haben eine Rekordstrafe gegen das Lastwagenkartell verhängt, an dem Daimler beteiligt war. Sie treffen eine Branche empfindlich, die wichtig ist für Arbeitsplätze . . .
Selbstverständlich, eine Strafe muss weh tun. Wenn sie nicht schmerzt, dann ist sie bloß eine belanglose Zahl in der Unternehmensbilanz. Für uns ist wichtig: Es darf sich niemals wirtschaftlich auszahlen, ein Kartell zu gründen. Der Lastwagen-Markt hat eine große Bedeutung in der EU. Wir haben mehr als 500 000 Unternehmen, die Transport-Dienstleistungen anbieten. Wenn nun kartellbedingt die Kaufpreise höher sind, wenn Umweltinnovationen ausbleiben oder später kommen, dann liegt dem ein schweres Vergehen zugrunde. Das Kartell wurde von leitenden Mitarbeitern eingefädelt. Das ist der Stoff, aus dem Krimis geschrieben werden.
Googeln Sie? Übermitteln Sie persönliche Daten, wenn Sie Ihr Smartphone nutzen?
Ich google und blocke in der Regel nicht die Übermittlung meiner Daten. Ich räume ein: Es ist ein seltsames Gefühl, Unternehmen so viele persönliche Informationen preis zu geben. Ich finde es aber nicht nur seltsam im Zusammenhang mit IT-Unternehmen. Nehmen Sie die Bonus-Karten im Einzelhandel. Ich habe sie alle abgeschafft. Es geht meinen Supermarkt nichts an, welche Produkte ich kaufe, wann ich einkaufe und in welcher Filiale.
Sie appellieren an den Verbraucher, sorgsamer mit Daten umzugehen?
Nicht nur. Die Politik ist gefordert. Ich verweise darauf, dass sich das Europaparlament und die Mitgliedsländer gerade auf neue Datenschutzregeln verständigt haben, die 2018 in Kraft treten. Es zeichnet sich ab, dass es bei den sozialen Netzwerken Handlungsbedarf gibt. Ich setze große Erwartungen in das Verfahren gegen Facebook, das das Bundeskartellamt angestrengt hat. Es wird geprüft, ob das Geschäftsgebaren von Facebook mit deutschen und europäischen Datenschutzgesetzen vereinbar ist.
Ist Google zu mächtig?
Ich habe nichts dagegen, wenn ein Unternehmen erfolgreich ist. Mein Beifall endet aber, wenn es Hinweise gibt, dass der Erfolg von einem Unternehmen ausgenutzt wird, um Wettbewerber vom Markt fernzuhalten. Bei aller Vorsicht, unsere Untersuchungen sind ja noch nicht abgeschlossen: Wir glauben aber, Beweise dafür zu haben, dass Google seine marktbeherrschende Stellung ausnutzt.
Sollte die EU versuchen, mit Steuergeld eine europäische Alternative zu Google aufzubauen? Einen IT-Airbus, wenn man so will?
Ich finde, der Markt sollte es richten. Trauen wir der Politik die Entscheidung zu, welches Unternehmen groß werden soll? Ich bin skeptisch und halte es für wichtiger, die Reformen am EU-Kapitalmarkt voran zu treiben. Wir brauchen nicht nur Konkurrenz für Google. Sie muss dann auch die Chance haben, in Europa zu bleiben. Nach meiner Überzeugung gibt es in Europa Start ups mit viel versprechenden Geschäftsmodellen. In so manchem Unternehmen steckt das Potenzial, groß und erfolgreich zu werden. Sie brauchen dafür aber Risikokapital. Hier ist die EU schlecht aufgestellt, Kredite sind für junge Unternehmen schwer zu bekommen, wir brauchen mehr Business Angels, die Geld und Ideen in junge Betriebe stecken. Diese Defizite führen dazu, dass viele Unternehmen abwandern in die USA.
Warum hat die EU ein Akzeptanzproblem?
Es gibt dafür mehrere Gründe, einen möchte ich herausstellen. Menschen haben zunehmend das Gefühl, dass sie wirtschaftlich abgehängt sind. Sie zweifeln, ob sie es noch schaffen, über persönlichen Fleiß einen respektablen Platz in der Gesellschaft zu finden. Sie wissen nicht mehr, ob sie einen neuen Job finden, wenn sie arbeitslos werden, ob ihre Kinder es nach einer guten Ausbildung eines Tages besser haben werden. Menschen verlieren den Glauben daran, dass sie durch eigenes Handeln ihre Lage verbessern können. Sie beginnen, Politikern zu misstrauen. Zweifel wachsen, ob Politiker etwas tun können, damit das Individuum seine Lage verbessern kann. Auch daher rühren Skepsis und Vertrauensverlust.
Was folgt daraus?
Die EU-Kommission muss eine Arbeit machen, die möglichst konkret und sichtbar ist. Zum Beispiel: Wir sorgen dafür, dass die weltweit tätigen Großkonzerne ihre Steuern zahlen. Wir sorgen dafür, dass die Stromversorgung sicher und Energie zu Preisen verfügbar ist, die sich die Menschen leisten können. Je konkreter desto besser. Anders können wir dem Ohnmachtsgefühl der Bürger nicht begegnen.
Braucht die EU mehr Kompetenzen, oder sollte Macht zurück gehen in die Nationalstaaten?
Ich bin dafür, dem Bürger jetzt nicht mit Reformen zu kommen. Er würde denken: ,Die nächsten fünf Jahre wird nichts Relevantes passieren.‘ Die Menschen würden erwarten, dass komplizierte Abstimmungsprozesse beginnen und dass am Ende ein Vertragswerk mit zahllosen Kniffen steht, das sie ohnehin nicht verstehen. Wir müssen die Bürger viel mehr mit guter Arbeit überzeugen.