Bernhard Bauer kreidet Christian Prokop an, dass er den EM-Kader ohne Not durcheinandergewirbelt hat. Doch der ehemalige Präsident des Deutschen Handballbundes erklärt im Interview auch, warum nicht nur der Bundestrainer Fehler gemacht hat.

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Stuttgart - Die Analyse nach dem schwachen EM-Auftritt der deutschen Handballer hat begonnen. Am Ende wird feststehen, welche Veränderungen es mit Blick auf die Heim-WM 2019 geben wird. Ex-DHB-Präsident Bernhard Bauer ist sicher, dass Christian Prokop Bundestrainer bleiben wird.

 
Herr Bauer, wetten Sie gelegentlich?
Nein, ich wette nie.
Wer auf ein EM-Endspiel Schweden – Spanien getippt hätte, wäre ein reicher Mann.
Das stimmt. Damit hat wirklich keiner gerechnet. Die Franzosen waren schon der Topfavorit und galten als Übermannschaft, zumal sie ungeschlagen ins Halbfinale marschierten. Die Spieler dachten wohl im Unterbewusstsein, Spanien im Vorbeigehen schlagen zu können. Auch von Gastgeber Kroatien hätte man den Sprung unter die letzten Vier erwartet.
Was zeigt diese Endspielpaarung?
Dass die internationale Spitze noch enger zusammengerückt ist. Dass oft Verletzungspech und Tagesform entscheiden.
Hat Sie die mediale Wucht überrascht, die nach dem deutschen EM-Aus über den Bundestrainer hereinbrach?
Ein wenig schon. Aber der Deutsche Handballbund hat selbst dazu wesentlich beigetragen und muss sich deshalb an die eigene Nase fassen.
Warum?
Er hat sich ganz bewusst für den jungen Trainer Christian Prokop und seine Spielphilosophie entschieden und eine sehr langfristige Zusammenarbeit bis 2022 vereinbart. Man gebe ihm Zeit, hieß es. Gleichwohl wurde bereits für die Europameisterschaft unmissverständlich der Halbfinal-Einzug gefordert. Als Minimalziel wohlgemerkt. Dies ist wenig schlüssig, der DHB handelte sogar widersprüchlich.
Als Titelverteidiger ist eine hohe Zielsetzung doch aber völlig normal.
Mag schon sein, aber es ist auch immer eine Frage der nach außen formulierten Erwartungen. Warum muss man etwa gegen Spanien von verantwortlicher Seite ungefragt einen Sieg versprechen? Da tu ich keinem einen Gefallen. Dem Trainer am allerwenigsten. Und der Trainer des Gegners muss sich zudem keine Gedanken mehr darüber machen wie er seine Spieler motivieren soll – die brennen nach solchen Aussagen.
Prokops gravierende Fehler sind damit aber nicht zu entschuldigen.
Er hat sicher auch falsche taktische Entscheidungen getroffen. Aber dies kann in jedem Spiel jedem Trainer passieren. Niemand ist fehlerfrei. Was ich ihm viel mehr ankreide ist, dass er ohne Not den Kader durcheinandergewirbelt hat.
War die Bekanntgabe der Nichtnominierung von Finn Lemke nach dem letzten Test in Neu-Ulm der Beginn einer Entfremdung zwischen Trainer und Mannschaft?
Entfremdung halte ich für das falsche Wort. Aber ich bin davon überzeugt, dass die Entscheidung bei den Spielern Verwunderung und Verunsicherung ausgelöst hat. Ich bin sicher, hätte jeder der Spieler „seinen EM-Kader“ nominieren können, wären immer Finn Lemke und wohl auch Rune Dahmke sowie Fabian Wiede auf dem Zettel gestanden.
Vizepräsident Bob Hanning kündigte an, ein „weiter so“ werde es nicht geben. Wird der DHB an Prokop festhalten?
Da bin ich mir sicher.
Warum?
Weil man sich ganz bewusst langfristig für diesen jungen Trainer entschieden, ihm das Vertrauen ausgesprochen hat, und diesen Weg jetzt nicht abbrechen kann. Ich halte das auch für richtig, denn wer wirklich geglaubt hat, dass der Wechsel von Dagur zu Christian ohne Brüche abgeht, war blauäugig.
Und wenn die Gräben zwischen Trainer und Mannschaft zu tief sind?
Wenn es tatsächlich so wäre, müssen selbstverständlich Konsequenzen gezogen werden. Welche dies sind, kann aber erst nach einer wirklich ehrlichen und objektiven Analyse entschieden werden, bei der auch die Heimtrainer und Vereine der Nationalspieler einbezogen werden müssen.
Den erfahrenen Kräften stinkt es, dass sie vom Trainer teilweise wie Schulbuben behandelt werden und im Tagesablauf Vieles bis ins letzte Detail ständig bestimmt wird.
Ob dies so war oder ist, weiß ich nicht. Aber Fakt ist, dass jeder Trainer seine eigene „Führungsphilosophie“ hat. Die soll und darf er haben, doch entscheidend ist am Ende immer der Erfolg, an dem ein Trainer sich messen lassen muss. Für Dagur Sigurdsson, den ich selbst erlebt habe, waren die Spieler mündige Profis, die selbst wissen müssen, was von ihnen erwartet wird.
Prokop hatte bisher nur Nobodys in Leipzig trainiert. . .
. . .die er allerdings Stück für Stück nach oben geführt hat und die ihm – übertrieben gesagt – daher wahrscheinlich jeden Wunsch von den Lippen abgelesen haben. Seine Leistung in Leipzig verdient auf jeden Fall großen Respekt! Bayern-Trainer Jupp Heynckes hat kürzlich in einem Interview gesagt, „man müsse als Trainer wissen, dass alle Menschen unterschiedlich sind und darf sie nie gleichbehandeln. Man müsse für jeden Spieler die passende Botschaft finden, damit er die beste Leistung bringt“. Darauf und auf nichts anderes kommt es an!
Die Nationalspieler haben in ihren Vereinen erfolgreiche und erfahrene Trainer wie Noka Serdarusic, Alfred Gislason, Velimir Petkovic, Nikolaj Jacobsen . . .
. . .oder die Melsunger Michael Roth. Dass sie den jungen Trainer Prokop mit diesen alten Hasen vergleichen, liegt auf der Hand.
Muss Prokop als Nationaltrainer mit begrenztem Zeitbudget sein System nicht stärker an die vorhandenen Spieler anpassen?
Es ist doch die Aufgabe des Trainers, das was bereits unter Dagur gut war, zu erhalten und durch neue Impulse so zu verbessern, dass die vereinbarten Ziele erreicht werden. Hierfür muss er die Spieler seines Vertrauens auswählen.
Wird er diesen Kompromiss eingehen?
Das ist sicher die entscheidende Frage. Bisher hatte ich den Eindruck, er will seine Philosophie durchsetzen und baut auf die dazu passenden Spieler. Dies ist legitim, doch muss ihm dann der DHB auch die Zeit dafür geben, die er offensichtlich aber nicht hat, wenn schon jetzt bei der EM und in jedem Fall im nächsten Jahr bei der WM Medaillen erwartet werden. Vielleicht findet man bei der anstehenden Analyse gemeinsam einen erfolgreichen Mittelweg.
Bleibt er, muss ein Umbruch her, sich die Hierarchie im Team ändern. Uwe Gensheimer dürfte dann nicht mehr Kapitän sein.
Natürlich muss sich etwas ändern, wenn wir uns verbessern wollen. Vor allem im Spiel selbst, jedoch aus meiner Sicht nicht am Kapitän. Uwe ist ein Spieler, der weltweit großen Respekt genießt, er ist ehrgeizig, zudem ein sensibler, feiner Mensch. Er kann daher jedes Team als Kapitän führen.
Haben es sich manche Europameister von 2016 nicht etwas zu gemütlich gemacht? Von satten Topverdienern mit Starallüren war in Kroatien die Rede.
Dies halte ich für böswillige Gerüchte, die aus Enttäuschung über das Abschneiden gestreut wurden. Die Spieler, die ich kennen und schätzen gelernt habe, sind charakterlich einwandfreie Jungs, die ehrgeizig sind und erfolgreich sein wollen.
Spannungen waren zweifelsfrei da. Hätten Teammanager Oliver Roggisch oder Vorstand Sport Axel Kromer als Bindeglieder nicht besser moderieren müssen? Könnten Veränderungen in diesem Bereich neue Impulse bringen?
Das ist aus der Ferne schwer zu beurteilen. Olli und Axel sind kluge Fachmänner und bei den Spielern anerkannt. Vielleicht müsste man sie aber in der Tat noch stärker in alle Fragen ums Team einbinden.
Warum hängt von einer erfolgreichen Heim-WM so viel ab für den deutschen Handball?
Weil wir nicht nur in Sachen Organisation hervorragende Gastgeber sein wollen, sondern weil wir nur durch eine erfolgreiche Nationalmannschaft die breite Masse, Kinder und Jugendlich für den Handball begeistern können. Jeder, der Handball liebt, möchte nochmals einen Rausch wie das „Wintermärchen 2007“ erleben. Damals hieß es: Deutschland, einig Handballland!!