Der Stuttgarter Fachanwalt für Asylrecht, Roland Kugler, fordert im Interview, die Flüchtlingszahlen zu reduzieren. Er macht zudem einen Vorschlag, wie das funktionieren könnte, ohne den Flüchtlingsschutz einzuschränken.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)
Stuttgart - Steigende Abschiebezahlen und größere Flüchtlingsströme hat der Fachanwalt für Asylrecht, Roland Kugler, vor einem Jahr im StZ-Interview prophezeit, als vermehrt Kosovo-Albaner die Grenzen passierten. Von denen ist kaum noch die Rede. In einem Folgegespräch kritisiert Kugler das Asylpaket II und macht einen eigenen Vorschlag zur Reduzierung der Zahl der Flüchtlinge.
Herr Kugler, „Die großen Flüchtlingsströme kommen erst noch“, das sind Ihre Worte von vor einem Jahr. Nun sind sie da. Merken Sie das auch in Ihrer Kanzlei?
Dass es so schnell gehen würde, hat mich auch überrascht. Als Anwalt spüre ich die Zunahme zeitverzögert – die Flüchtlinge gehen zuerst in die Erstaufnahme, machen da ihre ersten Angaben, kontaktieren dann erst einen Anwalt. Aber die Anfragen steigen stetig, das höre ich auch von Kollegen. Mir macht die Entwicklung Sorgen. Auch die hier lebenden Flüchtlinge belasten die Zustände zunehmend. Es wird für sie immer schwieriger, das auszuhalten.
Geben Sie ein Beispiel?
Ich habe erst gestern einen Anruf bekommen von einem total verzweifelten Iraker, der seit ungefähr acht Monaten in einer Halle wohnt, zusammen mit fast 100 anderen Menschen. Er will lieber zurück in den Irak, als das noch vier Wochen mitzumachen. Der Mann hat noch nicht einmal seinen Asylantrag stellen können, sondern ist noch in der Warteschleife. Das geht so nicht weiter. Man kann nicht, wie die Kanzlerin, nur weit außerhalb der Grenzen nach Lösungen suchen. Das führt zu Zuständen hier im Land, die ich für völlig unhaltbar halte. Es muss gelingen, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren.
Nun ist doch gerade das Asylpaket II vom Kabinett beschlossen worden, mit genau diesem Ziel. Der Familiennachzug bei den sogenannten subsidiär Schutzberechtigten wird ausgesetzt, Marokko, Tunesien, Algerien werden als sichere Herkunftsstaaten eingestuft und Abschiebungen im Krankheitsfall werden erleichtert.
Ich halte wenig vom Asylpaket II. Die Erweiterung der sicheren Herkunftsstaaten finde ich bedenklich. Algerien ist ein Land mit einer diktatorischen, autoritären Regierung, die jegliche Opposition niederhält, da kann man nicht ernsthaft von einem sicheren Herkunftsland reden. Auch in Marokko ist die Einhaltung der Menschenrechte sicherlich nicht gewährleistet, Tunesien sieht da ein bisschen besser aus.
Also eher ein politisch motivierter Beschluss nach den Übergriffen in Köln?
Ja, ich sehe das als Reaktion auf die mutmaßlichen Nordafrikaner in Köln. Die Politik wollte da etwas zeigen.
Das Thema Familiennachzug ist noch umstrittener. Wenn die Menschen ihre Familien nicht mehr zu sich holen können, erschwert das nicht die Integration?
Für die Betroffenen ist das tatsächlich schwer erträglich. Wir produzieren eine große Zahl getrennter Familien. Ich empfinde das als unehrlich: Die Grenzen will man nicht zumachen, stattdessen baut man lauter Fallstricke ein.
Sind Abschiebungen für Sie als Anwalt nun schwerer zu verhindern, da eine Erkrankung kein Hindernis mehr darstellt?
Diese Regelung kann sicher einiges bewirken, jetzt liegt die Messlatte für diejenigen höher, die mit Attesten einen Daueraufenthalt erreichen wollen. Teilweise haben die Atteste einen beim Durchlesen tatsächlich nicht überzeugt. Das Regierungspräsidium Karlsruhe, das die Abschiebungen durchführt, hat auch seit einiger Zeit zunehmend sensibel reagiert und oft ein amtsärztliches Attest angefordert. Aber auch hier ist das System durch die große Zahl von Flüchtlingen verstopft. Dennoch, wer eine Abschiebung verhindern will, der schafft das weiterhin ganz einfach: Er muss nur mit falscher Identität ohne Papiere kommen.
Aber die Zahl der Abschiebungen ist doch 2015 deutlich gestiegen.
Die Balkanländer sind ziemlich kooperativ, die nehmen ihre Leute relativ günstig wieder auf, das zeigt sich an den Zahlen. Aber bei afrikanischen Ländern sieht das anders aus. In der Regel verlangen die den Nachweis, dass ein Staatsangehöriger des eigenen Landes zu ihnen abgeschoben werden soll. Doch ohne Papiere können Sie das fast nicht nachweisen. Die Schlepper wissen das auch und geben deshalb den Tipp ‚Werft Eure Papiere weg’.
Nun wird wieder über Einreisezentren diskutiert, damit die Flüchtlinge gar nicht erst Wurzeln schlagen.
Das ist eine Scheindebatte. Einreisezentren an der Grenze können nicht funktionieren, das lässt sich ganz einfach ausrechnen. Im Augenblick kommen täglich 2000 Flüchtlinge an den deutschen Grenzen an. Der Vorschlag ist, in 21 Tagen geklärt zu haben, ob jemand abgeschoben wird oder nicht. 21 Tage mal 2000 macht 42 000 Flüchtlinge, verteilt auf ein bis drei Zentren. Das ist nicht darstellbar. Ich bin enttäuscht von den Vorschlägen, die bisher gemacht wurden – aber auch von der Opposition kommt mir viel zu wenig.
Bisher haben Sie nur gesagt, was alles aus Ihrer Sicht nicht geht. Kann denn auch etwas funktionieren?
Es gäbe einen Weg, wie man das ohne Einschränkung des Flüchtlingsschutzes in halbwegs geordnete Bahnen lenken könnte. Es müsste die Möglichkeit geben, bei deutschen Botschaften Asylanträge zu stellen, aber nur für Flüchtlinge, die ihre Papiere bei sich haben.
Die Botschaften sind aber nicht groß genug.
Für besonders frequentierte Botschaften könnten an den Hot Spots Außenstellen eingerichtet werden – in der Türkei und in Nordafrika, unter der Federführung des UNHCR. Dann müssen die Familien sich nicht mehr auf ein Schlauchboot begeben, die kriegen dann die Möglichkeit, wie bei den Kontingentregelungen, nach Deutschland zu kommen. Die anderen, die abgelehnt werden, die wissen dann, wir haben keine Chance in Deutschland.
Aber viele werden sich trotzdem in Bewegung setzen.
Sicherlich, die müssen dann hier ein ordentliches Asylverfahren bekommen. Aber die Identität ist über das Antragsverfahren festgestellt, da muss man ja Fingerabdrücke abgeben. Man weiß so, wo die Leute hergekommen sind. Dann hilft es auch nichts, die Papiere wegzuschmeißen. Die Abschiebung im Falle einer Ablehnung des Asylantrags wäre zudem deutlich leichter, weil man die Identität hat.
Haben Sie Ihre Idee Kanzlerin Angela Merkel schon geschickt?
Nein, ich habe gehört, sie bekommt von ihren eigenen Abgeordneten gerade so viele Briefe, dass sie keine Zeit hat, auch noch Briefe von Fachleuten zu lesen.