Der schwäbische Bestsellerautor Felix Huby spricht über seine Wahlheimat Berlin, seine Wurzeln und seinen letzten Bienzle-Krimi.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Stuttgart - Im Fernsehen ist Ernst Bienzle längst pensioniert worden. Nun ermittelt der Stuttgarter Hauptkommissar auch zum letzten Mal als Romanfigur. "Adieu Bienzle" heißt das Werk, das der Autor Felix Huby zurzeit auf einer Lesetour vorstellt. An diesem Tag ist der 72-Jährige per Bahn aus Berlin ins fränkische Ansberg gereist. Während des Gesprächs genießt Huby die regionale Küche. Er isst langsam und redet schnell.

 

Herr Huby, hat man Ihnen in Berlin bereits das Auto abgefackelt?

Ich wohne in Grunewald, da ist noch nichts Derartiges passiert. Das Thema wird aus meiner Sicht ohnehin zu sehr aufgebauscht. In Berlin gibt es fast anderthalb Millionen Autos, davon wurden 160 angezündet. So richtig los ging es damit erst, als die Boulevardzeitungen täglich berichteten - einschließlich detaillierter Anleitung, wie man ein Auto zum Brennen bringt. Das ruft Nachahmungstäter auf den Plan.

Man liest in letzter Zeit auch einiges über den angeblich grassierenden Schwabenhass in unserer Bundeshauptstadt.

Den gibt es tatsächlich, vor allem im Prenzlauer Berg. Die Aversion gegen meine Landsleute ist nicht ganz unberechtigt. Die kommen in die Stadt, kaufen die schönsten Altbauwohnungen, renovieren sie für viel Geld und vertreiben dadurch die Einheimischen, die die Preise nicht mehr bezahlen können. Einerseits suchen die schwäbischen Emigranten ein alternatives Lebensgefühl, gleichzeitig wollen sie ihre provinzielle Betulichkeit weiter pflegen. Das funktioniert nicht. Selbstverständlich trifft dieser Befund nicht nur auf die Schwaben zu. Sie sind zum Sinnbild geworden für all die wohlhabenden Neu-Berliner, die vermeintlich der Stadt ihre Identität rauben.

Gehören Sie nicht zu diesem Typus?

Ich bin ein Schwabe, und ich habe als Drehbuchautor gutes Geld verdient. Aber ich stelle meinen beruflichen Erfolg nicht offen zur Schau. Auch für mein Empfinden fahren in Berlin mittlerweile viel zu viele dieser fetten Geländewagen herum.

Es ist nicht verboten, einen Porsche Cayenne oder einen Audi Q 7 zu besitzen.

Aber es ist dumm. In den Protzdingern sitzen meistens 30-jährige Blondinen, die nicht einmal wissen, welche Unmengen Benzin solche Karren schlucken. Diese Damen fahren in Geländewagen Kinder zur Schule oder sich selbst zum Shopping. Das ist lächerlich für meine Begriffe.

In Stuttgart gehören schlanke Damen in dicken Kisten quasi zum Stadtbild - und kaum jemand regt sich darüber auf.

In Stuttgart fällt dieses Milieu auch weniger auf, weil Stuttgart insgesamt eine reiche Stadt ist, obwohl es natürlich auch dort viel zu viele arme Leute gibt. Aber ein Prekariat, das in Berlin ganze Bezirke prägt - schauen Sie nach Wedding oder Hohenschönhausen - gibt es in Stuttgart nicht. Man muss nur die Arbeitslosenquoten vergleichen, dann erkennt man den eklatanten Unterschied.

Warum sind Sie Ende der 80er Jahre ins arme Berlin ausgewandert?

Die meisten meiner Auftraggeber, Filmproduzenten wie die Ufa, saßen in Berlin. Ich musste fast jede Woche in die Hauptstadt fliegen. Dazu kam: meine Frau wurde nie richtig warm mit den Schwaben. Sie stammt aus Ostpreußen und hat in Berlin studiert. Wir Schwaben bilden eine gefestigte Gesellschaft, da kommt man von außen schwer rein. Und es wird erwartet, dass man gewisse Spielregeln einhält.

Und diese gesellschaftlichen Pflichten gibt es in Berlin nicht?

In Berlin ist das Leben unordentlicher und freier. Ursprünglich hatte ich mit meiner Frau vereinbart, dass wir nur fünf Jahre bleiben und dann wieder nach Stuttgart gehen. Thaddäus Troll hat gesagt: "Es gibt zwei Sorten Schwaben: die Weltläufigen und die Verhockten." Ich gehöre eigentlich zu den Verhockten. Ich habe mich in Stuttgart wohlgefühlt, aber nun will ich auch nicht mehr von Berlin weg - allein deshalb, weil Berlin für mich das ideale Altersheim ist. Ich fahre mit der S-Bahn von Grunewald bis Friedrichstraße, dann kann ich zu Fuß zwei Opern, fünf Theater, diverse Kinos und viele gute Lokale erreichen.

Wenn man mit der Stadtbahn von Degerloch zum Schlossplatz fährt, findet man ein ähnlich breites Kulturangebot.

Sie sind ein Lokalpatriot, das finde ich schön! Ich gebe Ihnen auch prinzipiell recht: In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich Stuttgart ungeheuer entwickelt. Früher musste man noch in eine Heslacher Taxifahrerkneipe hocken, wenn man nach Mitternacht etwas trinken wollte. Das hat sich sehr geändert. Berlin empfinde ich trotzdem als noch anregender.

Sie wollen mir also weismachen, dass Sie gar kein Heimweh mehr haben?

Das habe ich nicht behauptet. Mir fehlt die schwäbische Landschaft. Dieses Brandenburg ist ja wirklich nur eine riesige Streusandbüchse. Wenn ich mit dem Flugzeug in Echterdingen einschwebe und sehe unter mir die Alb und den Schönbuch, dann spüre ich immer ein freudiges Kribbeln im Bauch.

Wie hat sich die Auseinandersetzung über das Bahnprojekt Stuttgart 21 auf das Image der Schwaben ausgewirkt?

Positiv, denke ich. Zumindest in meinem Berliner Umfeld sagen die Leute: "In Stuttgart zeigen die Bürger ein neues Selbstbewusstsein, sie haben mit ihrem Protest für eine neue Qualität von Demokratie gesorgt." Ich bin in den vergangenen Monaten oft gefragt worden, ob ich nicht auf einer Veranstaltung gegen Stuttgart 21 sprechen will. Aber dafür bin ich zu weit weg und nicht gut genug informiert.

"In den neuen Stuttgart-"Tatorten" fehlt das Lokalkolorit"

Welche Meinung hätte Ihre bekannteste Roman- und Filmfigur, der Stuttgarter Hauptkommissar Ernst Bienzle?

Der Bienzle mahnt ja stets zur Vernunft, zur Zurückhaltung und zur Bescheidenheit. Der würde sagen: "Modernisiert den alten Bahnhof, anstatt ihn für Milliarden zu verbuddeln. Denn wenn einer höher furzt, als ihm der Arsch gewachsen ist, fällt er leicht auf denselben."

Stuttgart 21 hätte als regionaler Rahmen für einen spannenden Tatort getaugt.

Oh ja, das Drehbuch würde ich gern schreiben. Aber Sie wissen ja, dass der SWR vor fünf Jahren den Bienzle pensioniert hat. In den neuen Stuttgart-"Tatorten" fehlt leider das schwäbische Lokalkolorit, auf das der Sender früher sehr viel Wert gelegt hat.

Warum schicken Sie Kommissar Bienzle nun auch als Romanfigur in den Ruhestand?

Seit Bienzle vom Bildschirm verschwunden ist, verkaufen sich die Krimis nicht mehr so wie früher. Deshalb will der Verlag die Serie einstellen. Auf meine Bitte hin wurde mir ein Abschieds-Bienzle gewährt. Ich versuche nun, diesen Kriminalroman richtig ins Gespräch zu bringen. Ich präsentiere "Adieu Bienzle" beispielsweise in der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin, im Stuttgarter Theaterhaus und in der "Harald Schmidt Show".

Wie viel Felix Huby steckt in Ernst Bienzle?

Jede Menge. Bienzle stammt wie ich aus Dettenhausen. Mein Vater war Lehrer, Bienzles Vater auch. Und jetzt sind noch einige Parallelen hinzugekommen. Mein letzter Bienzle ist der autobiografischste.

Bienzle klärt den mysteriösen Tod seiner Tante Gerlinde auf - und beschäftigt sich nebenher mit seiner eigenen Vergänglichkeit. Ist das auch eine Projektion?

Könnte man so sagen. Ich werde bald 73, biege auf die Zielgerade des Lebens ein und schaue, was hinter mir liegt. Ich hatte vor einiger Zeit eine schwere Salmonellenvergiftung und war ganz allein in Berlin, weil meine Frau in Stuttgart etwas zu erledigen hatte. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass es mit mir zu Ende geht. Da habe ich mich dabei ertappt, wie ich laut gesagt habe: "Des ischt net schlimm, 's meischte hascht gschafft" - dieser Gedanke ist so schwäbisch, schwäbischer geht's gar nicht. Privat habe ich viele Fehler gemacht, aber mit meinem Arbeitsleben kann ich zufrieden sein.

Sie waren einst beim "Spiegel" als Stuttgart-Korrespondent angestellt. Warum haben Sie diesen Job als 40-Jähriger hingeschmissen?

Ich habe nie gerne recherchiert, Fabulieren machte mir einfach mehr Spaß - am Schreibtisch sitzen und eine Geschichte erfinden. Außerdem wollte ich zu mir kommen, das kann man nicht, wenn man an dem täglichen Rattenrennen in einer Redaktion teilnimmt.

Als freier Autor haben Sie unter anderem Drehbücher für die RTL-Seifenoper "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" verfasst. Diese Arbeit wurde besser bezahlt, aber anspruchsvoller war zweifellos Ihre frühere Tätigkeit.

Die Arbeit als freier Autor wurde anfangs nicht besser, sondern ziemlich mies bezahlt. Aber es war etwas Neues. Eine unheimlich spannende Aufgabe. Für mich ist entscheidend, dass ich etwas gut mache. Insofern bin ich stets "anspruchsvoll". Ich kann Romane, Theaterstücke, Hörspiele schreiben und nebenher Episoden für eine seichte TV-Serie raushauen. Für mich ist es auch kein Widerspruch, wenn ich auf dem Weg zur Oper Lady Gaga höre. Unterhaltung hat in jeder Form eine Berechtigung, und ich will vor allem unterhalten.

Den Büchnerpreis gewinnen Sie mit dieser Einstellung nicht.

Das stört mich nicht. Ich kann auch dem Gedanken des Nachruhms nichts abgewinnen - ich würde ja nichts davon erfahren. Ich schreibe für die Welt, in der ich lebe.

Was steht aktuell an?

Ich arbeite an einem großen Roman, der in meinem Heimatort Dettenhausen spielt. Es geht um die Verflechtung von Schicksalen in einem schwäbischen Dorf.

Eine Art "Buddenbrooks im Schönbuch"?

So hoch will ich es nicht hängen, aber quantitativ geht das Buch in diese Richtung. Mein Roman spielt zwischen dem Kriegsende und heute; er wird etwa 800 Seiten haben. Parallel dazu schreibe ich ein Freilichttheaterstück für das Böblinger Kinder- und Jugendtheater. Die Handlung ist in einer Schrebergartenkolonie angesiedelt. Das Stück soll in zweieinhalb Jahren im Hofgut Mauren aufgeführt werden. Die Kulisse soll schon jetzt gepflanzt werden und dann kräftig wachsen. Zum Schluss baut man die Tribünen drum herum. Sie sehen: ich lebe zwar in Berlin, aber ich bin bei meiner Arbeit dem Schwabenland noch immer aufs Innigste verbunden.

Einer der meistbeschäftigten Drehbuchschreiber und seine populärste Figur

Schriftsteller: Felix Huby kam am 21. Dezember 1938 als Eberhard Hungerbühler in Dettenhausen zur Welt. Während der Abiturprüfung wurde er beim Schummeln erwischt und flog ohne Abschluss von der Schule. Eigentlich wollte er Deutsch- und Musiklehrer werden, stattdessen volontierte er bei der „Schwäbischen Donauzeitung“ in Ulm und wurde 1972 Leiter des „Spiegel“-Büros in Stuttgart. Als 40-Jähriger wechselte er das Metier und schrieb Bienzle-Krimis und Bienzle-Drehbücher. Einmal auf den Geschmack gekommen, arbeitete er fortan wie am Fließband fürs Fernsehen. Den „Tierarzt Dr. Engel“ ersann er, den „Bayer auf Rügen“, die „Zwei Brüder“, „Oh Gott, Herr Pfarrer“ und auch viele bienzlefreie „Tatorte“ – mit den Kommissaren Palu, Schimanski und Heiland. Seit einigen Jahren widmet sich Huby mit Leidenschaft dem Theater.

Kommissar: Noch während seiner Zeit als „Spiegel“-Redakteur schrieb Felix Huby seinen ersten Kriminalroman („Der Atomkrieg von Weihersbronn“) mit dem Stuttgarter Hauptkommissar Ernst Bienzle als Hauptfigur. Weitere 17 folgten. Von 1992 bis 2007 wurden 25 „Tatort“-Folgen um Bienzle mit Dietz-Werner Steck in der Hauptrolle gesendet, die zum Teil auf den Romanen beruhen. Im Sommer 2006 wurde mit „Bienzle und die große Liebe“ der letzte Bienzle-„Tatort“ unter anderem auf dem Gelände der neuen Landesmesse gedreht. Er wurde am 7. Januar 2007 als vorletzter Bienzle-„Tatort“ ausgestrahlt. Den Abschluss bildete am 25. Februar 2007 das zuvor produzierte „Bienzle und sein schwerster Fall“. Bienzles Markenzeichen, Hut und Mantel, sind im Haus der Geschichte in Stuttgart ausgestellt.

Termine: Am Donnerstag, 8. Dezember, liest Felix Huby um 20.15 Uhr gemeinsam mit Dietz-Werner Steck im Stuttgarter Theaterhaus aus „Adieu Bienzle“. Bereits am kommenden Dienstag, 29. November, ist der Schriftsteller zu Gast in der „Harald Schmidt Show“ auf Sat1 (23.15 Uhr).