Den Kritikern gehe es in Wahrheit darum, internationale Menschenrechtsabkommen aufzulösen, meint der Flüchtlingsexperte Gerald Knaus.

Stuttgart – Gerald Knaus (48) ist Vorsitzender der von ihm 1999 gegründeten Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) mit Sitz in Berlin. Der studierte Soziologe gilt als Vordenker des Flüchtlingsdeals mit der Türkei. Der österreichische Politikberater und Migrationsexperte lebt in Berlin und schreibt einen Blog. -

 

Herr Kraus, Länder wie Syrien, China und Jemen wollen für den UN-Migrationspakt stimmen – ist das Ganze nicht eine Farce?

Wie viele Länder haben vor fast 70 Jahren die allgemeine Erklärung der Menschenrechte angenommen? Damals waren selbst in Europa noch viele Demokratien auch Kolonialreiche. Das Ziel solcher Erklärungen ist es, Ideale festzuschreiben, für deren Umsetzung man aber immer die lokale Politik benötigt. Zu sagen, dass man sich etwa gegen Folter ausspricht, ergibt doch nur dann Sinn, wenn sich möglichst viele Länder diesem Ziel verschreiben – auch wenn sie derzeit nicht dazu bereit sind. Denn Normen lassen sich nur festigen, wenn diese wie Glaubensbekenntnisse in der Kirche wiederholt werden.

Der Vertrag sei rechtlich nicht bindend, deshalb stehe Deutschland dazu, sagte die Kanzlerin. Warum sollte Deutschland dann überhaupt mitmachen?

Weil Deutschland wie kaum ein anderes Land Interesse daran hat, dass die Normen, die dieser Pakt stärken soll, auch im Recht weltweit angenommen werden. Dass etwa für die innerafrikanische Migration ebenfalls die Idee gilt, dass legale Migranten auch Menschenrechte haben. Das würde auch dazu führen, dass der Druck auf Europa abnimmt.

Aber werden sich Länder wie Syrien und Jemen an die Umsetzung des Pakts halten?

Nein, genauso wie sich viele Länder nicht an die Anti-Folter-Konvention halten, die in der achtziger Jahren weltweit angenommen wurde. Aber das bedeutet nicht, dass es nicht sinnvoll wäre, das Folterverbot verbindlich von den Vereinten Nationen festzuhalten.

Weltweit verliert der Migrationspakt an Rückhalt. Warum?

Die USA unter Donald Trump, Ungarn unter Viktor Orbán – es sind die üblichen Verdächtigen, die sich schon in den vergangenen Jahren gegen die Umsetzung auch rechtlich verbindlicher Texte gewehrt und Angstkampagnen inszeniert haben. Die meisten Länder werden diesen Pakt annehmen.

Auch wenn das nationale Recht Vorrang genießt: Besteht nicht die Gefahr, dass Verwaltungsgerichte die Inhalte zur Grundlage neuer sozialrechtlicher Urteile machen?

Wir haben eine ohnehin extrem starke rechtliche Grundlage in der EU, denn wir haben die Europäische Menschenrechtskonvention. Wenn der Straßburger Gerichtshof urteilt, dass eine afghanische Familie unter bestimmten Umständen nicht aus der Schweiz nach Italien abgeschoben werden darf, dann ist das bindendes Recht. Alles, was im Migrationspakt steht, wird heute ohnehin in Deutschland anerkannt. Warum sollte ausgerechnet der Migrationspakt die heimische Rechtsprechung aushöhlen – im Gegensatz zum EU-Recht, der Menschenrechtskonvention und der Anti-Folter-Konvention? Die Kritiker sollten ehrlich sein: In Wirklichkeit geht es ihnen nicht um diesen Pakt, es geht ihnen darum, die Grundidee von auch verbindlichen internationalen Menschenrechtsabkommen aufzulösen. Niemand kann ehrlich sagen, dass dieser Pakt eine ernsthafte Gefahr darstellt.