Der Hohenheimer Kommunikationsforscher Frank Brettschneider hält die Wähler für souveräner, als oft angenommen wird. Und Politik interessiere sie nach wie vor, sagt er im StZ-Interview.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Stuttgart - Herr Brettschneider, die FDP ist mit ihrer Zweit-Stimmen-Kampagne furios gescheitert. Ist der Wähler souveräner, als man bisher gedacht hat?
Davon bin ich fest überzeugt. Das sage ich immer schon, dass die Wähler unterschätzt werden. Auch bei der Diskussion um die Wirkung von Wahlumfragen wurden alle möglichen Folgen behauptet, die nun nicht eingetreten sind. Gleichwohl hat mich, ehrlich gesagt, auch überrascht, dass die FDP so schlecht abgeschnitten hat. Denn wir haben bei ihr immer andere Muster gesehen: 1983, 1994, 2005 – bei all diesen Bundestagswahlen wurde die FDP am Ende auch dank der Zweitstimmen von eigentlichen CDU-Anhängern gerettet. Aber diesmal ist die Frustration offenbar zu groß gewesen. Diese hat schon 2009 eingesetzt, als viele Unionswähler aus Unmut über die vorherige Große Koalition FDP gewählt haben, aber bitter enttäuscht wurden. Die FDP hat es nicht geschafft, diese Frustration durch Handeln abzubauen. Dann reicht eine Zweit-Stimmen-Kampagne nicht mehr.
Warum haben sich die Wähler noch in Niedersachsen davon beeinflussen lassen?
Bei Landtagswahlen experimentieren die Wähler eher als bei Bundestagswahlen, die ernster genommen werden. Und dass der Erfolg der Zweit-Stimmen-Kampagne kein Automatismus ist, hat man ja schon in Bayern gesehen. Der Wähler ist zwar noch bereit, seine Stimme unter taktischen Gesichtspunkten zu vergeben – aber nicht als pure Mehrheitsbeschaffung. Damit muss sich noch irgendein Inhalt verbinden. Bei der FDP wusste man aber nicht mehr, für welche Themen die Partei noch steht.
Inwieweit hat die FDP darüber hinaus Kommunikationsfehler gemacht?
Wenn man sich über Jahre hinweg über sein Führungspersonal streitet und nicht zu einer überzeugenden Entscheidung kommt, wenn man den Verbleib des Parteivorsitzenden davon abhängig macht, wie man bei einer Landtagswahl abschneidet, dann merken die Wähler das auch. Es ist der FDP auch nicht gelungen, inhaltlich Substanzielles in den Mittelpunkt zu rücken. Mit dem Soli haben sie es versucht, dies aber schnell wieder aufgegeben.
Die tiefere Idee des Liberalismus wurde schon gar nicht mehr deutlich?
Genau. Das ist auch ein großer Unterschied zu Christian Lindner in Nordrhein-Westfalen. Dort hat die FDP die Idee des Liberalismus in beiden Spielarten – sowohl auf der wirtschaftlichen als auch auf der gesellschaftspolitischen Ebene – in ihrem Landtagswahlkampf intensiv beworben. Das haben wir jetzt auf der Bundesebene nicht gemerkt. Selbst die Chance, sich über den NSA-Datenskandal in dieser Hinsicht zu profilieren, ist ja nicht genutzt worden.
Die Kanzlerin hat sich nie sehr warmherzig über die FDP geäußert – hat sie kommunikationsmäßig alles richtig gemacht?
Es ist die Frage, welche Koalition sie anstrebt. Ein paar Stimmen mehr, dann hätte es wieder gereicht für Schwarz-Gelb. Allerdings weiß sie auch, dass es unter dem Druck der SPD-Mehrheit im Bundesrat nicht einfach geworden wäre. In erster Linie hat die Union die richtige Mischung aus Person und Programm gefunden. Vielfach wird kommentiert, dass die Menschen die Union nur wegen Merkel gewählt hätten. Unsere Daten sagen aber, dass Merkel bestimmte wichtige Positionen verkörpert, die sie vor allem bei der CDU sehen. Das ist vor allem Stabilität und Stärke Deutschlands im europäischen Vergleich.
 
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