Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) will einen Partei übergreifendem Atomkonsens statt einsamer Entscheidungen.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Stuttgart - Nächste Woche treffen sich die Umweltminister der Länder, um über den Atomausstieg zu beraten. Auf keinen Fall will der neue Minister Landeszuständigkeiten an den Bund abtreten.

 

Herr Minister Untersteller, Bayern will 2022 das letzte Atomkraftwerk abschalten. Wann geht der letzte Meiler in Baden-Württemberg vom Netz?

Meines Erachtens muss und kann es gelingen, in diesem Jahrzehnt aus der Kernenergie rauszukommen. Die Entscheidung, wann der letzte Meiler vom Netz geht, fällt aber auf Bundesebene. Wir warten deshalb die Gespräche der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten Anfang Juni ab. Ich hoffe, dass es zu einem Konsens kommt.

Sie sehen keine Gefahr, von den Bayern überholt zu werden?

Im Gegenteil. Bayerns Staatsregierung wäre gut beraten, das von ihr angepeilte Ausstiegsdatum 2022 zu überdenken und eine Zahl vor 2020 zu nennen. 2022 ist deckungsgleich mit dem rot-grünen Atomgesetz von 2002. Nach Fukushima sehe ich uns aber in der Pflicht, wirklich Ernst zu machen mit dem Ausstieg und mit Ehrgeiz ranzugehen.

Die Grünen im Bund haben 2017 vorgeschlagen. Ist das eine geeignete Zielzahl für den Atomausstieg im Land?

Es ist eine Zielzahl, von deren Machbarkeit ich überzeugt bin. Ich will aber in dieser Phase keine Festlegung treffen. Es macht keinen Sinn, sich vor den Gesprächen mit der Kanzlerin gegenseitig übertrumpfen zu wollen, wenn man einen Konsens anstrebt, und das tue ich. Es ist nicht die Zeit für einsame Entscheidungen im Land, weil es um ein Atomgesetz auf Bundesebene geht und es Chancen für einen neuen Konsens gibt, die Kernenergienutzung in diesem Jahrzehnt zu beenden.

Können Sie etwas über die Reihenfolge bei der Abschaltung der baden-württembergischen Meiler sagen?

Ich gehe davon aus, dass Neckarwestheim I und Philippsburg I, die derzeit abgeschaltet sind, nicht wieder ans Netz gehen. Für die jüngeren Meiler Neckarwestheim II und Philippsburg II sieht es anders aus. Dort werden wir zügig Sicherheitsüberprüfungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik durchführen und gegebenenfalls auch Nachrüstungen durchsetzen.

Ist es Ihr Ziel, die Weichen in dieser Legislaturperiode so zu stellen, dass das Abschaltdatum für die Kernkraftwerke im Land jeweils unumkehrbar ist?

Ich möchte den Gesprächen in Berlin nicht vorgreifen. Wir werden allerdings sehr sorgfältig darauf achten, dass kein Hintertürchen offen bleibt.

Die Südschiene war bisher ein wirksames Instrument, um im Bund etwas durchzusetzen. Gilt das noch ?

Ich würde es mir wünschen. Es gibt weiterhin gemeinsame Interessenlagen. Ein Beispiel: der Bund will bei der Windenergie künftig Offshorestandorte verstärkt fördern. Das kann man machen, aber es darf nicht zu Lasten des Ausbaus der Windenergie im Binnenland gehen - schon gar nicht zu einem Zeitpunkt, zu dem moderne Anlagen endlich auch in den südlichen Ländern gute Windstromerträge garantieren. Bayern hat genau wie wir das Ziel, bis 2020 von knapp einem auf zehn Prozent Windenergieanteil zu kommen. Hier können wir gegenüber dem Bund an einem Strang ziehen. Auch bei der Bioenergieförderung kann ich mir eine konzertierte Aktion mit den Bayern gut vorstellen. Bei der Umweltministerkonferenz möchte ich die Gelegenheit zu einem ersten Austausch mit dem Kollegen Söder nutzen.

Der Rückstand bei der Windenergie ist durch politische Festlegungen bisheriger Landesregierungen entstanden. Folgt daraus, dass das Land jetzt auch aus eigener Kraft aufholen muss?

Zunächst werden wir Hürden abbauen, die beispielsweise mit dem Landesplanungsgesetz seit 2003 aufgebaut wurden. Wir werden in den nächsten Jahren pro Jahr gut 100 große Windanlagen brauchen und setzen alles daran, dass sie auch gebaut werden. Dazu braucht es aber weiterhin günstige Investitionsanreize, beispielsweise über das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Im Übrigen reduzieren alle Produktionskapazitäten, die wir im Süden zubauen - seien es Windräder, Solarstromanlagen oder moderne Gaskraftwerke - die Notwendigkeiten des Netzausbaus. Dieser Gesichtspunkt wird vom Bund bisher in seiner Konzeption zu wenig berücksichtigt.

Bund und Länder müssen den Atomausstieg gemeinsam stemmen. Sind Sie bereit, dafür Planungskompetenzen - etwa beim Netzausbau - auf den Bund zu übertragen?

Nein, weil ich die Notwendigkeit nicht sehe. Der Netzausbau muss beschleunigt werden. Mir ist aber nicht bekannt, dass bisher Verzögerungen durch die Genehmigungsverfahren der Länder entstanden sind. Die Länder haben vielmehr funktionierende Genehmigungsbehörden, im Bund müssten sie erst geschaffen werden.

Der Atomausstieg wird unter schwarz-gelber Federführung und von allen existierenden Koalitionsmodellen gemeinsam realisiert. Was ist Ihre Strategie, um in dieser Lage den spezifischen Anspruch der Grünen herauszustellen?

Der Atomausstieg steht in unserer "Geburtsurkunde". Die Bürger wissen, welche Rolle die Grünen gespielt haben und noch weiter spielen. Das beweisen wir nun auch bei der Frage nach einem Endlager. Unser Ziel ist, eine weiße Landkarte zu nehmen und ergebnisoffen und transparent ein Suchverfahren auf den Weg zu bringen.

Energiewirtschaft im Land hält den Ausstieg für machbar

Minister: Der 54-jährige Franz Untersteller wuchs im Saarland auf, studierte Landschaftsarchitektur in Nürtingen und arbeitete nach einem Studienaufenthalt in Kolumbien im Öko-Institut in Freiburg und als parlamentarischer Berater der Grünen. Seit 2006 sitzt er für die Grünen im Landtag und hat am 27. März in Stuttgart ein Direktmandat geholt.

Blackouts: Der Verband für Energie- und Wasserwirtschaft (VfEW) sieht bei einem Ausstieg aus der Atomenergie keine Stromausfälle auf die Verbraucher in Deutschland zukommen. „Ich gehe davon aus, dass wir keinen Blackout bekommen werden, wenn sich alle Beteiligten auf Maßnahmen einigen, die die Versorgungssicherheit aufrechterhalten“, sagte Verbandspräsident Rudolf Kastner in Stuttgart. Einen Ausstieg hält der VfEW bis 2020 für möglich.

Investitionen: Um die erneuerbaren Energien an das Stromnetz anzubinden, seien im Land Netzausbauinvestitionen von fünf Milliarden Euro über das Jahr 2020 hinaus notwendig, sagte Kastner.