Sie war das Gesicht des Sommerfestivals der Kulturen auf dem Marktplatz: Gasandji. Das Bild der jungen französischen Sängerin prangte auf Plakaten überall in der Stadt. Ein Gespräch mit der 33-Jährigen über Musik, Bildung und das Leben.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart -

 
Gasandji, „Lasst uns die Probleme der Welt für eine Stunde vergessen“, so haben Sie Ihren Auftritt in Stuttgart eingeleitet. Die Probleme sind jedoch sehr präsent. Frankreich, das Land, in dem Sie leben, wird von Terror erschüttert. Zuletzt Nizza. Wie erleben Sie das?
Die vielen schlechten Nachrichten beschäftigen mich sehr. Wenn du den Fernseher anschaltest, stellst du fest, dass etwas falsch läuft. Und der Terror ist ja nicht auf Frankreich beschränkt. Überall in der Welt werden Menschen Opfer von Hass und Gewalt. Dem müssen wir etwas entgegensetzen.
Was?
Jeder Tag ist ein neuer Tag. Es gibt jeden Tag neues Leben. Es ist die Verantwortung jedes Einzelnen, dass die Welt besser wird. Sie, ich, die Menschen in Stuttgart oder anderswo – wir können nicht Frieden erwarten, wenn wir keinen Frieden in uns selbst tragen. Wir müssen uns fragen: Wie gehst du mit deinem Nachbarn um, wie mit deiner Familie? Wie mit deinen Kindern? Man kann nicht nur nach der großen Politik rufen. Wir haben die Politik, die wir verdienen. Also fang bei dir selbst an! Starte ein neues Leben!
Was können Musiker zu einem friedlichen Leben beitragen?
Musik hat etwas Magisches. Sie kann Menschen zusammenbringen. Sehen Sie: Ich kenne Sie nicht, und Sie kennen mich nicht. Ich kenne niemanden hier in Stuttgart, und trotzdem kommen wir hier für einige Zeit zusammen. Ohne dass man bestimmte Voraussetzungen erfüllen müsste. Man muss einfach nur im Augenblick sein. Und ihn miteinander teilen. Was außer Musik kann so etwas bewirken? Das ist einzigartig.
Beim Sommerfestival der Kulturen geht es um Begegnung von Menschen verschiedener Herkunft. Wie wichtig ist gegenseitiges kulturelles Verständnis?
Ich liebe diese Art von Veranstaltungen. Sie sind der Beweis dafür, dass wir sehr verschiedenartig sein und trotzdem zusammenleben können. So stelle ich mir kulturelle Nachbarschaft vor: offen zu sein für den anderen. Ich muss keine Angst vor dem Nachbarn haben, weil er einen anderen kulturellen Hintergrund hat. Wir haben doch alle dieselben Probleme, dieselben Sorgen, dieselben Hoffnungen und dieselben Wünsche.
Sie engagieren sich in Bildungsprojekten. Wie wichtig ist Ihnen dieses Engagement?
Ich habe immer davon geträumt, Musik zu machen. Ich musste mir das erkämpfen, weil mein Vater, ein Ingenieur, andere Vorstellungen hatte. Er wollte nicht, dass ich Musikerin werde. Heute genieße ich es, dass ich mir meinen Traum erfüllt habe. Trotzdem wäre mir das alleine zu wenig. Als Künstler kommst du, spielst du und gehst wieder. Ich will mehr tun, mehr von mir geben. Für mich ist es sehr wichtig, eine Mission zu haben und sie glaubhaft zu verkörpern. Deshalb habe ich vor zwei Jahren eine Stiftung gegründet: „Revez! Enfants Du Monde“ (Träumt, Kinder der Welt!). Das gibt mir die Möglichkeit, in Schulen zu gehen und Kindern etwas weiterzugeben. Ich sammle zum Beispiel Bücher und lese Kindern daraus vor. Sie können die Bücher dann weitergeben. Die Idee dahinter ist, Bücher und Geschichten zu teilen. Das ist ein Weg zur Bildung. Es gibt nichts Wichtigeres als Bildung.
Gehen Sie oft in Schulen?
Ja, ich habe Schulen im Kongo besucht, in Burkina Faso und auch in Vietnam. Ich muss das tun. Das ist die Haltung eines Citoyens, wie man in Frankreich den aktiven Bürger nennt. Du lebst in dieser Welt, du kannst etwas tun – also tue etwas. Dafür braucht es erst mal kein Geld, sondern die Hoffnung, dass Veränderung möglich ist.
Wie wichtig ist Musik für Bildung?
Musik stellt Verbindungen her. Es ist leicht, mit Musik Menschen zu erreichen. Und zwar überall auf der Welt. Vor allem Kinder. Sie sind sehr offen dafür.
In einer eindrucksvollen Dokumentation über einen Schulbesuch im Kongo ist zu sehen, wie Sie einen Jungen zum Singen ermutigen. Haben Sie noch Kontakt zu ihm?
Ja. Das war ein sehr bewegendes Erlebnis. Der Junge hat eine wunderschöne Stimme, aber sein Vater wollte nicht, dass er singt – er hat die gleiche Geschichte wie ich. Ich singe viel mit Schülern. Ich sage ihnen: Wenn du traurig bist, singe. Und vergiss das Lernen nicht. Beides ist wichtig. Singen und lernen.
Was ist noch wichtig für Bildung?
Ideen zu haben und mutig zu sein. Anfangs dachte ich, Geld sei wichtig. Aber das stimmt nur bedingt. In meiner Stiftung sammeln wir Dinge, die andere Menschen nicht mehr brauchen, und schaffen daraus etwas Neues. Man braucht nur eine Vorstellung.
Wie geht es mit Ihrer Karriere weiter?
Ich schaue nicht auf meine Karriere. Wenn ich morgen nicht mehr singen könnte, wäre das kein Problem für mich – so gerne ich auch singe. Ich bin bereit, alles mögliche andere zu tun. Ich möchte mir die Freiheit bewahren, ich sein zu können. Wenn man auf die Karriere fixiert ist, will man immer mehr erreichen und bekommt nie genug. Ich habe ein anderes Lebensmodell. Ich möchte offen sein für das, was das Leben mir bietet. Ich möchte frei sein. Ich möchte mein Lachen behalten. Verstehen Sie das?
Zur Person

Geboren wurde die heute 33-jährige Gasandji in der Demokratischen Republik Kongo. Der Name Gasandji bedeutet „Sie, die das Bewusstsein weckt“.

Im Alter von 14 ging sie auf Wunsch ihrer Familie nach Frankreich, um dort die Schule zu besuchen. In Paris entwickelte sie rasch künstlerische Ambitionen, gründete eine eigene Tanzformation und nahm Unterricht an der Atla Jazz School.

2014 gründete sie die Stiftung „Revez! Enfants du Monde“, die Bildung zum Ziel hat („Ich sage den Kindern, dass sie wertvoll sind und ihre Träume in Erfüllung gehen können.“)

Ebenfalls 2014 erschien ihr gleichnamiges Album „Gasandji“ – eine Mischung aus Afropop, Soul und Reggae. Seitdem gilt sie als Senkrechtstarterin der französischen Afromusikszene.

Über Stuttgart, das sie jetzt zum ersten Mal besuchte, sagt die Pariserin: „Eine international Stadt. Sie strahlt Dynamik aus.“ (jan)