Die Museumschefin Ulrike Groos und Petra von Olschowski, Rektorin der Akademie der Bildenden Künste, sprechen über Stuttgart.

Stuttgart - In Stuttgart ist die Avantgarde zu Hause. Der Bildenden Kunst aber könnte es hier bessergehen, sind sich die Zugezogene und die Alteingesessene einig: Ulrike Groos, die neue Direktorin des Kunstmuseums, und Petra von Olschowski, die jetzt die Kunstakademie leitet.

Stuttgart ist bekanntlich schöner als Berlin, ist es auch schöner als Düsseldorf?


Groos: Es ist vielleicht noch ein bisschen früh, das nach acht Monaten zu sagen. Ich bin im Rheinland aufgewachsen und kannte in Düsseldorf die Mentalität. Aber ich hätte nicht erwartet, dass die mentalen Unterschiede doch so groß sind, wenn man nach Stuttgart kommt.

Was für Unterschiede sind das?


Groos: Die Menschen im Rheinland sind auf den ersten Eindruck sehr offen und tolerant. Jede Lebensform ist möglich. In Stuttgart wirkt alles eher abgeschlossen - ich nenne das gern Kesselmentalität. Jeder kennt sich und weiß vom anderen, was er macht. An dem Spruch "schaffe, schaffe, Häusle bauen" ist durchaus etwas dran. Das Ideal sind Familie, Kinder, großes Auto. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber die Frage ist, inwieweit versteht und akzeptiert man andere Lebensmodelle?

Frau von Olschowski, wie würden Sie den hiesigen Menschenschlag beschreiben?


Olschowski: Ich sehe das differenzierter. Stuttgart ist ja längst nicht mehr die Stadt der Schwaben, sondern sehr viele Menschen, die hier leben, sind zugezogen. Das Zusammenleben funktioniert relativ problemlos. Aber Ulrike Groos hat recht, dass es eine Mentalität der Abgeschiedenheit gibt. Die Halbhöhenlage, die das Modell Haus, zwei Kinder, Porsche Cayenne bevorzugt, ist unter sich geblieben. Es gibt einerseits eine Durchmischung, aber gleichzeitig das Gefühl, dass man sich schwerer tut, wenn man ein bestimmtes Lebensmodell nicht erfüllt.

Wird auch Kunst anders angeschaut?


Groos: Die Bildende Kunst wird hier eher angesehen als etwas, das ästhetisch sein sollte. Die Historie wird favorisiert. Es ist hier wesentlich schwerer, junge, unbekannte, experimentelle Positionen, eine andere Sichtweise auf Kunst darzustellen und die Menschen davon zu überzeugen. Wobei ich sagen möchte, dass die Menschen hier auch offen sind, sie kommen, sie schauen sich alles an, aber sie benötigen mehr Hilfestellung.

Olschowski: Interessant ist, dass es nicht in allen Bereichen so ist - in der Musik, dem Theater, dem Ballett. John Cranko kam in den sechziger Jahren nach Stuttgart, weil er als homosexueller Tänzer und Choreograf in London nicht länger leben konnte. In Stuttgart war das kein Thema. Oder denken Sie an Peymann, an die Neue Musik...

Groos: Aber ist das ein Publikum, das sich überschneidet? Ich habe das Gefühl, dass es hier wenig Überschneidungen gibt. Das ist anders als im Rheinland, wo die gesamte Kulturszene sich gegenseitig anregt.

Olschowski: Die Kulturpolitik hat die Bildende Kunst aber auch stark vernachlässigt. Die Krise wurde erst durch die Eröffnung des Kunstmuseums beendet. Die Staatsgalerie spielt nicht mehr diese Rolle, die sie als großes Ausstellungshaus hatte. Wir hatten eine schwierige Übergangsphase im Württembergischen Kunstverein, in der Publikum verloren wurde. Das hat sich erst in letzter Zeit beruhigt. Wir haben keine Kunsthalle, in der sich die zeitgenössische Kunst widerspiegelt. Es sind Galeristen weggegangen, weil die Institutionen sie nicht einbinden und die Sammler sich umorientiert haben. Das hat Auswirkungen auf die Akademie. Warum sollen Studierende hierherkommen, wenn sie keine tollen Ausstellungen sehen können?