Man könnte sagen, dass es damit empirisch bewiesen ist. Die Familiengeschichte von Frau Menez zeigt, dass der „typische Schwabe“ nur ein Hirngespinst ist.
Raff Alle Menschen sind Individuen mit ihren Macken und Qualitäten. Aber es gibt schon prägende Charakterzüge. Nehmen Sie mal die Sache mit der Sparsamkeit und dem Geiz. Das liegt daran, dass wir früher in Württemberg in einem bettelarmen Land lebten, mit zehn bis 15 Kindern pro Familie, die kaum sattzukriegen waren, da mussten die Leute einfach sparsam sein, um den langen Winter zu überleben. Das hat sich bei uns tief eingeprägt, obwohl mittlerweile viele zu Reichtum oder Wohlstand gekommen sind, hat’s noch immer viele Geizkrägen. Andererseits, nirgendwo wird auch so großzügig gespendet.
Heute diskutieren wir darüber, wie wir mit Menschen umgehen sollen, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen. Dabei war Württemberg bis Mitte des 19. Jahrhunderts ein Land der Auswanderer.
Raff Wir hatten schlimme Hungerkatastrophen, Heerscharen von Menschen mussten auswandern, darunter etwa die Vorfahren von Stalins Frau und die Mutter von Lenin. Letztere war eine waschechte Württembergerin und eine fromme Frau. Das Einzige, das ihr gottloser Sohn von ihrer Erziehung mitgenommen hat, ist der Christbaum, der jedes Jahr im Kreml aufgestellt wurde.
Wie komfortabel das Reisen sein kann, wenn die Reise nicht aus der Not heraus geboren wurde: der Stuttgarter Flughafen ist in ständiger Bewegung – Menschen kommen mit dem Taxi an, Abschiedsküsschen, dann der Check-in, die Sicherheitskontrollen, schließlich der Sitzplatz in der Wartelounge. Wer den richtigen Pass besitzt, die richtige Herkunft, der kann sich frei bewegen.
Frau Menez, wenn man über die Identität einer Gegend redet, ist die Gefahr groß, sich in Klischees zu verlieren: Schwaben gehen zum Lachen in den Keller, sie blicken nicht über den Kesselrand hinaus . . .
Menez  Ich mag das Bild, das andernorts oft von Stuttgart gezeichnet wird, überhaupt nicht. Aber es begegnet mir immer wieder, gerade in meiner Branche. Da sprechen mir manche ernsthaft meine Modekompetenz ab, bloß weil ich aus Stuttgart komme. Das ist ein Blödsinn, über den ich mich ärgern kann. Für mich gibt es den „typischen Schwaben“ sowieso nicht. Stuttgart ist eine Großstadt mit bunt durchgemischten Menschen, so wie es in allen Großstädten der Fall ist. Es gibt höchstens schwäbische Originale. Und das ist toll.
Raff Den typischen New Yorker gibt es ja genauso wenig. Das sind irgendwann mal Iren, Italiener, Puerto Ricaner oder Deutsche gewesen. Genauso ist es in Stuttgart auch: Es gibt Schwaben und Reigschmeckte. Beim Daimler am Fließband treffen Sie auf alle Nationen, und die schaffen wunderbar und konfliktfrei zusammen.