Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Aber der große Erfolg der Piraten muss Sie doch beunruhigen.

 

Die Piraten haben ein Defizit aller Parteien besetzt und sind deshalb nicht zu unterschätzen. Aber ich weiß nicht, ob sie Bestand haben. Sie müssen zu vielen Themen ihre Meinung erst noch bilden - und die ahnen noch gar nicht, wie schwer das ist.

Da sind Sie in den vergangenen Jahren zwangsläufig zum Experten geworden.

In den Sachfragen ist das bei uns gar nicht so schwer. Die Vergangenheit ist unser Problem. Immer wenn wir die praktische Ebene verlassen und zum Ideologischen kommen, wird es problematisch.

Gesine Lötzsch und Klaus Ernst sind als Vorsitzende kaum je aus der Kritik rausgekommen. Ernst wegen seines Porsche und Lötzsch wegen Kommunismusdebatte, Mauergedenken und Castro-Glückwünschen. Wenn Sie sich bei einer guten Fee ein Fettnäpfchen aussuchen könnten, das der Linken erspart geblieben wäre, welches wäre es?

Umgekehrt wird ein Schuh draus.

Das kann man so sehen. Aber die Montagsdemos waren eine ostdeutsche Erscheinung, weil die Agenda 2010 die Ostdeutschen besonders traf. Der Antibankenprotest ist international. Wären wir Organisator, würde das nicht den gleichen Anklang finden, auch wenn wir die einzige Partei sind, die kapitalismus- und bankenkritische Positionen im Parlament klar artikuliert. Die anderen eiern rum.

Trotzdem muss es Sie fuchsen, dass die Linke schon jetzt nicht mehr alle aktuellen gesellschaftlichen Bewegungen abbildet.

Das lässt mich auch nicht kalt. Wir als Linke müssen die Systemfrage stellen, weil der Finanzmarkt sie stellt. Leider passiert das in einer Zeit, in der die Linke weltweit, in Europa und auch in Deutschland entweder schwach oder nicht stark genug ist. Das passt mal wieder nicht zusammen, wie es öfter in der Geschichte der Fall war.

Nur vier Jahre nach Gründung der Linken gibt es mit den Piraten eine neue Partei und einen Antibankenprotest, obwohl Ihre Themen im Zentrum der Tagespolitik stehen.

Erstens kommt keine Partei aus dem Nichts, auch nicht die Piraten. Die haben jetzt schon ein kleines NPD-Problem, wenn ich da mal drauf verweisen darf. Wir kommen auch nicht aus dem Nichts, sondern sind die einzige Partei, die sich aus Ost und West vereinigt hat.

Zweitens haben wir eine Alleinstellung im Bundestag, weil wir bei einigen Themen nicht in der Konsenssoße der anderen mitschwimmen: beim Afghanistankrieg, bei der Rente mit 67, bei der prekären Beschäftigung und beim Vertrag von Lissabon. Beim Rettungsschirm EFSF sagen wir als Einzige klar, dass wir einen anderen Weg benötigen.

Sie haben trotz Eurokrise und Wut gegen die Banken das Wahljahr vergeigt.

Leider standen dieses Jahr unsere Inhalte nicht im Vordergrund, sondern Streitereien um Personen. Diese Art der Selbstbeschäftigung ist immer gefährlich. Seit der Fraktionsklausur Ende August bin ich zwar optimistisch, dass wir ab jetzt die Konzentration auf das Politische schaffen, aber was in einem Jahr eingerissen wurde, holt man nicht in ein paar Wochen wieder raus.

Im Übrigen kann man die Landtagswahlen nicht über einen Kamm scheren. Trotzdem muss die Partei weg von den Querelen kommen. Unsere Schwächen kenne ich nach diesem Jahr gut. Aber dass Sie so tun, als ob man nach vier Jahren auf dem Höhepunkt sein müsste, ist unlauter. Wir hatten einen Höhepunkt bei der Bundestagswahl. Dann kam die Selbstbeschäftigung, und nun kommen wir aus unserem Tief wieder heraus.

"Die Linke muss weg von den Querelen"

Aber der große Erfolg der Piraten muss Sie doch beunruhigen.

Die Piraten haben ein Defizit aller Parteien besetzt und sind deshalb nicht zu unterschätzen. Aber ich weiß nicht, ob sie Bestand haben. Sie müssen zu vielen Themen ihre Meinung erst noch bilden - und die ahnen noch gar nicht, wie schwer das ist.

Da sind Sie in den vergangenen Jahren zwangsläufig zum Experten geworden.

In den Sachfragen ist das bei uns gar nicht so schwer. Die Vergangenheit ist unser Problem. Immer wenn wir die praktische Ebene verlassen und zum Ideologischen kommen, wird es problematisch.

Gesine Lötzsch und Klaus Ernst sind als Vorsitzende kaum je aus der Kritik rausgekommen. Ernst wegen seines Porsche und Lötzsch wegen Kommunismusdebatte, Mauergedenken und Castro-Glückwünschen. Wenn Sie sich bei einer guten Fee ein Fettnäpfchen aussuchen könnten, das der Linken erspart geblieben wäre, welches wäre es?

Wenn ich im Wald einen goldenen Zwerg träfe, würde ich mir als Erstes wünschen, jeden Monat einen Wunsch frei zu haben. Für mich ist der größte Fettnapf, wenn Leute die innere Strukturorganisation und Personalfragen zu ihrem Hauptthema machen.

Neunzig Prozent Politik und zehn Prozent Selbstbeschäftigung ist okay - in Ausnahmesituationen können es auch mal dreißig sein. Aber niemals achtzig Prozent Selbstbeschäftigung wie in diesem Jahr. Glücklicherweise ist das jetzt wieder abgeflaut.

Ist das die Ruhe vor dem Sturm beim Parteitag in Erfurt?

Ich glaube nicht an einen Sturm in Erfurt. Was jetzt auf dem Tisch liegt, ist ein Programm, das neunzig Prozent der Parteimitglieder akzeptieren können.

Die Personalfrage wird weiter schwelen.

Wenn klar ist, was die Wahlen im nächsten Jahr ergeben, wird Ruhe einkehren.

Wie viele Führungsfiguren wird die Linke noch verschleißen, bevor die Vergangenheit aufhört, ein Problem zu sein?

Bestimmte Probleme erledigen sich erst, wenn die Generation nicht mehr da ist, die in Wahrheit nur ihr eigenes Leben verteidigt. Nur weil sie das eigene Leben verteidigt, verteidigt sie Strukturen über das Maß hinaus, in dem die Strukturen Verteidigung verdienen.

Menschlich verstehe ich das. Wie soll einer, der zwanzig Jahre lang Grenzer in der DDR war, sagen, es war alles Scheiße, was ich gemacht hab? Der sucht natürlich Begründungen für sein Tun, und es gibt auch welche. Bloß sind dann wieder meine Westler entsetzt, was ich wiederum auch verstehen kann.

Bodo Ramelow hat die Urwahl der Parteispitze und das Duo Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch als Alternative zu Lötzsch und Ernst propagiert. Gute Idee?

Wir brauchen jetzt keine Personaldebatte. Ob die Parteispitze per Urwahl bestimmt wird, hängt unter anderem davon ab, ob es Alternativen gibt. Bisher hat niemand seine Kandidatur angekündigt.

Wird Lafontaine Spitzenkandidat 2013?

Wenn die Koalition vorzeitig platzt, beantworte ich die Frage nach dem oder den Spitzenkandidaten, sonst erst 2013.