Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)
Haben Sie sich in Ihrer neuen Rolle als Grünen-Fraktionschef etabliert? Was sind Ihre wichtigsten Themen in der Politik?
Nach einer so kurzen Zeit kann man noch nicht zu 100 Prozent etabliert sein. Für mich steht fest: Eine erfolgreiche Oppositionspolitik verfolgt eine langfristige Strategie und achtet nicht auf kurzfristige Effekte und rasche Schlagzeilen. Wir müssen die Regierung kontrollieren und da kritisieren, wo es richtig und sinnvoll ist. Wir verfolgen das Modell der konstruktiven Opposition. Wir kritisieren nicht alles, nur weil es von der Bundesregierung ist. Das kommt in der Bevölkerung offenbar gut an. Blicken Sie auf die FDP-Opposition in den Jahren 2005 bis 2009 – das war eine schreierische und populistische, am Ende unglaubwürdige Oppositionsarbeit. Es hat kurzfristig zu einem Wahlerfolg geführt, aber diese Strategie hatte den Niedergang der FDP im Kern bereits in sich getragen. Wer vorhat zu regieren, kann nicht ständig Parolen in die Landschaft schreien. Am Ende wird man daran gemessen.
Sie wollen regieren. Wann und mit wem? Stehen die Zeichen für Schwarz-Grün?
Wir wollen in diesem Land vieles verändern, dazu wollen wir nach der nächsten Bundestagswahl 2017 regieren. Dazu kann es aus heutiger Sicht zwei Optionen geben: Rot-Rot-Grün und Schwarz-Grün. Ob es mit einer davon geht, wissen wir noch nicht. Wenn man sich die letzte Legislaturperiode anschaut, sieht man, was in vier Jahren alles passieren kann: Die FDP ist abgestiegen, die Grünen hat man bis zur Kanzlerschaft hochgeschrieben, die Piraten sind erschienen und wieder verschwunden. Die AfD ist gekommen. Zurzeit ist es mit der Linkspartei nicht einfach. Es gibt extreme innere Spannungen, vor allem wegen der Außenpolitik. Auch mit der CDU ist es nicht immer einfach – siehe ihre Flüchtlings- und Asylpolitik .
Mit welchen Themen können Sie punkten?
Es gibt eine Reihe grüner Kernthemen.Im ersten Halbjahr haben wir uns intensiv mit der Energiepolitik befasst. Auch die Themen Digitale Bürgerrechte sowie die Debatte um Freihandel, Demokratie und Macht der Wirtschaft werden uns in den nächsten Monaten beschäftigen. Ein Megathema wird Mobilität für alle sein – ohne die Verbrennung von Öl. Ein hohes Interesse spüren wir in der Landwirtschaftspolitik und bei der Massentierhaltung. Stark schwankt das Interesse am Klimaschutzthema, weil es schon lange läuft. Aber der Kernwählerschaft ist es wichtig.
Sie kritisieren scharf die geplante Pkw-Maut, andererseits braucht der Staat Geld für die marode Infrastruktur. Woher nehmen?
Nach meiner Beobachtung wird im Verkehrsbereich auf Bundesebene am nachlässigsten mit öffentlichem Geld umgegangen – ähnlich vielleicht wie bei der Rüstungsbeschaffung. Bevor man nach zusätzlichem Geld schreit, sollte man die Infrastrukturfinanzierung reformieren. Zurzeit ist der Verkehrsbereich ein Fass ohne Boden. Die Bundesregierung schüttet Geld hinein – ohne vernünftige Effekte. Wir haben jedes Jahr fünf bis sechs Milliarden Euro für unser Bundesfernstraßennetz. Es braucht für einen nachhaltigen Unterhalt 3,5 Milliarden jährlich. Jetzt gibt die Bundesregierung aber nur jährlich 1,5 Milliarden für den Unterhalt aus. Das heißt, Jahr für Jahr verrottet das Straßennetz mehr. Dann muss für viel Geld ein Ersatz neu gebaut werden. Am Ende wird es teurer. Es ist wie bei einem Hausbesitzer, der sein kaputtes Dach nicht repariert, obwohl es jahrelang hineinregnet. Stattdessen baut er lieber einen zweiten Wintergarten. Der Bund handelt ähnlich, er gibt das Geld lieber für Neubauten aus als für den Unterhalt. Da werden Autobahnen für Verkehrsströme von 9000 bis 10 000 Autos am Tag gebaut. Das sind unnötige Projekte – da reicht eine Bundesstraße. Auch sollte die LKW-Maut auf mehr Strecken und 7,5-Tonner ausgeweitet werden. Das würde zwei bis drei Milliarden Euro im Jahr bringen.
Sind Sie froh, dass Sie nun als Fraktionschef das Projekt Stuttgart 21 vom Hals haben?
Ich bin mit dem Zug in Stuttgart. Ich glaube, dass wir froh sein könnten, wenn man das Projekt nie begonnen hätte und die Menschen vom Baustellenchaos verschont geblieben wären.