Die Europapolitikerin Rebecca Harms spricht über ihren Besuch bei der inhaftierten Oppositionschefin in der Ukraine nach dem EM-Spiel.

Charkow - Während andere der Europameisterschaft fernbleiben, um damit gegen die Politik des Präsidenten Viktor Janukowitsch zu protestieren, hat Rebecca Harms einen anderen Weg gewählt. Die Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament trug als erste den Protest ins Stadion. Nach dem Deutschland-Spiel besuchte sie die inhaftierte Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko.
Frau Harms, wie vertragen sich Sport und Politik? Am Vorabend sehen sie in Charkow den deutschen 2:1-Erfolg gegen die Niederlande. Am nächsten Morgen sitzen sie als erste deutsche Politikerin am Krankenbett der inhaftierten Julia Timoschenko.
Ich bin froh, dass ich es so gemacht habe. Es führt bei dieser Europameisterschaft kein Weg daran vorbei, den Protest gegen Präsident Janukowitsch auch während der Spiele deutlich zu machen. Mein Besuch zusammen mit meinem Kollegen Werner Schulz ist da jetzt so ein bisschen die Speerspitze gewesen. Ich hoffe, dass weitere Aktionen folgen. Denn der Besuch hat in der Ukraine selbst schon große Aufmerksamkeit erregt.

Die Fernsehzuschauer haben aber nicht gesehen, dass sie mit Protestplakaten auf der Tribüne saßen.
Der Zuschauer konnte auch nichts davon mitbekommen, weil die Uefa, die alle Fernsehanstalten beliefert, den Kameraleuten ausdrücklich zur Vorgabe gemacht hat, dass Politik im Stadion nicht stattfindet. Im ZDF ist die Aktion im Kommentar zum Spiel aufgetaucht – was ich für eine gute Lösung halte.

Was war das Erste, was Julia Timoschenko ihnen gesagt hat, als Sie sie am Donnerstagmorgen trafen?
Wir haben uns begrüßt. Und dann hat Julia Timoschenko uns zum Erfolg der deutschen Mannschaft gratuliert.

Es gibt also keine Nachrichtensperre im Gefängniskrankenhaus?
Nein, sie war sehr gut informiert.

Wie lange hatten Sie Zeit, um sich zu unterhalten? Wurden Sie kontrolliert?
Wir haben fast zweieinhalb Stunden miteinander geredet. Es gab kein Zeitlimit von Seiten der ukrainischen Behörden.

Es gab also keine Probleme oder anderweitige Behinderungen?
Ich habe schon vor längerer Zeit Besuchsanträge gestellt – nicht nur für Julia Timoschenko, sondern auch für Minister ihrer ehemaligen Regierung und andere bekannte Oppositionspolitiker. Aber es war lange völlig unklar, ob und wann ein Besuch genehmigt werden würde. Die Bestätigung habe ich dann erst am Dienstag bekommen.

Was ist Ihr Eindruck? Wie geht es Julia Timoschenko nach ihrem schweren Bandscheibenvorfall und dem Hungerstreik, mit dem sie gegen ihre Haft und ihre Haftbedingungen protestierte ?
Sie ist noch nicht wieder richtig auf den Beinen. Sie und die sie behandelnden Ärzte haben uns aber gesagt, dass sie alles dafür tut, um wieder gesund zu werden. Sie lässt sich auf die Krankengymnastik und die Kinesiotherapie hundertprozentig ein. Aber ob man in einem Gefängniskrankenhaus gesund werden kann, wenn einen gleichzeitig die eigene Regierung derart böse verfolgt – das kann man schon bezweifeln. Die Verfolgung gipfelt jetzt in einer Mordanklage und der Forderung des Präsidenten Viktor Janukowitsch, dass sie unbedingt schuldig gesprochen werden soll.