Der EU-Kommissar Günther Oettinger warnt davor, dass Rechtspopulisten nach dem Votum der Briten einen Dominoeffekt an Austritten provozieren könnten.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Der EU-Kommissar Günther Oettinger bedauert den Austritt der Briten aus der EU. Im Interview plädiert er aber für ein geordnetes Verfahren zur Abwicklung.

 
Herr Oettinger, der EU-Partner Großbritannien wird das europäische Haus verlassen, muss es nun harte Scheidungsverhandlungen geben?
Wir müssen nicht hart verhandeln, sondern konsequent, unverzüglich und gründlich. Wir respektieren, dass die Briten in einem demokratischen Verfahren den Austritt beschlossen haben. Ich bedauere es zugleich sehr. Jetzt gilt es, in einem geordneten Verfahren mit der Abwicklung zu beginnen. Investoren sind an einem Binnenmarkt mit klaren Rechtsgrundlagen interessiert. Großbritannien hat all die Jahre vom Binnenmarkt massiv profitiert. Gerade England. Nehmen Sie die Automobilindustrie. Früher gab es britische Hersteller, inzwischen haben andere Marken übernommen, zum Beispiel BMW und Zulieferer wie Bosch. Sie haben weiter auf der Insel produziert, weil das Land im europäischen Markt war. BMW und andere konnten die Autos einfach vom Werk bei London nach Amsterdam zum Verkauf transportieren. Wohl gemerkt, nicht exportieren, denn es gibt ja den Binnenmarkt. Das wird aber bald vorbei sein. Je schneller alle Rechtsfragen geklärt sind, desto eher werden Investoren ihre Zurückhaltung nach einem Austritt wieder aufgeben.
Hat die EU ein Demokratiedefizit?
Nein. Das EU-Parlament ist genauso demokratisch gewählt wie der Landtag von Baden-Württemberg oder der Gemeinderat von Biberach. Der Europäische Rat entspricht unserem Bundesrat, der Länderkammer, ist also ebenfalls über jeden Vorwurf erhaben. Und ein EU-Kommissar ist demokratischer legitimiert als jeder Minister im Kabinett von Angela Merkel. Über die Zusammensetzung des Bundeskabinetts entscheiden nämlich drei Politiker, die Chefs von CDU, CSU und SPD. Das ist in Europa anders. Wer aber Kommissar werden möchte muss sich in den Ausschüssen des Parlaments vorstellen und muss das Votum des Parlamentes bekommen. Ich halte fest: Alle drei zentralen europäischen Institutionen – Parlament, Rat und Kommission – müssen sich nicht verstecken, sie haben gegenüber Parlamenten auf nationaler Ebene überhaupt keinen Nachholbedarf an demokratischer Legitimation.