Der Schmidener Handballtrainer Jens Bürkle, 39, spricht im Interview über seine Jugendzeit in der Fellbacher Heimat, die außergewöhnliche Saisonvorbereitung mit dem Bundesligisten HBW Balingen-Weilstetten und einen besonderen Mitspieler.

Fellbach - Mit den Handballern der Spielgemeinschaft HBW Balingen-Weilstetten, die er seit Oktober 2017 betreut, ist der Trainer Jens Bürkle in seiner zweiten Saison in die erste Bundesliga aufgestiegen. In der vergangenen Runde, die aufgrund der Coronavirus-Pandemie vorzeitig abgebrochen wurde, landete er mit seinem Team auf dem 16. Tabellenplatz. Nun bereitet der 39-jährige Schmidener, der beim TV Oeffingen mit dem Handballsport begonnen hatte, die Bundesliga-Akteure auf die neue Saison vor. Sie soll im Oktober beginnen.

 

Sind sie ein Fußballfan?

Ja, klar! Vom FC Bayern München.

Dann dürften Sie sich gefreut haben, dass die Fußballer zumindest im TV wieder zu sehen waren, während die Saison der Bundesliga-Handballer abgebrochen wurde. Hatten Sie Verständnis für diese Entscheidung?

Ja, hatte ich. Weil die Fußballer ja ganz andere Bedingungen haben als wir Handballer. Ich habe von Daniel Sauer, einem meiner besten Freunde, Geschäftsführer der Würzburger Kickers, ein paar Interna mitbekommen. Die Planungen, wie die Spieler isoliert wurden, wie sie gecheckt wurden von Ärzten, welche Summen dafür ausgegeben wurden, wie viele Fernsehgelder da dann auch wieder reinkamen – das steht in keinem Verhältnis zu den Zahlen, die wir haben. Der Bedarf an Corona-Untersuchungen, Quarantänemaßnahmen etc., gepaart mit dem Verlust der fehlenden Einnahmen, hätte wohl viele Vereine in den finanziellen Ruin getrieben.

Aufgrund des Saisonabbruchs war der Ligaverbleib für Ihre Mannschaft sicher. Jetzt soll die aufgestockte Bundesliga mit 20 Teams starten. Was erwarten Sie von dieser neuen Saison?

Ich erwarte, dass sie genauso spannend wird wie die vergangene. Da kann extrem viel passieren, da können gute Phasen einen ganz schnell nach oben schieben in der Tabelle und schlechte Phasen auch ganz schnell nach unten. Das wird auch hinten super spannend, nicht unbedingt, weil es dieses Mal vier Absteiger gibt, sondern weil es wenige schlechte Mannschaften gibt. Der Unterschied ist marginal. Das wird ein ganz, ganz tolles Jahr, was das Sportliche angeht. Ich hoffe, dass die anderen Bedingungen so werden und sich so entwickeln, dass wir auch reibungslos in den Hallen spielen können. Es geht zum einen darum, wirtschaftlich zu überleben und auch wieder ein bisschen Normalität reinzubringen. Es wäre schön, wenn uns da beides gelingen würde.

Frank Bohmann, der Geschäftsführer der deutschen Handball-Bundesliga (HBL) hat erst kürzlich in einem Interview betont, dass er Spiele mit Zuschauern für realistisch erachtet. Wie sehen Sie die Situation?

Ich glaube auch, dass es realistisch ist, aber unter welchen Bedingungen? Wie viele Leute kommen in die Hallen, wie sehen die Konzepte aus? Ich bin mir sehr sicher, dass Zuschauer kommen werden in die Hallen. Frank Bohmann hält, Stand heute, eine 20- bis 50-prozentige Auslastung für realistisch. Alles weitere wird die Zeit zeigen.

Wie laufen denn die Vorbereitungen mit Ihren HBW-Handballern?

Die Vorbereitungen laufen super. Auch wenn wir zurzeit noch einen relativ kleinen Kader von 14 Spielern haben. Aber die, die da sind, ziehen alle super mit, es läuft also sehr, sehr gut. Ein Teil der Mannschaft hatte bereits Anfang Juni als Kurzarbeiter angefangen, damit wir dieser extrem langen Pause – seit Mitte März waren keine Spiele und auch kein Trainingsbetrieb – so ein bisschen Herr werden. Diese Pause bringt ja auch unfassbar viele Risiken mit sich, wir haben viele Dinge wieder von Grund auf versucht, neu zu entwickeln. Wir sind einen Monat nur gelaufen, gesprungen und haben an Richtungswechseln gearbeitet, ein paar Pässe, ein paar Würfe, um das Verletzungsrisiko massiv zu senken. Wir haben Strukturen langfristig aufgebaut, einige Spieler trainieren schon seit neun Wochen. Jetzt machen wir eine Woche Pause.

Sie haben es bereits angesprochen: Das bis heute letzte Ligaspiel liegt schon eine ganze Weile zurück. Sie waren von Anfang an in dieser Coronavirus-Pandemie für den Abbruch der Saison. Wie sehen Sie die Entscheidung heute?

Ich glaube, es war richtig, die Saison abzubrechen. Alles andere hätte massive Probleme verursacht. Und viele Dinge waren ja auch nicht absehbar. Es ist ja heute noch nicht absehbar, was mit Spielern passiert, die tatsächlich Corona hatten. Und im Sinne der Vorsicht finde ich die Lösung, wie sie jetzt getroffen wurde, eine sehr, sehr gute. Auch wenn sie jetzt für die nächste Saison einen extremen Terminkalender mit sich bringt. Aber im Sinne der Sicherheit war dies für mich die richtige Entscheidung.

Noch weiter zurück liegt Ihre Spielerkarriere, die ja beim TV Oeffingen begonnen hatte. Was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an Ihre Oeffinger Zeit zurückdenken?

Heimat, Halle, eine unfassbar gute Jugendarbeit mit sehr engagierten Trainern und ein paar Freunde auf Lebenszeit.

Einer von ihnen ist Christoph Keller, heute Abteilungsleiter beim TV Oeffingen. Die Mannschaft hat jüngst den Sprung in die Verbandsliga geschafft. Verfolgen Sie noch das Geschehen rund um Ihren Jugendverein?

Ich muss sagen, ich habe in der vergangenen Saison tatsächlich kein Spiel gesehen; ansonsten hatte ich immer mal wieder die Chance gehabt, auch mit Christoph ein Spiel anzuschauen. Aber ich verfolge es, wir reden ja auch darüber.

Christoph Keller hat einmal gesagt, dass Sie als Jugendspieler nie überragt haben, aber unglaublich viel Ehrgeiz reingesteckt haben. Wie sehr bringt Sie dieser Ehrgeiz auch als Trainer weiter?

Ehrgeiz bringt jeden Menschen weiter, egal in welchem Bereich. In der Sportwissenschaft sagt man, es gibt einen engen und einen weiten Talentbegriff. Der enge bezeichnet die Fähigkeiten, die Voraussetzungen und die Konstitution; und der weite Talentbegriff bezeichnet einen Menschen, der die Bereitschaft hat, etwas Besonderes zu erreichen. Ich hatte am Handballsport und dem Drumherum schon eine große Freude und den Biss, mehr zu erreichen als der andere. Ich war nie zwei Meter groß, ich war nie der Schnellste, ich hatte bestimmt viele Fähigkeiten nicht, aber ich hatte immer riesigen Spaß daran zu arbeiten, es besser hinzukriegen. Und das habe ich nach wie vor auch. Ich stehe ungern auf der Stelle. Ich versuche, aus meinen Fehlern zu lernen und neue Fehler zu machen. Das ist eine Idee, die mein Leben geprägt hat, das ist mir so auch von zu Hause mitgegeben worden.

Wie sehen Sie denn Ihre Zukunft im Handballsport, was möchten Sie noch erreichen?

Ich gehe immer einen Schritt nach dem nächsten, das ist eine Eigenschaft, die ich schon seit vielen Jahren habe. Was ich mir wünsche, ist, dass wir in Balingen eine Mannschaft aufbauen, die dauerhaft in der ersten Bundesliga bestehen kann. Das wird ein weiter und steiniger Weg werden; aber wir haben auch viele Dinge, die sehr vorbildlich sind und an denen wir weiterarbeiten können. Wenn ich zum Beispiel unsere Jugendabteilung sehe, wir haben viele Spieler aus den eigenen Reihen in unserer Mannschaft, wir haben sie kontinuierlich nach oben gebracht.

Weil Sie die Jugend angesprochen haben: Vom SV Fellbach ist in Till Wente ein junger, ambitionierter Spieler zu Ihrem Verein gewechselt. Was sehen Sie in ihm, welche Chancen hat er, kann er seinem Vater Udo Wente nacheifern?

Mit Udo habe ich sogar ein paar Spiele zusammen bestreiten dürfen. Er hatte mal beim TV Oeffingen ausgeholfen, als ich noch Jugendspieler war. Und ich habe ihn auch oft genug mit der Trommel angefeuert, aber da war ich noch ein kleiner Bub. Momentan ist es ein bisschen schwierig für Till, weil wir aufgrund der Coronavirus-Pandemie aufpassen müssen, wie wir Mannschaften mischen können. Sonst konnten wir die Durchlässigkeit zwischen erster und zweiter Mannschaft enger halten. Das heißt, er wird jetzt erst einmal A-Jugend und im zweiten Team spielen; und wenn er dann, sagen wir mal dort überragend spielen sollte, werden wir ihn sicherlich hochziehen. Aber wir müssen generell aufpassen, weil ein positiver Fall den ganzen Laden lahmlegen könnte.

Noch ein Stück näher an Ihre Heimat: Wie oft schaffen Sie es bei Ihrem vollen Terminkalender denn noch, Ihre Eltern in Schmiden zu besuchen?

Ich hoffe, dass ich Sie am Donnerstag besuchen kann. Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt so Phasen wie jetzt, da klappt es ein bisschen öfter, dann gibt es aber auch wieder Zeiten, da klappt es ein paar Monate nicht. Aber dann kommen meine Mutter und mein Vater auch mal bei mir vorbei. Zuletzt habe ich es ein paar Mal nach Schmiden geschafft, das ist selbstverständlich auch für meinen Kleinen und meine Frau wunderschön, aber leider klappt das nicht immer, weil in der Regel ist das bei uns eine Sieben-Tage-Woche. Wir versuchen aber eine Regelmäßigkeit beizubehalten.