Was tun, wenn man der Kanzlerin einen Denkzettel wegen ihrer Flüchtlingspolitik verpassen, aber nicht AfD wählen will? FDP wählen, sagt der Spitzenkandidat Rülke. Merkel habe „alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte“.

Stuttgart - Das Zittern um den Wiedereinzug in den Landtag ist passe, die FDP sondiert bereits mögliche Regierungspartner. Im StZ-Interview präsentiert sich ihr Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke optimistisch und kämpferisch – und als Kritiker der Flüchtlingspolitik.

 
Herr Rülke, auf einem FDP-Plakat steht: „Du kannst Rülke nicht ändern, aber Rülke etwas im Land.“ Was, bitte schön, sollte man an Ihnen ändern wollen?
Es wird ja gerne gesagt, dass ich Ecken und Kanten hätte, dass ich etwas gefälliger sein könnte. Manche behaupten, ich sei kein Menschenfänger. Insofern rekurriert das ein wenig selbstironisch auf das landespolitische Image, das ich habe – mit dem ich aber ganz gut leben kann.
Noch im vorigen Jahr trugen Sie den Spitznamen „Brüllke“, nun finden manche Mitstreiter, Sie seien etwas zu leise geworden. A So ist es in der Politik und in den Medien: man kann es nie recht machen. Welches ist der echte Rülke, der laute oder der leise?
Ich habe ja eine bestimmte Aufgabe, nämlich die FDP zum Erfolg zu führen. Erfolg heißt, in Oppositionszeiten einigermaßen wahrnehmbar zu bleiben. Das habe ich, glaube ich, erreicht. Im Positiven hieß es dann, ich sei der eigentliche Oppositionsführer, im Negativen eben Brüllke. Jetzt, als Spitzenkandidat, habe ich eine andere Aufgabe: die FDP zum Wahlerfolg zu führen und sie als ernsthafte politische Kraft so zu positionieren, dass sie für Regierungsverantwortung in Frage kommt. Wenn ich mir die Entwicklung der Umfragen anschaue und die Stimmung in den Wahlkreisen, bin ich auch da auf ganz gutem Weg.
Tatsächlich wird die FDP gerade von allen Seiten umworben. Wie fühlt sich das an?
Gut. Das hat damit zu tun, dass es für die klassischen politischen Lager im Moment keine Mehrheit gibt, weil eine radikale politische Partei, mit der keiner zusammenarbeiten will, möglicherweise relativ stark in den Landtag kommt. Deswegen müssen sich vielleicht neue Konstellationen finden, bei denen die FDP eine entscheidende Rolle spielen könnte.
Sie kokettieren schon wieder mit der Rolle als Zünglein an der Waage?
Ich kokettiere nicht damit, aber das könnte sich so ergeben. Deswegen haben wir auch den Weg gewählt zu sagen, wir sind bereit für Regierungsverantwortung, aber nur, wenn unsere Inhalte deutlich erkennbar umgesetzt werden. Dazu haben wir den denkbaren Kooperationspartnern Fragen gestellt. Ich möchte hinterher nicht den Vorwurf hören, die FDP habe eine bestimmte Mehrheit ermöglicht, bekommt dafür zwei Ministerämter – und das war’s. Dann bleibe ich lieber in der Opposition.
Was folgern Sie aus den Antworten der Parteien für Ihre Koalitionserwägungen?
Wir machen Koalitionen nicht nach irgendeiner Farbenlehre, sondern nach inhaltlichen Übereinstimmungen. Deswegen wollen wir der politischen Konstellation, die wir in den letzten fünf Jahren scharf kritisiert haben – Grün-Rot – die Gelegenheit zum Politikwechsel geben. Das ist schon notwendig. Wenn Herr Kretschmann dazu nicht bereit ist, muss er sehen, wo er seine Mehrheiten herkriegt.
Für Nils Schmid gilt das Gleiche?
Es gibt schon Unterschiede. Die Grünen haben uns nur ihr Programm geschickt. Nils Schmid hat dagegen angeboten, schon vor der Wahl über Inhalte zu sprechen. Insofern schneidet bei unserem Wettbewerb „Deutschland sucht die Superpartei“ die SPD besser ab als die Grünen. Am überzeugendsten waren aber die Antworten der CDU. Bei unserem kleinen Parteitag am Wochenende werden wir entscheiden, in welche Richtung wir marschieren.
Ende 2015 hat die FDP selbst Spekulationen angefacht, sie könnte Grün-Rot in einer Ampel das Weiterregieren ermöglichen.
Wir haben das nie angefacht, sondern wurden gefragt: schließen Sie aus? Jede Antwort darunter wurde dann so gedeutet, dass die FDP das anstrebe. Ich habe nie von mir aus mit einer Ampel kokettiert.
Wo liegen denn die inhaltlichen Differenzen zur CDU?
Die liegen im Wesentlichen im Bereich der Innen-, Rechts- und Gesellschaftspolitik. Die Union würde gerne das Landeserziehungsgeld wieder aufleben lassen, sie hätte gerne ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen, sie tut sich schwer mit der gleichgeschlechtlichen Ehe – das ist bei der FDP jeweils anders. In diesen Bereichen ist die Schnittmenge mit Grün-Rot größer.
:Aber auch von Grün-Rot fordern Sie einen Kurswechsel. Wo vor allem?
Das sind vor allem drei Punkte: in der Bildungspolitik – da wollen wir die Privilegierung der Gemeinschaftsschule zurückdrehen und anderen Schultypen eine faire Chance im Wettbewerb geben. In der Wirtschaftspolitik wollen wir wirtschaftsfeindliche Gesetze von Grün-Rot wieder abschaffen, zum Beispiel das Bildungszeitgesetz. Zum dritten wollen wir die Infrastrukturpolitik ändern – weg vom Schwerpunkt Radverkehr. Auch für die Breitbandinfrastruktur wollen wir mehr Mittel bereitstellen, durch die Entnahme von einer Milliarde Euro aus der Landesstiftung.
Eines der Hauptthemen im Wahlkampf ist die Flüchtlingspolitik. Von den Parteien im Landtag kritisieren Sie die Bundeskanzlerin am schärfsten.
Falsch. Wir sind die einzigen, die sie kritisieren.
Was hat Frau Merkel falsch gemacht, was muss sie ändern?
Im Grunde hat sie alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Ausgehend von dem grundsätzlichen Fehler, im September 2015 das Dublin-3-Abkommen aus eigener Machtvollkommenheit außer Kraft zu setzen und damit das Signal zu geben: Flüchtlinge dieser Welt, Ihr braucht nur die EU-Außengrenzen zu erreichen, dann seid Ihr in Deutschland und dort willkommen. Damit hat sie eine ungeheure Sogwirkung ausgelöst. Der zweite große Fehler ist, dass sie allen europäischen Partnern ein Alibi geliefert hat, sich aus der europäischen Solidarität herauszunehmen – wie gerade der französische Premier. Wenn man mit denen verhandelt, sagen die: Liebe Angela, Du warst es doch, die alle angelockt hat, warum sollen wir Dir jetzt diese Aufgabe abnehmen. Aus dieser Situation herauszukommen, ist außerordentlich schwierig – das wird sich auch beim EU-Gipfel zeigen.
Was folgt daraus?
Im Grunde hat Christian Lindner völlig recht, wenn er sagt, die Kanzlerin muss jetzt die Vertrauensfrage stellen. Die Mehrheit des Bundestages muss sagen, ob sie diese Politik von Frau Merkel weiter mit trägt – oder nicht jemand anderen auf dem Stuhl des Bundeskanzlers will. Ich höre von vielen CDU-Abgeordneten und CDU-Funktionären, dass man gerne eine andere Politik hätte. Aber der Mut, das offen zu sagen, ist nicht besonders verbreitet.
Worin besteht das Staatsversagen, das Sie in der Flüchtlingskrise konstatieren?
Staatsversagen gibt es in vielen Bereichen. So ist es bis heute nicht möglich, die Landeserstaufnahmestellen zu vernetzen. Die Umstellung von Geld- auf Sachleistungen, die Herr Kretschmann zugesagt hat, ist nicht umgesetzt. Staatsversagen gilt auch für den Schutz der Grenzen. Monatelang haben wir gehört, das gehe nur mit Schießbefehl und Stacheldraht. Nun höre ich von Herrn de Maizière, dass täglich 100 bis 200 Flüchtlinge zurückgeschickt würden – und stelle mir die Frage, wie das möglich ist. Also: Es herrscht Chaos auf Bundes- und Landesebene.
Von dem die AfD profitiert.
Die etablierten Parteien werden in der gegenwärtigen Proteststimmung in einen Topf geworfen. Viele Menschen sagen: jetzt müssen wir eine radikale Partei wählen. Da sehen wir zwar keine Problemlösungskompetenz, keine überzeugenden Programme und kein überzeugendes Personal, aber wir wollen, dass die da oben aufwachen.
Sie sagen: man kann auch FDP wählen, um das Protestsignal an die Kanzlerin zu senden?
Ja, die FDP ist die Alternative für Demokraten. Wer dieses Signal setzen möchte, braucht nicht die Radikalen zu wählen, er kann auch die FDP wählen. Wir kritisieren die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, wenden uns aber nicht wie die Radikalen gegen die Flüchtlinge.
Welche Rolle spielt Parteichef Lindner im Wahlkampf? Er tritt etwa 150 Mal auf.
Eine sehr große Rolle. Er bringt einen enormen, bewundernswerten Einsatz. Von seinen Auftritten bekomme ich ausschließlich positive Rückmeldungen.
Und Sie sind zur Zeit sein wichtigster Mann?
Der Ausgang der Landtagswahl ist für ihn schon von großer strategischer Bedeutung. Baden-Württemberg gilt als „Stammland“ der Liberalen, bei Bundestagswahlen haben wir immer die besten Ergebnisse beigetragen. Für das zentrale Ziel, wieder in den Bundestag zu kommen, ist es wichtig, dass wir nicht nur knapp wieder in den Landtag kommen, sondern mit deutlich mehr als fünf Prozent. Nur ein solches Signal wäre glaubwürdig. So gesehen kann man schon von einer Schicksalswahl sprechen.
Wie wichtig wäre Lindner eine Regierungsbeteiligung ?
Schon wichtig – aber nicht um jeden Preis. Christian Lindner hat sehr deutlich gesagt, dass ihm die Beteiligung an einer grün-roten Regierung missfallen würde.
Wäre es schlimm, wenn Sie Oppositionsführer blieben?
Nein. Das bleibe ich lieber als ein kleiner Regierungspartner, der dafür, dass er die Politik von anderen absegnet, mit einem wohlfeilen Ministerium belohnt wird.
Sie sind viel im Mittelstand unterwegs. Wie groß ist da die Enttäuschung über die Große Koalition in Berlin, wie groß die Sehnsucht nach der FDP?
Beides ist sehr groß. Viele Mittelständler sagen mir: für uns ist es wichtig, dass die FDP im Parlament eine Rolle spielt – nicht unbedingt in der Regierung, durchaus auch in der Opposition. Die Stimme der FDP im Bundestag fehle, man höre nur die Verteilungspolitiker.
Sie haben unlängst Aufsehen erregt mit einem Foto von sich mit 19 Jahren in Badehose. Was darf man im Wahlkampf noch von Ihnen erwarten?
Nichts mehr in dieser Hinsicht. Das Foto hat hinreichend deutlich gemacht, dass ich für Kontinuität und Wandel stehe: Gewandelt hat sich die Bademode, gleich geblieben ist die Figur.