Heiner Geißler redet im StZ-Interview über Versäumnisse der CDU, Bündnisoptionen für die Zukunft und Stuttgart 21.    

Stuttgart  - Als die Fronten bei Stuttgart 21 völlig verhärtet waren, kam Heiner Geißler im vergangenen Herbst nach Stuttgart. Als Schlichter trug der 81-Jährige zur Versachlichung der Debatte bei. Im StZ-Interview spricht der frühere CDU-Generalsekretär über die Landtagswahl und deren politische Folgen.

 

Herr Geißler, wenn Sie selbst wahlberechtigt gewesen wären, wen hätten Sie in Baden-Württemberg am Sonntag gewählt?

Natürlich die CDU.

So natürlich scheint mir das trotz Ihres Parteibuchs und Ihrer Vergangenheit gar nicht zu sein. Sie haben sich am Wahlabend äußerst kritisch zu Ihrer eigenen Partei und deren Kurs in der Atompolitik geäußert.

Ich habe nicht zu denen gehört, die der CDU in Berlin oder im Land wahltaktisches Verhalten wegen des Moratoriums vorgeworfen haben. Ganz im Gegenteil. Was hätte denn die Bevölkerung gesagt, wenn Angela Merkel oder Stefan Mappus über die Ereignisse in Japan einfach zur Tagesordnung übergegangen wären?

Viele Bürger haben der CDU ihre Kehrtwende nicht abgenommen.

Es war nicht die vorübergehende Stilllegung von sieben Atomkraftwerken, die der CDU massiv geschadet hat. Ein Grund für die klare Niederlage ist vielmehr der Umstand, dass die CDU vorher in Berlin beschlossen hat, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern. Die geschah auch auf Druck der FDP. Die CDU hätte ihren Umweltminister Norbert Röttgen, der gegen die Verlängerung ist, nicht im Regen stehen lassen dürfen.

Stefan Mappus hatte sich als klarer Befürworter der Kernenergie positioniert. Das hat ihn nach den Ereignissen in Japan eingeholt.

Die Kernenergiepolitik der CDU ist mit der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke in die falsche Richtung geraten. Man hätte den Ausbau der erneuerbaren Energien forcieren können, auch wenn es bei den von Rot-Grün beschlossenen Laufzeiten geblieben wäre. Dass die CDU die Laufzeiten der Kraftwerke verlängert hat, war so unnötig wie falsch. Jetzt sollte sie bei ihrer neuen Konzeption bleiben: Die sieben AKWs, die stillgelegt wurden, dürfen nie wieder ans Netz gehen.

Vor der Wahl in Baden-Württemberg waren Schwarz und Grün so weit voneinander entfernt, wie selten in den vergangenen Jahren. Sollte sich die CDU neu ausrichten?

Sie hätte es schon längst tun müssen. Ich habe es schon immer für einen schweren Fehler gehalten, dass sich die CDU ausschließlich auf einen Partner festgelegt hat, nämlich die FDP. Von der hat man nie so richtig gewusst, ob sie überhaupt noch lebt. Das war keine kluge Entscheidung.

Aber zwischen CDU und Grünen haben inhaltliche und persönliche Differenzen zu einer Entfremdung beigetragen: in Stuttgart, im Land und auch in Berlin.

Es gibt auch bei den Grünen Leute, die Denkblockaden haben. Aber politisch gesehen gibt es nicht einen einzigen Grund, warum die CDU beispielsweise leichter mit den Sozialdemokraten koalieren könnte als mit den Grünen. Es ist eher umgekehrt.

Stefan Mappus hat sich zurückgezogen. Könnte eine CDU, in der beispielsweise Tanja Gönner eine wichtigere Rolle spielt, sich mittelfristig für die Grünen öffnen?

Tanja Gönner war immer offen für eine schwarz-grüne Zusammenarbeit.

"Grüne müssen Ausstiegskosten berechnen"

Inwiefern wird sich der Regierungswechsel auf das Projekt Stuttgart 21 auswirken?

Ich würde es für klug halten, wenn die Projektgegner beim Stresstest von Anfang an dabei sind. Aus dem Ergebnis wird die neue Regierung dann ihre Konsequenzen ziehen. Möglicherweise kommen dabei eine Reihe von Verbesserungen heraus. Dann muss man für die Finanzierung dieser Verbesserungen sorgen.

Damit wäre das Projekt wohl beerdigt. Eine Grün-Rote-Landesregierung würde wohl keine zusätzlichen Mittel investieren, um ein schwarz-gelbes Projekt zu unterstützen, das die stärkere der beiden Koalitionsparteien strikt ablehnt.

Aber sie muss auch die Ausstiegskosten berechnen. Die Grünen haben nach der Schlichtung gesagt, dass sie zumindest die von mir vorgeschlagenen Verbesserungsvorschläge mittragen.