Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Wie haben in der Historie technologische Sprünge wie die Entwicklung von Gewehren, Panzern, Kriegsschiffen, Marschflugkörpern oder Atomwaffen die Kriegführung beeinflusst?
Kriegführung ist ein komplexes System, das von demografischen und politischen Faktoren, von technologischen Veränderungen und strategischen Innovationen abhängt. Innerhalb dessen kann man sagen: Natürlich haben technische Sprünge die Kriegführung verändert. Das vielleicht folgenreichste Beispiel ist die Entstehung der Schießpulverreiche, als Staaten erstmals in der Lage waren, die regelmäßigen Überfälle von nomadischen Völkern aus der asiatischen Steppe zu stoppen. Danach haben die Einfälle von Hunnen oder Mongolen nicht mehr stattgefunden. Auch die Fortschritte bei der Entwicklung des Geschützwesens, also der Kanonengießerei, haben sich in der Regel symmetrisch abgespielt – einer hatte eine kurze Zeit einen Vorteil, dann haben die anderen nachgezogen. Natürlich sind Nuklearwaffen der größte Schritt, weil sie die Kalkulation im Hinblick auf Kosten und Nutzen eines Krieges fundamental verändert haben. Auch bei größter Überlegenheit kann man seitdem einen militärischen Sieg nicht in einen politischen Sieg umwandeln: Die eigenen Verluste sind dafür viel zu hoch.
Auch bei den Kampfdrohnen haben die Industrienationen einen technologischen Vorsprung – während die Unterlegenen in Guerilla-Krieg oder Terrorismus ausweichen, was ihnen eigene Vorteile verschafft?
Drohnen sind keine Waffen speziell zur Bekämpfung von Panzerarmeen. Sie sind eher eine Reaktion auf diese schwachen und kleinen Akteure, die taktisch asymmetrisch agieren, indem sie an die Stelle der Konzentration der Kräfte ihre Ausdehnung in Raum und Zeit setzen. Der Umstand, dass man mit Drohnen in Gebiete kommt, in die man sonst nicht käme, und dass man keine Logistik dort aufbauen muss, minimiert die eigene Verletzlichkeit.
Die Automatisierung birgt die Gefahr, dass sich autonome Systeme verselbstständigen, sodass am Ende Computer statt der Menschen über Leben und Tod entscheiden.
Das tun sie schon die ganze Zeit. Es gibt das bekannte Beispiel des sowjetischen Offiziers, der etwa Anfang der 80er einen Atomkrieg verhindert hat, als er gegen die Befehle des Computers handelte. Unter den Bedingungen moderner Waffensysteme hängt sowieso ungeheuer viel an Computern. Aber richtig ist auch, dass Manpower an Bedeutung verliert und technische Ausrüstung an Bedeutung gewinnt. Man kann sich vorstellen, dass Kriege irgendwann nicht mehr letal ausgetragen werden, sodass dabei keine Menschen mehr zu Schaden kommen, sondern die Fähigkeiten einer Seite werden durch die andere Seite aufgrund überlegener Technologie ausgeschaltet und die Unterlegenen kapitulieren, sprich resignieren in ihrem politischen Willen. Im Vergleich zu Jagdbombern sind Drohnen Systeme, die im Prinzip die Gewaltintensität minimieren. Es geht nicht ohne Blutvergießen ab. Aber die Höhe der Kollateralschäden ist in den vergangenen zwei, drei Jahren deutlich verringert worden.
Unter Völkerrechtlern bleibt der Einsatz von Kampfdrohnen aber umstritten?
Das Problem ist, dass bei einem Drohneneinsatz die Kombattanten keine Chance haben, durch Kapitulation in den Status von Non-Kombattanten zu wechseln, sich also zu ergeben. Wie aus heiterem Himmel schlägt die Waffe ein und tötet sie. Nun kann man sagen, dies sei nur eine kleine Veränderung insofern, als bei allen seit dem 19. Jahrhundert neu entwickelten Distanzwaffen kaum eine Chance bleibt, die Todesgefahr durch Kapitulation abzuwenden. Die Fiktion, auf die sich diese Diskussion bezieht, ist die Fiktion des unmittelbaren Schwertkampfes.
Wie muss die Politik damit umgehen: Erhöht jeder technologischer Sprung auch den Druck auf die Diplomatie, zu friedlichen Lösungen zu kommen?
Das glaube ich nicht unbedingt. Dieser Druck ist ja da – am stärksten vielleicht dadurch, dass ein Staat durch das Androhen von wirtschaftlichen Sanktionen alternativ zu dem Gebrauch militärischer Gewalt ebenfalls Nachteile hat. Die Kosten militärischen Eingreifens sind bekannt. Das Sanktionsproblem konnte man jetzt in der Ukraine-Krise an der Gasdiskussion mit den Russen sehen. So gibt es für Länder wie Deutschland ein hohes Interesse, diese Gespräche fortzuführen, weil jedes Spiel mit der Sanktionswaffe zu Beulen für die Wirtschaft führen würde. Das sind bei uns mittlerweile die Hauptgesichtspunkte.