Exklusiv Verkehrsminister Hermann verstärkt die Kontrolle der Straßenbauverwaltung. Dazu möchte er 200 Bauingenieure einstellen und fordert vom Bund Transparenz statt einer Lotterie, „bei der man nie weiß, wie viel Geld in der Trommel ist“.

Stuttgart - Im Frühjahr wurde Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) vorgeworfen, hundert Millionen Euro an vom Bund angebotenen Straßenbaumitteln nicht abgerufen zu haben. Er weist die Vorwürfe als haltlos zurück, aber Konsequenzen gezogen hat der Minister dennoch. Es sollen mehr Bauingenieure eingestellt werden, in der Hoffnung auf zusätzliches Geld wird mehr verplant und die Regierungspräsidien werden stärker kontrolliert als bisher.

 
Herr Hermann, Ihnen wurde vorgeworfen, Geld vom Bund für den Bundesstraßenbau verschmäht zu haben. Wo sind diese 100 Millionen Euro anschließend hingeflossen?
Eine Luftnummer der CDU. Die hat es nie gegeben, deswegen kann man nicht sagen, was aus ihnen geworden ist.
Aber Sie mussten sich ständig mit dem Thema auseinandersetzen.
Ja. schon. Diese Unterstellung war völlig falsch, wurde von der Opposition aber erfolgreich kommuniziert. Nichts ist so simpel wie einem grünen Verkehrsminister zu unterstellen, er will gar keine Straßen bauen und deswegen verschmäht er Geld. Und die Zahl hundert Millionen Euro kann sich jeder merken. Viele Menschen im Land ärgern sich, dass ihre Straßen nicht gebaut werden, weil es an Geld fehlt. Plötzlich soll es auf der Straße liegen. Bei jedem Treffen mit Bürgermeistern oder Gemeinderäten musste ich erklären, wie es wirklich war.
Was geschah denn wirklich?
Tatsache ist, dass wir 2013 den höchsten Umsatz an Straßenbaumitteln überhaupt hatten, mit Ausnahme eines einzigen Jahres, als Konjunkturprogramme hinzukamen. Alles zusammengenommen haben wir vom Bund 830 Millionen Euro für Neubau, Erhalt und Sanierung und Betrieb der Straßen bekommen. Laut letzten Zahlen vom Bund sind genau sechs von den 830 Millionen Euro nicht umgesetzt worden. Dabei geht es um hunderte Baustellen mit entsprechenden Abrechnungsvorgängen.
Aber das Angebot vom Bund gab es doch.
Im Spätherbst hat der Bund angefragt: „Könnt ihr noch zusätzliches Geld abnehmen?“ Dabei wurde keine Summe genannt, und schon gar nicht eine in der Höhe von hundert Millionen Euro.
Wo kommt das Zusatz-Geld denn her?
Es ist ein Wahnsinn. Im Herbst jeden Jahres fragt der Bund die Länder ab, ob sie die zur Verfügung gestellten Summen verbauen können. Falls nicht, müssen sie das Geld zurückgeben. Dazu hat Baden-Württemberg nie gehört. Das zurückgegebene Geld kommt in einen Topf, anschließend wird gefragt, wer möchte sich daraus bedienen. Das ist ein Lotteriespiel. Man weiß nie, wie viel Geld in der Trommel ist und auch nicht, wie viel man bekommen kann. Wohl dem, der offene, noch nicht bezahlte Baustellen hat. Bayern war da immer dabei.

Also läuft alles weiter wie zuletzt, und wenn Ende 2014 ein neues Angebot vom Bund kommt, müssen Sie wieder ablehnen und sich anschließend dafür verteidigen?
Nein, wir haben reagiert und viel getan. Zu den Zahlen 2014: Der Bund hat uns zum Jahresbeginn gesagt, dass Baden-Württemberg 2014 rund 730 Millionen Euro bekommt, statt der bereits erwähnten 830 Millionen im Jahr 2013. In der Annahme, dass es eventuell mehr Geld gibt, haben wir den sogenannten Swing – die Ermächtigung zur Vorfinanzierung mit Landesmitteln - von 60 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro erhöht. Um damit Baukosten mit Landesmitteln vorzufinanzieren, weil man ja nicht weiß, wie viel man letztlich vom Bund erhält. Es ist also eine Art Kredit in der Hoffnung auf Nachschlag
Wissen Sie, wie viel der Bund 2014 letztlich nach Baden-Württemberg fließen lässt?
Noch nicht genau. Im August hat der Bund uns mitgeteilt, dass es nicht 730 Millionen Euro sind, sondern 800. Das erfährt man, wenn das Jahr für Baumaßnahmen schon weitgehend um ist.
Da fehlen ja dann noch 30 Millionen Euro.
Richtig. Ob wir diese 30 Millionen jemals bekommen, ist offen. Wir hoffen es.
Warum kann man zusätzliches Geld nicht einfach in bestehende Baustellen stecken?
Dazu muss man Baustellen haben, die laufen und im Prinzip unterfinanziert sind. So konnten wir 2012 am Ende noch 70 Millionen Euro zusätzlich ausgeben. Hätten wir das Geld nicht bekommen, hätten wir unter Umständen die Arbeiter abziehen müssen. Man hätte nicht weiter bauen können. Auch das hat es schon einige Male gegeben.
Also müssen Sie neue Baustellen fordern.
Wenn das so einfach wäre. Ex-Bundesverkehrsminister Ramsauer ist bezogen auf Baden-Württemberg extrem restriktiv mit der Freigabe von Baustellen umgegangen, im Land sind kaum welche begonnen worden. Immer mit der Ansage, der Bund hat kein Geld. Ohne neue Baustellen geht aber nichts. Wir haben mehrfach darauf gedrängt, genügend Baufreigaben zu erhalten. Dabei waren wir nur begrenzt erfolgreich. Immerhin hat der Bund jetzt Projekte wie die Umgehungen von Friedrichshafen, von Mögglingen und Holzgerlingen freigegeben. Leider haben wir die Freigabe für andere wichtige Projekte wie die B 28 Neu bei Rottenburg oder die Westtangente in Pforzheim nicht bekommen.

Wenn mehr Geld kommt, haben die Bauverwaltungen in den Regierungspräsidien mehr zu tun. Wie sieht es mit den Stellen aus, die Sie angekündigt haben?
Die Straßenbauverwaltung ist an der Leistungsgrenze. Deshalb bauen wir Personal auf. Unter CDU/FDP-Zeiten wurde die Straßenbauverwaltung in 20 Jahren ungefähr halbiert. 2013 haben wir angefangen, neue Stellen zu schaffen, in vier Jahren sollen jeweils 50 neue Fachkräfte, darunter viele Ingenieure eingestellt werden, insgesamt also 200.
Sind die neuen Stellen schon besetzt?
Auf befristete Stellen hat sich im letzten Jahr so gut wie keiner gemeldet. Es bedurfte viel Überzeugungsarbeit, um die Stellen zu entfristen. Nun sieht es etwas besser aus. Parallel zu den Jobangeboten starten wir bald eine internationale Offensive, um Bauingenieure anzuwerben. Wir brauchen die Leute dringend.
Werden die vor allem in den Regierungspräsidien arbeiten?
Ja, und natürlich vor Ort. Wir optimieren gerade auch die Verwaltungsabläufe. In früheren Zeiten haben die Regierungspräsidien weitgehend unabhängig gearbeitet. Ihnen wurde am Anfang des Jahres Geld zugewiesen und am Ende wurde abgerechnet. Erst da hat das Ministerium erfahren, ob alles verbaut werden konnte. Auch in meiner Amtszeit deuteten die Signale aus den Regierungspräsidien nie auf Schwierigkeiten hin. Erst im Dezember 2013 haben wir erstmals erfahren, dass doch nicht alles so gelaufen ist, wie angenommen. Seitdem will ich noch besser und schneller informiert werden. Nach einem festgelegten Zeitrahmen müssen die Regierungspräsidien mehrmals im Jahr über den Stand der Bauarbeiten und den Mittelabfluss berichten. Wenn was schief geht, wollen wir das frühzeitig wissen und gegebenenfalls reagieren.
Was kann denn da schief gehen?

Einige Sätze zur Ehrenrettung der Straßenbauverwaltung. Mit zu wenig Personal zügig und kostengünstig zu bauen ist eine Illusion. Jeder private Bauherr weiß, dass es „auf dem Bau“ nicht immer so läuft wie geplant. Baustellen verzögern sich und Rechnungen fallen höher aus. Das Problem haben die Bauverwaltungen in den Regierungspräsidien oft auch. Kompliziert wird es zudem, weil mangels Personal viele Planungen dieser Großprojekte an private Ingenieurbüros, Statiker oder Projektmanager vergeben werden müssen. Im Bereich des Planungs- und Baumanagements betragen die Fremdvergaben 50 bis 90 Prozent. Kontrolle und Steuerung ist also schwierig, aber nötig!
Wenn der Bund sich im Dezember meldet mit dem Angebot noch Geld übrig zu haben, ist das Land dann gerüstet?
Wir haben das Controlling des Ministeriums massiv verbessert, die Regierungspräsidien haben Berichtspflichten, die es vorher so nicht gab. Und wir schulen die Bauleiter hinsichtlich des Projektmanagements und Finanzmanagements. Alles mit dem Ziel, die Bauverwaltung noch effektiver zu machen. Nur eines ist auch klar, im Dezember kann man nicht plötzlich zusätzliche Millionenbeträge im zwei- oder dreistelligen Bereich einfach verbauen, wenn es die Baustellen und die Rechnungen nicht bereits gibt. Dazu sind die Abläufe viel zu kompliziert und zeitaufwendig geworden. Man kann sagen, nach der Entscheidung für einen Baubeginn vergehen rund eineinhalb Jahre bis große Beträge abfließen können. Wenn es die Baustellen nicht gibt, nützt es nichts, wenn dem Land am Jahresende plötzlich mehrere Millionen Euro angeboten werden. Dieses System muss grundlegend geändert werden. Wir brauchen im Interesse der Steuerzahler Transparenz, Planbarkeit und Überjährigkeit der Mittelverwendung statt Lotterie und Dezember-Ausgabenfieber.